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Interview zum geplanten Psychiatrie-Gesetz: Neue Stigmatisierung

Interview zum geplanten Psychiatrie-Gesetz: Neue Stigmatisierung

Bayern plant ein neues Gesetz zum Umgang mit psychisch Kranken - mit Datensammlung und Überwachung. Psychiater Peter Brieger fürchtet: Die Stigmatisierung der Betroffenen würde mit dem Gesetz wieder gestärkt. Von Barbara Knopf

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Bayern plant ein neues "Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz": Künftig sollen depressive Menschen in Krankenhäusern festgesetzt werden – nach Regeln, die für Straftäter gelten, nur ohne dass eine Straftat vorliegt, und ihre Daten sollen fünf Jahre lang gespeichert werden. Barbara Knopf hat mit Peter Brieger, dem ärztlichen Direktor des Isar-Amper-Klinikums, gesprochen.

Barbara Knopf: Herr Professor Brieger, die bayerische Staatsregierung meint ja, das geplante Gesetz würde der Ent-Stigmatisierung dienen. Ich habe eher das Gefühl – ich bin Laie – dass die Depression stigmatisiert wird.

Peter Brieger: Das ganz sicher. Die Idee hinter dem Gesetz ist zu sagen: Es gibt Menschen, die aufgrund einer Krankheit für sich oder für andere gefährlich sind und die nicht übersehen können, was sie tun. Die also im Rahmen der Krankheit quasi ihren freien Willen verloren haben. Da hat der Staat einmal die Aufgabe der Gefahrenabwehr und zum anderen auch die Aufgabe, diese Menschen zu sichern. Das ist richtig – in gewissem Maße. Wir haben auch bisher ein Unterbringungsgesetz. Und auch bisher werden Menschen, wenn sie in solchen Krankheitszuständen sind, auch gegen ihren Willen in psychiatrische Kliniken gebracht. Nur: Dieses neue Gesetz ist eine Verschlimmbesserung. Es wird nicht besser, sondern vieles wird verschärft in diesem Gesetz.

Wird nun auf dem Rücken von Patienten mit dem Thema Sicherheit – einem sehr wichtigen Wahlkampfthema – auch taktiert?

Das ist eine Gefahr, die ich auch sehe. Es findet wieder eine Diskussion statt, dass psychisch kranke Menschen erst einmal gefährlich sind. Es gibt einzelne psychisch kranke Menschen, die gefährlich sind, aber das muss man im Einzelfall sehen. Hier wird eine Regulierungswut aufgefahren, die dem Ganzen nicht entspricht: Wir können ganz anders damit umgehen, es gibt ganz andere pragmatische Regelungen. Ein Beispiel: Sagen wir, eine junge Mutter bekommt eine Wochenbettdepression, droht an, ihrem Kind etwas anzutun. Dann ist es richtig, dass sie in die Klinik kommt, man muss sie in dem Moment schützen, und möglicherweise hat sie auch nicht die Fähigkeit, das einzusehen. Dann wird sie aber auch ziemlich schnell wieder gesund, komplett gesund. Dennoch müssten wir die Unterbringung nach diesem Gesetz nach all diesen Regelungen, die Sie angedeutet haben, ausgestalten. Und wir müssten sie in dieser Unterbringungsdatei melden. Wir müssten auch der Polizei und den Sicherheitsbehörden Meldung machen, wenn wir sie wieder entlassen – einschließlich einer Begründung, warum wir sie entlassen. Das sind Regelungen, die sind völlig unpassend und berücksichtigen nicht, dass es um kranke Menschen geht.

Ein bisschen habe ich auch das Gefühl, dass überhaupt eine Angst mitspielt: nicht nur davor, dass es um Gefährder gehen könnte, die ein Problem für die öffentliche Sicherheit sind, sondern auch in Bezug darauf, wie man mit dieser Krankheit umgehen soll. Man weiß, dass es sie gar nicht so selten gibt, versucht aber, sie aus der Mitte der Gesellschaft herauszuhalten.

Genau. Natürlich sind das Krankheiten, die erstmal dem Bürger, der nichts damit zu tun hat, fremd erscheinen, die erstmal vielleicht auch Angst auslösen oder Irritation. Das sind gesellschaftliche Reaktionen, die wir seit dem Mittelalter und seit der Antike kennen, dass Menschen, die davon betroffen sind, entsprechend ausgegrenzt werden, stigmatisiert werden. Das sind Prozesse, die gesellschaftlich passieren, deswegen arbeiten wir ja an Konzepten einer gemeindenahen Psychiatrie und versuchen, die Menschen wieder in die Gesellschaft zurückzubringen. Denn das kann jeden treffen, das kann Sie betreffen, das kann mich betreffen, das kann unsere Familienangehörigen betreffen.

Mir scheint, dass die Depressionen oder bipolare Störungen so etwas wie die Krankheit des 20. oder 21. Jahrhunderts sind. Würden Sie sich wünschen, dass man in Zukunft noch ganz andere Wege geht, um den Menschen zu helfen?

In der französischen Soziologe gab es ja die entsprechenden Diskussionen: Ist die Depression die Krankheit des 21. Jahrhunderts? Das ist komplex. Wir haben keine klaren Anhaltspunkte, dass schwere psychische Störungen tatsächlich in großem Maße an Häufigkeit zunehmen. Wir haben vielmehr die Fähigkeit, sie besser zu entdecken – und die Schwelle sinkt. Sie haben vorhin Robert Enke genannt: Wir haben Gott sei Dank seit den 70er-Jahren eine Halbierung der Suizidzahlen in Deutschland. Wir hatten mal 20.000 Suizide, wir sind jetzt bei 10.000, und ich glaube, das hängt auch am besseren Versorgungssystem. Es ist wichtig, dass die Menschen niedrigschwellig in Kliniken, in Angebote kommen. Es ist wichtig, dass wir die Kliniken in die Gemeinde gebracht haben. Sie haben es ja "Isar-Amper-Klinikum" genannt, die meisten Münchner kennen es noch als "Haar" – wir haben inzwischen acht Standorte. Es ist wichtig, dass wir in die Gesellschaft gehen, dass die Scham, das Stigma sinkt, und die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, steigt. Dieses Gesetz geht in die falsche Richtung.