Der Nationalpark Berchtesgaden ist nicht nur ein Naturjuwel. Seit 2020 ist er auch Teil eines großen Forschungsprojektes: Es sollen dort die Auswirkungen des Klimawandels auf die Artenvielfalt untersucht werden und wie der Klimawandel das Ökosystem ändert.
Der Waldökologe Sebastian Seibold leitet seit über einem Jahr ein Forschungsteam der TU München im Nationalpark Berchtesgaden. Was genau am Klimawandel hänge, sei schwer zu sagen. "Aber man sieht, dass jedes Jahr anders ist. Letztes Jahr war es deutlich trockener und wärmer. Dieses Jahr ist es relativ kühl mit viel Niederschläge. Ich denke, diese extremen Wetterereignisse sind ein Bestandteil des Klimawandels, die wir immer mehr sehen und beobachten."
Klimawandel für die Almen eine Herausforderung
Gerade bei den Almen ist es eine Herausforderung: Wann sollen die Tiere im Frühjahr aufgetrieben werden? Denn dort ist alles darauf angewiesen, dass die Temperaturen stimmen, dass die Vegetation wächst und genug Futter da ist. "Findet der Auftrieb zu früh statt, dann ist die Gefahr, dass die Almen zu stark beweidet werden. Letztes Jahr war der Auftrieb fast vier Wochen früher möglich als dieses Jahr. Und da muss man reagieren, das ist die große Herausforderung", sagt Sebastian Seibold.
Eine Besonderheit gibt es bei der Almwirtschaft im Berchtesgadener Land außerdem: Den Bauern gehören die Almen nicht. Sie haben allerdings lange Rechte, zum Teil seit Jahrhunderten, die auf ihren Höfen liegen, dass sie das Vieh auftreiben dürfen. "In den Rechten steht genau drin, wann sie das Vieh auftreiben dürfen. Wenn aber aufgrund des zeitigeren Frühjahrs die Vegetation viel früher anfängt zu wachsen, dann wäre ein früherer Auftrieb natürlich sinnvoll. Das ist aber eigentlich so rechtlich gar nicht verankert. Und da müssen wir reagieren. Da ist die Frage, wie die Almwirtschaft angepasst werden muss."
"Jedes Jahr ist wettertechnisch anders, klare Regeln gibt es nicht mehr"
Ein Vorteil für den Standort und die Forschung: In Berchtesgaden gibt es bereits seit Jahrzehnten detaillierte Wetteraufzeichnungen. Im ganzen Gebiet sind Wetterstationen verteilt, auch an entlegenen Punkten wie am Watzmanngrat. Aber auch in tieferen Lagen kann man beobachten, wie sich das Wetter und das Klima langfristig verändert.
"Es geht darum, zu sehen, wie sich das Ökosystem verändert", so der Waldökologe. "Die Pflanzen, die Tiere, die Pilze, die ganzen Organismen. Und dafür haben wir ein ganzes Netz an Beobachtungspunkten eingerichtet, wo wir die Biodiversität, die Artenvielfalt, beobachten. Wir untersuchen zum Beispiel wie sich unterschiedliche Auftriebszeiten auf den Futterertrag, Pflanzen und Insekten auswirken, die auf den Almen leben."
So wandern Insekten bei steigender Klimaerwärmung nach oben. Bei den Pflanzen sei das weniger der Fall. Und das könne ein Problem werden, so Seibold: "Weil Pflanzen auf die Insekten angewiesen sind, bei der Bestäubung, und die Insekten auf die Pflanzen, als Futter. Und wenn dann die Insekten stärker nach oben wandern als die Pflanzen, dann zerreißt es diese Verknüpfungen und Abhängigkeiten. Und das kann zu Problemen in der Zukunft führen."
Besonderheit: Geschwindigkeit der klimatischen Veränderungen
Schon immer gab es in der Vergangenheit starke klimatische Veränderungen. Allerdings über längere Zeiträume, weiß Seibold. Das heißt: Die Artengemeinschaften hatten Zeit, sich besser anzupassen. Sie konnten wandern, konnten sich genetisch anpassen. Heute passiere dieser Vorgang viel schneller, und viele Arten seien damit überfordert: "Da kann es dazu kommen, dass manche Arten in Regionen zurückgehen und aussterben. Andere Arten wandern in Regionen ein, wo sie bisher nicht vorgekommen sind. Und das führt letztendlich dann zu ganz neuen Konstellationen von Arten und letztendlich auch Ökosystemen", erklärt Seibold.
Das, was im Nationalpark Berchtesgaden erforscht wird, soll ein möglichst genaues Bild zeichnen, wie sich klimatische Veränderungen auf die Natur auswirken. Weil mit diesem Bild vielleicht auch erst das Bewusstsein bekommt, warum etwas gegen den Klimawandel getan werden muss.
Mehr zum Thema "Wetter, Berge und Landwirtschaft" in der Sendung STATIONEN, am Mittwoch, 29. September 2021 um 19 Uhr im BR-Fernsehen und in der BR-Mediathek.
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