"Ich hab am Broadway gewohnt – gleich neben dem Haus des Lügners." Ry Cooder
Bereits mit der ersten Zeile deutet Ry Cooder an, gegen wen sich er sich mit seinem neuen Album wendet. Auch wenn sich der Trump-Tower an der Fifth Avenue befindet, die Bezeichnung Haus des Lügners dürfte gleichwohl als passende Metapher für das Fake-News-Zeitalter durchgehen. "Lasst mich erzählen, wie es mir erging. Der alte Satan hatte mich gefesselt und angekettet - ohne einen Funken Hoffnung'', heißt es weiter in Straight Street, einem Gospelsong, der erstmals in den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts veröffentlicht wurde.
Google-Männer kommen in die Stadt
Auf die brillante Eröffnung folgen zwei Eigenkompositionen von Cooder. In Shrinking Man zeichnet er ein ironisches Porträt des weißen Mannes, der nicht weiß, wie er aus der Krise heraus kommen soll und in Gentrification wird ein aktuelles Übel des Turbo-Kapitalismus beschrieben. Die Google-Männer kommen in die Stadt, warnt Cooder, als Folge davon müsse man in der Küche schlafen, mit Beinen, die in den Korridor ragen.
"Gospel geht immer"
The Prodigal Son, der verlorene Sohn ist Cooders erste Studio-Album seit sechs Jahren. Auf den Vorgänger-Platten wie etwa Election Special hatte der Meistergitarrist und Weltmusikpionier noch mit strengen Konzepten gegen die Ära von Bush-Junior gewettert. Doch mit linkem Wunschdenken ist einem Phänomen wie dem aktuellen US-Präsidenten nicht bei zu kommen, da müssen höhere Weihen her.
Gospel geht schließlich immer, könnte man meinen. Die Gattung wird ja gern von älteren Pop-Künstlern wie etwa Tom Jones aufgegriffen. Ry Cooder aber, von jeher ein Moralist, zeichnet mit alten Songs ein Sittenbild vom Amerika unserer Tage, einer Welt voller Leiden, Gefahren und Unterdrückung.
Aus allergrößter Distanz
Dabei gibt sich Cooder auf seinem neuen Opus magnum entspannt wie selten. Gestalten wie Donald Trump, die nach der Regierung des ersten schwarzen Präsidenten um die Stimmen von offenen Rassisten vom Ku-Klux-Klan buhlen, ist eben nicht zu helfen. Um die Situation richtig ein zu schätzen, ist der Blick von ganz oben jedoch nützlich, aus allergrößter Distanz, sozusagen, wie Ry Cooder mit zeitlosen Gospel-Songs nahelegt.
Unaufgeregte Gitarren-Arbeit
Sie waren ein Träumer, Mr. Guthrie - und ich auch, bekennt Ry Cooder in der Eigen-Komposition Jesus and Woody und spricht sich für einen weltoffenen Humanismus aus. Mit lässigem Charme wirbt er für eine abgeklärte Weltsicht. Und auch wenn Ry Cooder nie ein großer Sänger war und ist: Selten hat man den 71-jährigen jedenfalls beseelter gehört als auf diesem Album, von der wunderbar ökonomischen, unaufgeregten Gitarrenarbeit einmal ganz zu schweigen. Ein feines Album, mit so ziemlich dem Besten, was Ry Cooder seit Bop Till You Drop oder Get Rhythm aufgenommen hat.