Splitternackt stehen die Künstler auf der Bühne des Münchener GOP-Theaters, nur notdürftig bedeckt von der, wie sie augenzwinkernd behaupten, „Lügenpresse“, nämlich genau einer dünnen Zeitungsseite – und die wird dann auch noch drei Mal gefaltet. Mehr als ein bedrucktes Feigenblatt für die alleredelsten Teile bleibt da nicht übrig. Sind die Medien also Verhüllungs- oder Enthüllungs-Organe? In diesem Fall jedenfalls blickdicht. Ja, die aktuelle Show „Kawumm“ ist durchaus gesellschaftskritisch, jedenfalls sehr viel politischer als die sonst hier üblichen Varieté-Produktionen.
"Auch Glücks-Kekse machen fett"
Moderator und Regisseur Markus Pabst nimmt seinen Nachnamen wörtlich und predigt in weißer Soutane erst vorwärts, dann rückwärts, vielleicht auch umgekehrt (je nach politischer Einstellung), religiöse Toleranz, wettert gegen engstirnige Populisten und enthüllt, dass es in China gar keine „Glückskekse“ gibt. Die sind vielmehr eine Erfindung New Yorker Restaurants, und passend zum Pessimismus unserer Zeit knabbert Pabst „Depressionskekse“ mit so frustrierenden Texten wie: „Kekse machen fett“.
Wie Zarah Leander in "Cabaret"
Gleichwohl oder gerade deshalb ist „Kawumm“ eine ausgesprochen unterhaltsame Show. Das liegt weniger an der etwas bemühten und schnell vergessenen Rahmenhandlung – der dröge Buchhalter Mutzmann träumt sich in immer neue aufregende Welten – sondern am britischen Pianisten Jack Woodhead, der mit 29 Jahren den verwegenen Entertainer gibt, halb Transvestit, halb Lederkerl, wie einer Revue der Berliner Zwanziger Jahre entsprungen. Mit rollendem „R“, Schirmmütze und Reitpeitsche klingt er, als ob sich Zarah Leander in „Cabaret“ verirrt hätte und gurrt von Kokain und Verführung. Da das natürlich ironisch gemeint ist und auch so ankommt, wirkt das nicht im Geringsten bemüht oder gekünstelt, sondern einfach nur herrlich abgedreht.
Chinese in der Oper
So abgedreht wie eine „Rammstein“-Persiflage in einem sich drehenden Betonmischer, eine (absichtlich) völlig verunglückte „durchsägte Jungfrau“ samt Motorsäge, eine überraschende statt vorhersehbare Jonglage und ein chinesischer Tenor (Ye Fei), der zu Hause tatsächlich ein Restaurant betreibt und nicht nur dort eindrucksvoll „Nessun Dorma“ aus Puccinis Oper „Turandot“ und chinesische Schlager knödelt. Diese Show ist zweifellos mutig, unerschrocken, schräg im besten Sinne.
Assistentin im Tschador
Das gilt auch für eine deutlich islamkritische Zauber-Nummer der "Collins Brothers", in der die „hübsche Assistentin“ voll verschleiert auftritt und nach jeder Blitz-Verwandlung in einem andersfarbigen Tschador da steht. Markus Pabst hat bei den zurückliegenden 300 Vorstellungen in Münster, Bad Oeynhausen und anderen Städten nach eigener Aussage viele Kilo abgenommen, ist aber immer noch füllig. Das zeigt er auch demonstrativ – und lässt sich nicht nur „betatschen“, sondern regelrecht „beklatschen“, was einen ganz eigenen Sound ergibt.
Quietschender Roboter
Bewundernswert sind die Akrobaten diesmal nicht nur wegen ihrer artistischen Nummern, sondern auch, weil fast alle nebenbei Musik machen – drei Saxofone legen los! Donial Kalex, der sich gerade im Englischen Garten einen Sonnenbrand geholt hat, lässt sich nichts anmerken und schwingt seine zwei LED-Sticks so wuchtig in die Luft, dass dabei faszinierende Muster entstehen. „Kawumm“ zeigt Haltung, macht Spaß und bringt nicht nur das Publikum zum Quietschen, sondern auch einen boxenden Roboter.
Bis 22. Juli im GOP München