Bildrechte: HL Boehme/Hans-Otto-Theater Potsdam

Moritz von Treuenfels, Katrin Hauptmann

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Liebe mit Links: Musical "Rio Reiser - König von Deutschland"

Claudia Roth von den Grünen war natürlich da, wenn auch nicht die echte: Sie managte schließlich die Band "Ton, Steine, Scherben". Das Leben der linken Ikone Rio Reiser als Musical zwischen Suff und Sehnsucht. Nachtkritik von Peter Jungblut.

Woran ist Rio Reiser eigentlich 1996 gestorben? Am Alkohol, sagen die Archive, er litt unter inneren Blutungen. Doch das Musical sagt was anderes: Er litt auch unter Weltschmerz, unter Lebenslügen, unter dem Musikgeschäft. Gesoffen hat er demnach aus Verzweiflung und Überforderung - verzweifelt an seinem Unvermögen, die Welt zu retten, überfordert von den Erwartungen seiner linken Fans - gescheitert an Idealen. Damit ist er wirklich ein "König von Deutschland", denn wo, wenn nicht hier sterben Menschen an ihrem Idealismus? Heiner Kondschak hat das turbulente, melancholische Leben von Rio Reiser 2016 für die Bühne bearbeitet, die Uraufführung war in Mönchengladbach und Krefeld. Jetzt gelang dem Hans-Otto-Theater in Potsdam eine musikalisch fulminante und zu Recht stürmisch gefeierte Neuinszenierung mit Moritz von Treuenfels in der Titelrolle.

Sie sollten auch die Schmalzbrote zahlen

Klar, die Hauptsache sind natürlich die Hits von "Ton, Steine, Scherben" und aus Rio Reisers Solo-Zeit. Viele seiner Lieder sind längst zu viel zitierten Sinnsprüchen geworden: "Macht kaputt, was euch kaputt macht", "Keine Macht für Niemand", "Zauberland" - alles Hymnen der siebziger und achtziger Jahre, als die radikale Linke, und nicht nur die, gegen Kapitalismus, Nachrüstung und Waldsterben agitierte, als Demos alltäglich waren, passiver Widerstand umstritten war und Soli-Konzerte das alles finanzieren sollten. Darunter litten Rio Reiser und seine Musiker enorm: Auftreten sollten sie überall, angemessen bezahlt wurden sie kaum jemals. Selbst die Schmalzbrote bekamen sie nicht kostenlos: Die linke Fundamentalisten-Szene war eben nicht nur kampfbereit, sondern auch selbstgerecht, kleinkariert, engstirnig und narzisstisch. Das beschreibt Autor Heiner Kondschak recht schonungslos und authentisch, auch die Eifersüchteleien, die hochtrabenden, aber hohlen Sprüche, den ganzen kräftezehrenden Moral-Zirkus der "68er-Zeit", der bei der Band zu Konflikten und einem horrenden Defizit von 300 000 DM führte. Verantwortlich sein wollte natürlich niemand.

Claudia Roth hat wenig Text

Allerdings buchstabiert Kondschak recht brav alle Lebensstationen von Reiser nach, statt sich auf ein, zwei besonders dramatische Momente zu konzentrieren. Daher ist es über knapp drei Stunden mitunter ermüdend, noch einen Liebhaber des bekennenden Homosexuellen vorgeführt zu bekommen, noch einen fiesen Manager, noch ein sperriges Bandmitglied, noch einen emotionalen Zusammenbruch. Dadurch blieben die einzelnen Charaktere leider allesamt recht flach - sogar Claudia Roth (Denia Nironen), die mehr Text verdient gehabt hätte. Die Seelenverwandte Marianne Rosenberg (Katrin Hauptmann) darf zwar mehr sagen, bleibt in der Inszenierung von Frank Leo Schröder aber ebenfalls arg konturenlos und wird sogar als Naive hingestellt, weil sie die letzte ist, die von Reisers Homosexualität erfährt. Wer die Biographie von Reiser nicht kennt, für den wird dessen Leben hier erschöpfend ausgebreitet. Das ist keineswegs langweilig, dank des charismatischen Moritz von Treuenfels, aber es steht dahin, ob jüngere Zuschauer das alles genauso gebannt verfolgen wie die, die Kultur und Politik der Helmut-Schmidt- und Helmut-Kohl-Jahre selbst miterlebt haben. So drohte es doch immer wieder ein beschaulicher Heimatabend für "68er" wie "78er" zu werden.

Afro-Look und Mao-Mütze

Musikalisch freilich (Leitung: Juan Garcia) ist es eine mehr als gelungene Produktion. Die Band trägt nicht nur Schlaghosen, grimmige Mienen und Perücken spazieren (Langhaar-Look und Locken-Pracht, je nach Jahrzehnt), sondern trifft auch vorzüglich den schwer hysterischen Ton dieser Ära, schließlich geht es gegen Immobilienhaie, Konsum-Propheten und Waffenschieber. Friedemann Petter am Keyboard und Saxophon springt als doppelter Liebhaber ein (Achtung, niedlicher Kuschelpullover und Blümchenhemd!), Daniel Klein sorgt am Schlagzeug für Drive, Frédéric Brossier, Florian Schmidtke und Marc Eisenschink sind mit ihren Gitarre präsent, Daniel Splitt am Bass im Einsatz. Ausstatter Matthias Müller hatte dafür die typische WG-Atmosphäre der Zeit zitiert, einschließlich Che-Guevara-Poster, schäbigen braunen Polstermöbeln, Neonröhren-Wandleuchten und Transparenten. Da kam Stimmung bei allen, die selbst mal Afro-Look, Mao-Mützen und übergroße Sakkos getragen haben. Rio Reiser hat alles gegeben - und sein Interpret Moritz von Treuenfels ebenfalls. Reiser träumte übrigens davon, mal in die Sonne zu düsen und knackige Surfer in Florida aufzureißen. Nur leider passte das damals ganz und gar nicht zur "Liebe mit links". Insgesamt ein sehenswerter, gefeierter Nostalgie-Abend.


Wieder am 26. November und 1. Dezember. Ebenfalls am 26. November und am 1. Februar 2018 ist Autor Heiner Kondschak mit einem Rio-Reiser-Abend in Ingolstadt zu Gast.