Es funktioniert, wie er da steht: die beulige Hose, die zu enge Lederjacke, die das Bäuchlein nicht verbergen kann, das weiße Hemd, das aus dem Bund rutscht. Wie er sich die Zigarette an einer Zigarette anzündet – und sie dann nicht zwischen Mittel- und Zeigefinger hält, sondern spitz wie mit einer Zange zwischen Daumen und Zeigefinger einklemmt: Das ist Rainer Werner Fassbinder. Zumindest glaubt man das, solange Hauptdarsteller Oliver Masucci nach unten blickt. Wenn er dann den Kopf hebt, wirkt das Gesicht härter, kantiger als bei Fassbinder, aber das macht nichts, denn Masucci spielt Fassbinder nicht, er ist es.
Der Film beginnt 1967 in München, im damaligen "Action-Theater" – einer Spielstätte der Subkultur, gegründet von Ursula Strätz, Horst Söhnlein und Peer Raben, dann von Fassbinder gekapert und ab Mai 1968 als "Anti-Theater" weitergeführt.
Altmodisch theaterhaft hat Oskar Roehler sein Porträt inszeniert, auch in den Dialogen, und man braucht ein bisschen, um sich daran zu gewöhnen. Es gibt keine realen Schauplätze, nur bühnenartige Pappkulissen, auf denen Häuserfassaden, Türen, Fenster und im Inneren Schränke, Lampen oder die Blicke nach draußen gemalt sind. In dieser künstlichen Welt, an die man sich als Zuschauer bald gewöhnt hat, entwickelt sich das Drama eines maßlos ausufernden Lebens, eines Besessenen, der ohne Rücksicht auf sich selbst schreibt, inszeniert, schauspielert und produziert. Andere zwingt er in seine Dienste, erniedrigt sie, selbst findet er nie zur Ruhe, auch in der Liebe nicht, vor allem zu Männern.
Das Prinzip Anziehung und Abstoßung
Er ist ein Mann, der nie bleibt, der immer wieder geht, ruppig und verzweifelt. Anziehung und Abstoßung – das ist das Prinzip, nach dem Fassbinder lebt. Dazu Alkohol- und Drogenexzesse, das Scharen einer Ersatzfamilie um sich, Menschen, die alle Frauennamen tragen müssen, von denen einige sich in existentielle Abhängigkeit begeben. Andere können sich distanzieren und arbeiten höchst erfolgreich mit dem Enfant terrible – etwa Hanna Schygulla, Barbara Sukowa, Rosel Zech oder der ehemalige UFA-Star Brigitte Mira, die beeindruckend von Eva Mattes gespielt wird.
All das ist bekannt, aber es in verdichtet abstrahierter Bühnenhaftigkeit noch einmal vorgeführt zu bekommen, macht den Film sehenswert. Auch wenn er zwischendurch mal den Faden verliert oder sich einige Szenen in die Länge ziehen. Oliver Masucci als Fassbinder ist eine Wucht – auch mal zart und verletzlich, etwa wenn er in seiner Liebe zu dem Schauspieler Günther Kaufmann, der ursprünglich die Hauptrolle in "Der amerikanische Soldat" spielen sollte, erfährt, dass dieser verheiratet ist.
Einer wie Fassbinder – heute unvorstellbar
Faszinierend ist die Lichtregie, angelehnt an Fassbinders eigene Experimente in dessen Spätwerk, etwa in "Despair – Eine Reise ins Licht" oder "Querelle". Rot leuchtet die Pappkulisse in dieser Szene, dann sitzen Rainer und Günter in der Nahaufnahme intim umstrahlt von einem gelblichen Schein. Was man sich noch denkt: Einer wie Fassbinder wäre in unserer Social-Media- und Political-Correctness-Welt gar nicht mehr vorstellbar. Unabhängig davon setzt Oskar Roehler ihm als "Enfant Terrible" des deutschen Kinos, das er geprägt hat wie kaum ein anderer, ein Denkmal – tastend und leidenschaftlich.
Bein Deutschen Filmpreis 2021 wurde Oliver Masucci als Bester männlicher Hauptdarsteller für die Darstellung des Regisseurs Rainer Werner Fassbinder in "Enfant Terrible" mit der Lola ausgezeichnet.
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