Autor und Aktivist: Raphael Thelen.
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Raphael Thelens "Wut": Klimaaktivist wird Romancier

Raphael Thelen hat Anfang 2023 dem Journalismus den Rücken gekehrt. Seitdem engagiert er sich bei der "Letzten Generation". Jetzt legt er einen "Roman aus dem Herzen der Klimabewegung" vor: "Wut". Sind Klimaaktivisten nur Wutbürger der anderen Art?

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

In gewisser Weise ist "Wut" ein Familienroman. Steht darin doch über die klimaaktivistische Bewegung der Satz, sie sei "unsere Familie". "Ich fühle mich da auf jeden Fall verstanden, insofern ist sie so etwas wie eine Familie für mich", sagt der 37-jährige Raphael Thelen, der sich im Januar dieses Jahres entschloss, nicht länger als Journalist für "Spiegel" und "Zeit" zu arbeiten, sondern ins Lager der Aktivisten der "Letzten Generation" zu wechseln.

Er habe in Südafrika über die Klimakrise recherchiert, in Marokko, im Irak, erzählt Thelen: "Ich habe in der Arktis erlebt, was da passiert, mit einer Schülerin gesprochen, deren Musiklehrer von einer Lawine getötet wurde. Ich komme aus der Nähe des Ahrtals, habe da als Kind gespielt. Ich habe diese ganze Zerstörung gesehen und auch die Ursachen verstanden, wer die Klimakrise antreibt – und mich dann gefragt: Warum bin ich nicht wütender?"

Eine wutlose Generation

Diese Frage mag am Anfang der Entstehung des Romans "Wut" von Raphael Thelen gestanden haben. Eine kurze, 176 Seiten umfassende und denkbar simpel gestrickte Geschichte, die von ein paar jungen Menschen erzählt, die in der Klimabewegung engagiert sind. "Verzweiflung" könnte dieser Roman auch heißen, denn die kennzeichnet das aktivistische Dreiergespann Vallie, Wassim und Sara. Sie wissen, dass sie aufmerksamkeitsökonomisch alles richtig machen, in den sozialen Medien "ganz oben" sind und doch nicht politisch vorankommen mit ihrem Anliegen.

"Was wir ja beobachten, ist eine politische Bewegung, die sich des größten, wichtigsten Themas unserer Zeit angenommen hat, des Schutzes unserer Lebensgrundlagen", sagt Thelen im Gespräch. Diese Bewegung sei indes "sehr beherrscht, sehr friedlich, sehr strategisch, und das ist ja auch gut. Das macht ja ihre Stärke aus und ihre Anschlussfähigkeit. Gleichzeitig vermisse ich manchmal das Impulsive und die Wut, und einfach zu sagen: Bis hier hin und nicht weiter."

Eskalieren und eine Pipeline demolieren

Stattdessen hängen die jungen Aktivisten auch mal ermattet auf der Couch ab, lassen "sich einfach berieseln" von einer "Zombie-Apokalypse" auf dem Bildschirm. Von Wut haben die jungen Klimabewegten mal was bei der afroamerikanischen Anti-Rassismus-Aktivistin Audre Lorde gelesen. Ernsthaft empfunden haben sie sie kaum je, vermutlich auch, weil sich selbst ihnen die Welt so schwarz-weiß nicht darstellt wie sie vom literarischen Debütanten Thelen in seinem Roman gezeichnet wird: Hier die Guten, die jungen Idealisten, die der "Klimahorror" packt bei all den Hitze- und Flutwellen, den Extremwetterereignissen. Da die Bösen, die "CEOs in ihren Privatjets", die Champagner saufenden Chefzyniker in den Firmenzentralen.

Als mitten im schwülwarmen Berliner Sommer wieder mal tennisballgroße Hagelkörner vom Himmel herabstürzen, fassen die jungen Freunde den Plan zu radikaleren Mitteln des Protests: "Lasst uns eskalieren heute", feuern sie sich gegenseitig an und machen sich unter anderem daran, eine Pipeline-Baustelle zu sabotieren. Das erinnert sehr an die rhetorische Frage des schwedischen Aktivisten Andreas Malm aus seinem Buch "Wie man eine Pipeline in die Luft jagt": "Wann also eskalieren wir?"

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"Wut" von Raphael Thelen

Ein Buch für die Klimabewegung

Thelen betont, sein Buch sei "ein Ausloten dessen, was in diesem Spektrum von Wut und Gewalt liegt". Es würde über den zivilen Ungehorsam ebenso diskutiert wie über Sachbeschädigung: "Ich glaube, wenn man genau hinschaut, beziehe ich auch Position und sage: Was ist legitim, was ist eine Wut, deren Ausdruck noch friedfertig ist oder zumindest schützend, und wo schlägt das in eine Aggression und ins Zerstörerische um? Ich glaube, dass Sachbeschädigung moralisch teilweise gerechtfertigt sein kann, strategisch aber in die falsche Richtung führt. Deswegen bin ich kein großer Anhänger von dem, was Andreas Malm da schreibt."

Geschrieben habe er "Wut" für die Klimabewegung, als deren Teil er sich versteht, aber auch für Außenstehende, die sie begreifen wollen: "Für die ist das Buch auch ein wertvoller Einblick, eine Art Generationenporträt." Über seine Generation, die "Generation Klima", schreibt Raphael Thelen darin etwa: "Diese Generation, wir, die politisches Handeln durch die Figur des Influencers kennengelernt hatten, also durch Personen, die nicht ihre 'Community', sondern die eigene Vermarktbarkeit im Sinn haben, wir begriffen irgendwann, dass die Sache mit dem Klima nichts Privates ist. Wir politisierten uns jung, jünger als frühere Generationen. Frühreif und schnell alternd."

"Letzte Generation" auf Bayerns Straßen unterwegs

Dieser Tage sind die, die sich die "Letzte Generation" nennen, wieder verstärkt auf Bayerns Straßen unterwegs. Das geschehe aus gleichsam verfassungspatriotischer Verpflichtung, meint Raphael Thelen, denn mit den "Latschdemos", wie er sie im Buch nennt, wolle man auf den "Verfassungsbruch" der Bundesregierung aufmerksam machen: "Bayern muss vorneweg gehen. Bayern ist das stärkste Bundesland Deutschlands. Hier muss es passieren. Hier wurde vor 75 Jahren das Grundgesetz geschrieben, auf der Insel Herrenchiemsee. Das ist für uns Anlass genug, das Jubiläum zu nehmen und zu sagen: Wir müssen aktiv werden."

Utopie mit "Schnippeldisko"

Raphael Thelens Roman "Wut" endet in einer Utopie, die man wahlweise himmelschreiend naiv oder auch rührend wird nennen müssen. Raphael Thelen freilich nennt sie im Gespräch "einen Traum, eine Vision": Alle haben sich lieb, beziehungsweise Sex am Seeufer, veranstalten "Schnippeldiskos" oder renaturieren Moore. Und selbst ein Sattelschlepperfahrer namens Wolfgang schließt sich der Klimabewegung an: "Ich glaube, was die Fiktion leisten kann, ist neue Horizonte aufzumachen", sagt der literarische Aktivist Thelen: "Das versuche ich in dem Buch ja auch. Es ist eine Reflektion über Wut als politische Emotion, aber auch eine Ermunterung: Hey, es muss nicht alles so bleiben, wie es ist. Es könnte auch viel besser sein."

Raphael Thelen: Wut. Roman. Arche Verlag. Zürich 2023. 176 Seiten. 20 Euro

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