Reinhold Messner gehört zu den bekanntesten Bergsteigern der Welt. Sein Leben ist geprägt von physischen und psychischen Grenzerfahrungen. Der gebürtige Brixener bezwang als Erster alle 14 Achttausender der Erde ohne Sauerstoffhilfe. Und mit seinen Publikationen trug der Alpinist wesentlich dazu bei, dass Bergsteigen als Extremsport immer beliebter wurde.
Außerdem gründete er die sechs Messner Mountain Museen: Wer richtig tief eintauchen möchte in die Kultur- und Berggeschichte, wer etwas erfahren möchte über das Verhältnis zwischen Mensch und Berg, ist hier richtig. Messner ist Abenteurer, Politiker und Filmemacher und auf Schloss Juval in Südtirol zuhause. Mit seinem Engagement, das begeistert und polarisiert, ist er durchaus erfolgreich, hat er sich doch stets neu erfunden. Beim Film "Mythos Cerro Torre" führte er zum vierten Mal Regie.
Extrembergsteiger Reinhold Messner gestrandet
Reinhold Messner scheint in jeder Hinsicht unermüdlich: Erst stellte er den beeindruckenden Dokumentarfilm über die rätselhafte Erstbesteigung des Cerro Torre in Patagonien fertig, dann war er noch in Äthiopien beim Bergsteigen. Nur die Vortragsreihe musste er dann unterbrechen: Krisenbedingt sitzt die Bergsteiger-Legende gerade mit seiner Partnerin in München fest.
"Den Gleichmut, den ich mir angeeignet habe bei diesen schwierigen Expeditionen, die ich gemacht habe, setze ich jetzt ein, um nicht durchzudrehen, um nicht zu verzweifeln, um das zu ertragen", kommentiert Messner die Zwangspause. Für die BR Redaktion kinokino und die BR KulturBühne war der Stopp in München die perfekte Gelegenheit, Reinhold Messner zu treffen – für ein Gespräch mit dem Filmemacher, der auch in der flachen Großstadt ungern stillsitzt.
Unbezwingbarer Gipfel in den Anden
Und so berichtet Reinhold Messner von seinem vierten Film, den er einem der schwierigsten Berge der Welt gewidmet hat: dem majestätischen Cerro Torre im Süden Argentiniens. Mit seinen 3.128 Metern ist der Berg nicht besonders hoch, aber die eisig-steile Granitnadel macht das Erreichen des Gipfels fast unmöglich. Ein winziger Fehltritt kann zum Verhängnis werden. Toni Egger bezahlte den Cerro-Torre-Aufstieg 1959 mit seinem Leben. Zusammen mit Cesare Maestri soll er damals als erster oben gewesen sein. Angeblich. So erzählt es zumindest der Italiener Maestri, der die Expedition überlebte.
Reinhold Messner beschäftigt sich seit 50 Jahren mit dem "kühnen" Cerro Torre und den teils widersprüchlichen Geschichten, die sich um diesen unbezwingbaren Giganten ranken – wie die angebliche Erstbesteigung. Daraus entstand die Idee eines Films: "Mythos Cerro Torre". In den "Messner Mountain Museen" in Südtirol befinden sich Funde der Ausrüstung wie Eispickel und Seil, aber auch die Notizen und Aufzeichnungen Cesare Maestris zur Tour mit Toni Egger 1959.
Obwohl der Extrem-Bergsteiger Messner selbst nie oben auf dem Cerro Torre war – Klettern geht seit dem Verlust von sieben Zehen nicht mehr gut – zeigt er in seinem Berg-Epos, dass Maestris Schilderungen schlichtweg falsch sind: "Der Berg beweist uns, dass die Geschichte nicht so passiert ist – so wie sie der noch lebende Akteur Cesare Maestri vorgibt – und wir folgen ihm mit Verständnis."
Berg-Besessenheit und traumatische Erfahrungen
Nur zu gut weiß Reinhold Messner wie es ist, seinen Partner am Berg zu verlieren. Bei der Erstbesteigung der Südwand des Nanga Parbat 1970 verlor er nicht nur Zehen, sondern auch seinen jüngeren Bruder: Günther stürzte beim Abstieg ab und starb. Messner überlebte, doch die Erlebnisse sind tief in seiner Seele verankert. So hat er nicht nur eine ähnliche Erfahrung gemacht wie Cesare Maestri: Auch Messners erschütternde Darstellung der Tour vom Nanga Parbat wird bis heute angezweifelt – wie Maestris Schilderung des Dramas am Cerro Torre.
Allerdings gehen beide grundverschieden mit diesen traumatischen Extremsituationen um: Während Reinhold Messner stets um eine minutiöse Aufarbeitung der Geschichte am Berg und um Aufklärung bemüht war, verwickelt sich Cesare Maestri, damals "Spinne der Dolomiten" genannt, über die Jahre in ein Netz von Widersprüchen und schweigt, wie Messner berichtet: "Und auf die Frage, die einzige Frage den Cerro Torre betreffend – wie ist Toni genau gestorben – hat er gesagt: 'Das wird nie jemand erfahren. Da liegt ein Stein drauf, ein Felsen, so groß wie der Cerro Torre selbst, und der kann nicht gehoben werden.'"
Detektivische Spurensuche am Berg
Diese Aussage lässt Reinhold Messner, der Klarheit will, keine Ruhe. Er begibt sich auf Spurensuche und versucht, das Geheimnis um die Erstbesteigung zu lüften. Fast detektivisch geht der Regisseur im Film "Mythos Cerro Torre" vor. Er dreht in den Anden, an wunderschönen Original-Schauplätzen, zieht Zeitzeugen und Bergsteiger-Spezialisten zu Rate. Mit einem Forscher-Team tastet er sich Schritt für Schritt voran – bis zur Spitze, bis kein Zweifel mehr besteht.
Der Film zeigt, in welche Obsessionen die höchsten Gipfel Menschen treiben, wie dünn die Luft ganz oben ist und in welche Intrigen sie sich verwickeln. Die wahrhafte Geschichte lässt Messner vom Felsen selbst erzählen, denn "Berge sind absichtslos und lügen nicht." Die nicht vorhandenen Beweisstücke sagen ihm genug, erklärt Messner: "Wenn sie da im Gipfelbereich oder 200 Meter drunter einen einzigen Haken im Felsen gefunden hätten, der kleiner ist als dieser Finger, hätte ich gesagt, ich habe mich geirrt. Liebe Cesare, kriegst von mir ein Telegramm. Ich entschuldige mich."
Im Film deckt Messner das Konstrukt aus Lug und Trug um die Erstbesteigung des Cerro Torre auf und zeigt gleichzeitig Verständnis für die damaligen Geschehnisse. Das ist spannend. Die Dokumentation macht nachvollziehbar, was passiert, wenn ein Alpinist die Zivilisation verlässt und in die Wildnis geht: Plötzlich befindet man sich in einer archaischen Welt, geht anarchisch vor und muss nach den inneren Gesetzen leben: "Wenn jemand nicht mehr auskommt, wird er versuchen, sein Leben zu retten, weil der Selbsterhaltungstrieb der stärkste ist. Und wenn jemand behauptet, dass der Mensch nicht auch ein Egoist sei, hat er von der menschlichen Natur keine Ahnung."
Scheitern gehört dazu
Für Messner gehört auch Scheitern zum Leben. Und das macht den Film "Mythos Cerro Torre" interessant. Er erzählt gleichermaßen von der erfolgreichen Bezwingung des Berges wie vom mühsamen Umgang mit Misserfolgen.
Durch die mächtigen Landschaftsaufnahmen wähnt man sich auf einer Fernreise nach Patagonien und auf einer Zeitreise – als die Bergwelt noch in Ordnung war. Reinhold Messner mischt bildgewaltige Bergpanoramen mit Spiel- und Dokumentarfilmszenen. Deshalb ist "Mythos Cerro Torre" nicht nur ein Muss für Bergfans.
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