So sieht der Hubschrauber aus, der in der Ukraine landete
Bildrechte: Valentin Jegorschin/Picture Alliance

Symbolfoto: Russischer Helikopter Mi-8

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Skurriler Bloggerkrieg: Ist russischer Heli-Pilot Überläufer?

Zwischen Moskau und Kiew ist ein groteskes Propagandaduell entbrannt, nachdem ein russischer Hubschrauberpilot offenbar "vom Kurs abkam". Die eiligen Erklärungsversuche widersprechen sich frontal, die Militärblogger zeigen sich elektrisiert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die dürre Tatsache als solche wird von keiner Seite bestritten, aber ansonsten gehen die Meinungen denkbar weit auseinander, es gebe "viele Ungereimtheiten": Bereits am 9. August soll ein russischer Helikopter Mi-8, der auf dem Weg von Kursk nach Millerowo in der Region Rostow am Don gewesen sein soll, auf ukrainischem Boden gelandet sein. An Bord sollen neben dem Piloten zwei Besatzungsmitglieder gewesen sein. Die Moskauer Version des aufsehenerregenden Zwischenfalls geht so: "Aus irgendeinem Grund verlor die Besatzung die Orientierung und überquerte die Frontlinie. Vielleicht gab es elektronische Desorientierungsversuche seitens der Ukrainer, vielleicht einen Navigationsfehler, oder das GPS hat längere Zeit nicht mehr funktioniert. Versuche, das in Ordnung zu bringen, scheiterten." Als die Besatzung gemerkt habe, dass sie sich dem Flugplatz Poltawa in der Ukraine näherte, habe sie durchstarten wollen, doch sie sei vom Boden aus beschossen worden.

Propagandist: "Ukrainer lügen immer"

Die russischen "Z-Blogger", also die kremlnahen Propagandisten, baten "dringend" darum, keine anderen Versionen in Umlauf zu bringen: "Da es keine anderen Versionen geben kann." Der Putin-Fan und "Politologe" Sergej Markow schrieb, das sei die "wahrheitsgetreue russische Version", dann gebe es noch eine gegenteilige aus Kiew, aber die dortigen Behörden würden ja "immer lügen". Ein weiterer russischer Blogger meinte: "Ein informierter Personenkreis wusste schon lange von dieser Situation, bis auf einige Details warteten alle auf weitere Aufklärung, daher wurde dem Netz nichts mitgeteilt. Jetzt hat es keinen Sinn mehr, sich zu verstecken, der Kommandant ist in Gefangenschaft."

"Sichtbare" Schäden am Heli widerlegten die ukrainischen Behauptungen, das alles sei eine lange vorbereitete Flucht gewesen, argumentieren Putins Propagandisten. Die Schäden belegten, dass der Pilot versucht habe, in letzter Minute noch wegzufliegen, "jedoch angegriffen" worden sei.

"Unmöglich scheint das nicht"

In einem der größten staatstragenden russischen Telegram-Kanäle, Rybar (1,2 Millionen Abonnenten), heißt es, der "einzige objektive Beweis" für das Geschehen seien "ein paar Fotos eines Hubschraubers, der irgendwo auf einem Feld in der Region Charkiw gelandet" sei. Der "Feind" nutze den Vorfall auf "eine für ihn vorteilhafte Weise" nach Kräften aus. Die Annahme, der Pilot habe die Orientierung verloren, sei am "logischsten", so Rybar: "Unmöglich erscheint das nicht, es gab bereits solche Geschehnisse eines versehentlichen Fluges über die Frontlinie, und die Luftverteidigung in der Region Charkiw ist seit dem Frühjahr geschwächt und könnte das Objekt verfehlt haben."

Blogger Roman Aljeschin zeigte sich entgeistert, dass der Kreml zwei Wochen lang abwartete, ohne sich zu dem ungeklärten Verbleiben des "vermissten" Hubschraubers zu äußern: "In unserem Land erklären alle Strategen und die Spitzen des Verteidigungsministeriums, dass wir einen hybriden Krieg haben. Worauf haben die zwei Wochen nach dem Verschwinden des Hubschraubers gewartet? Haben sie darauf gewartet, dass die Ukrainer eine wirkungsvolle Informationsoffensive für den nächsten Erfolg vorbereiten, um dann Ausreden zu erfinden? Nun, ein schönes Geschenk zum [ukrainischen] Unabhängigkeitstag. Muss ich erklären, wie das in den Medien wahrgenommen wird? Es ist seltsam, warum das so viele Leute kapieren, aber nicht in der Region Moskau." Offenbar sei dort nicht so wichtig, wie die Arbeit erledigt werde, sondern wer welches Büro habe.

"500.000 US-Dollar für jeden Heli"

Ganz anders die Nachrichten aus ukrainischen Blogs. Dort ist von einer "Sonderoperation" des eigenen Geheimdiensts die Rede, die insgesamt sechs Monate gedauert habe. Die Familie des russischen Piloten sei vor der als Fahnenflucht ausgegebenen Aktion in die Ukraine gebracht worden. Dann sei der Hubschrauberpilot selbst über die Grenze geflogen, ohne Wissen der beiden Besatzungsmitglieder, die bei der Landung ums Leben gekommen seien. Auf welche Weise, dazu gab es keine Angaben. Die Maschine habe Ersatzteile für russische Su-27 und Su-30-Kampfjets geladen gehabt: "Russische Piloten erhalten 500.000 US-Dollar für jeden Hubschrauber, den sie in die Ukraine fliegen, und für die Piloten und ihre Familien werden Personaldokumente für andere Länder ausgestellt."

"Sie müssen noch etwas warten"

Der Heli sei "völlig intakt" und werde künftig für die ukrainische Luftwaffe fliegen. Nicht ausdrücklich bestätigt wurde die Angabe, dass die Maschine in Poltawa landete. Womöglich sei die "Servolenkung" des Mi-8 an dem "Navigationsfehler" schuld gewesen, spottete ein ukrainischer Beobachter. Ein ukrainischer Journalist kündigte baldige "offizielle Informationen" an: "Sie müssen noch etwas warten. Mit der Crew wird zusammengearbeitet. Es ist alles in Ordnung, es wird Neuigkeiten geben."

Ein offenbar gut informierter russischer Insider behauptet zu dieser Nachrichtenlage, es seien keine Angehörigen eines russischen Piloten in die Ukraine gebracht worden: "Was genau passierte, ist nicht zuverlässig bekannt geworden. Aber ich bin enttäuscht." Aus "bestimmten Gründen" könne er keine weiteren Infos beisteuern: "Unsere Luftstreitkräfte sind ein Opfer der Situation." Auffällig ist jedoch die Formulierung: "Verrat hin oder her, es ist noch zu früh, eine tatsächliche Bewertung abzugeben." Ein weiterer russischer Blogger will Kontakt zu der Familie des Piloten haben, die sich noch in Russland befinde.

Zwei Wochen alter "Coup"

Einmal mehr wird durch dieses bizarre Propaganda-Duell deutlich, dass es in Kriegszeiten für die Konfliktparteien wichtig ist, besondere Vorkommnisse schnellstmöglich im eigenen Interesse zu interpretieren und eine möglichst effektvolle Variante in Umlauf zu bringen. Dabei hoffen alle Beteiligten, dass die Fakten gar nicht oder jedenfalls so spät aufgeklärt werden, dass sie für die Militärs keine Rolle mehr spielen. Je höher allerdings der argumentative Aufwand, desto verdächtiger die jeweiligen Verlautbarungen. Die dringliche Aufforderung Moskauer Blogger an ihre Leser, ihre offiziösen Mitteilungen auf gar keinen Fall in Frage zu stellen, spricht insofern nicht gerade für deren Glaubwürdigkeit. Andererseits erscheint es ebenso fragwürdig, dass die Ukraine ausgerechnet vor ihrem Unabhängigkeitstag am 24. August mit so einem offenbar schon zwei Wochen alten "Coup" auf den Nachrichtenmarkt geht. Wenn er zuträfe, wäre Putin fürchterlich blamiert. Wenn die Geschichte nichts als eine Geheimdienst-Fantasie ist, wird sie im Strom der Kriegsereignisse schnell vergessen sein. Für die potentiellen "Macher" hielte sich das Risiko also in Grenzen.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!