Neulich bin ich auf die Zukunft gestoßen, sie kam hier in meiner Bar vorbei
Die Zukunft, das sind 4 Jungs im hocheleganten und leicht androgynisierten Outfit der vietnamesischen Designerin Tutia Schaad, 4 Jungs, die sich als Cluster empfinden, wie sie sagen, die sich gegenseitig mit Pflanzennamen anreden und die in dieser verschachtelten Karaokebar leicht deplatziert wirken. Tatsächlich ist es ihr erstes Mal: ihr erstes Mal Karaoke und ihr erstes Mal Bier, wie sie überhaupt noch nicht viel im herkömmlichen Sinne gelebt zu haben scheinen, so dass wohl noch so einige erste Male ausstehen. Und so begeben sie sich nach jeder Karaokenummer eher abstrakt, um nicht zu sagen intellektuell auf die sehr distanzierte Suche nach Dingen, die wie Emotionen oder Triebe bisher zumindest zur menschlichen Grundausstattung gehörten.
Vorzüge von Hautgeruch
Das also ist die Zukunft, in einem Land wie Japan, in dem gerade auch eine junge Generation kaum oder gar keinen Sex mehr hat, sondern in einer zugleich vollkommen durchsexualisierten Gegenwart wenn überhaupt dann Hilfsmittel oder Pornographie bemüht. Sex mit einem real existierenden Gegenüber erscheint als zu aufwändig, zumal damit ohnehin die medial vermittelte Perfektion nie erreicht werden kann. Toshiki Okadas „No Sex“-Projekt an den Münchner Kammerspielen also entwirft das Bild einer merkwürdig sterilen jungen Generation, deren Verweigerung wilder Triebe vielleicht sogar ihre Form des Aufbegehrens ist. Dass das Stück dabei nicht allzu sehr der durchaus vorhandenen Gefahr anheimfällt, sich in die Abstraktion zu verlieren, liegt zum einen daran, dass das mutige Ensemble gerade auch die Peinlichkeiten von Karaoke perfekt performen kann, zum anderen schickt Toshiki Okada auch noch eine ältere Generation ins Spiel, die – wie etwa die herrliche Putzfrau von Annette Paulmann – sich durchaus noch an die Vorzüge von Love-Hotels oder vom Hautgeruch eines potentiellen Partners erinnert.
Eine Zukunft, die hoffentlich nicht so bald kommt
Es hat also durchaus Charme und: es hat seine Komik dieses „No SEX“, die auch daraus entsteht, dass Toshiki Okada – wie schon bei seinem letzten Projekt an den Münchner Kammerspielen – wieder auf Mittel aus der japanischen Tradition des No-Theaters zurückgreift. Das beschränkt sich zwar diesmal auf jenes merkwürdige und von Figur zu Figur verschiedene Gestenrepertoire, das neben dem Gesagten wie eine zweite Spur einherläuft und so gar nichts mit diesem zu tun zu haben scheint, doch macht diese komische Trennung im Falle der vier Jungs, die so überhaupt nichts von ihren Körpern zu wissen scheinen, schon wieder Sinn.
No Sex also: bleibt zu hoffen, dass uns Japan in diesem Fall nicht wie sonst nur einen Schritt voraus ist.