Das Wort Rasse durchgestrichen in einem Wörterbuch
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Das rassistische Erbe unserer Sprache

Das rassistische Erbe unserer Sprache

Dass das N-Wort nicht geht, ist klar. Doch nicht immer sind rassistische Wörter so leicht zu identifizieren. Im Interview erklärt die Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt, wie man problematische Ausdrücke erkennt – und umgeht.

Manche Worte wirkten wie "winzige Arsendosen", schreibt der Philologe Victor Klemperer, der sich vor allem mit der Sprache des Nationalsozialismus befasst hat. Und weiter: "Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu haben und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da." Mit diesem Zitat beginnt auch das neueste Buch der Literaturwissenschaftlerin Susan Arndt (Universität Bayreuth), die sich nicht mit dem Nazisprech im Speziellen, sondern allgemein mit den Rassismen beschäftigt, die unseren Wortschatz bis heute vergiften. Mal mehr, mal weniger offensichtlich. Im Interview erklärt sie, wie wir problematische Ausdrücke erkennen – und umgehen. [Rassismen werden im Folgenden durch ein vorangestelltes * markiert]

Tobias Stosiek: Frau Arndt, ehe wir anfangen, über problematische Worte zu sprechen, über rassistische Begriffe und auch darüber, wie man sie umgehen kann – lassen Sie uns kurz einen Schritt zurücktreten, denn Sie schreiben ja selbst in Ihrem Buch, dass es darum gehe, "über Rassismus zu sprechen, ohne ihn zu reproduzieren." Deswegen kürzen Sie in ihrem Buch viele Ausdrücke ab oder streichen sie durch. Jetzt stellt sich die Frage: Wie machen wir das mündlich? Im Fall des N-Worts ist die Sache klar, das sprechen wir natürlich nicht aus. Aber wie verhält es sich zum Beispiel mit dem sogenannten *Sklavenhandel? Auch ein Ausdruck, von dem sie zeigen, dass er problematisch ist. Reicht hier der die Einschränkung durch "sogenannt"?

Susan Arndt: Das ist für mich eine ganz wichtige Frage: Wo stehen wir im Versuch, über Rassismus zu sprechen, ohne ihn zu reproduzieren? Im Buch schreibe ich Wörter meistens einmal aus und kürze sie dann ab. Mündlich ist das schwieriger. Aber wir können natürlich einen Kontext schaffen, indem wir Ausdrücke deutlich als rassistisch benennen. Und ich bemühe mich auch beim Sprechen, ein rassistisches Wort nicht weiter zu wiederholen, wenn ich es einmal angesprochen habe und es Thema bleibt.

Dann versuche ich, mich Ihrem Bemühen anzuschließen und Disclaimer einzubauen, wann immer wir über einen rassistischen Begriff sprechen. Zum Thema: Sie borgen sich in Ihrem Buch ja eine Metapher von Viktor Klemperer: Worte seien so etwas wie "winzige Arsendosen". Worin äußert sich die schleichende Giftwirkung rassistischer Begriffe? Oder anders: Was macht Sprache zu einem so zentralen Schauplatz für Rassismus? Es gibt ja diesen beliebten und oft gehörten Einwand gegen diskriminierungs- oder rassismussensibles Sprechen, der da lautet: 'Das ist doch nur ein Nebenschauplatz.' So nach dem Motto: 'Haben wir nicht eigentlich wichtigere Probleme…?'

Nun, wir wissen ja alle, wie wir reagieren, wenn wir verbal beleidigt werden. Und schon an diesem profanen Beispiel sieht man, dass Sprache sehr viel Macht darüber hat, wie wir uns fühlen – wie wir uns in einem kleinen Kontext fühlen, aber auch in der Welt. Deswegen ist Sprache eben nicht einfach eine Abbildung von irgendwas oder ein Nebenschauplatz, sondern Sprache handelt, sie erzeugt Welt. Und wir handeln dadurch, wie wir mit den Wörtern, die unsere Sprache zur Verfügung stellt, umgehen. Wählen wir sie oder vermeiden wir sie? Daraus spricht immer auch eine bestimmte Weltsicht…

Sie holen ja sehr weit aus, um die Weltsicht zu beschreiben, die aus rassistischen Begriffen spricht. Sie gehen zurück bis zu den Anfängen des europäischen Kolonialismus, manchmal sogar noch weiter – bis zu den alten Griechen. Brauchen wir denn diesen gewaltigen historischen Kontext, um zu verstehen, wieso ein Begriff rassistisch ist?

Ja, ich denke schon, denn sonst kommt man ganz schnell dazu zu sagen: 'Ach, Sprache ist doch nicht so wichtig, ist doch nur ein Nebenschauplatz.' Aber wenn wir zurückblicken, dann sehen wir, dass der Kolonialismus schon in der frühen Neuzeit – dem Zeitalter des Humanismus, der Aufklärung – die geltenden Vorstellungen von Recht verletzt hat. Da wurden Ländereien und Ressourcen geraubt, Menschen versklavt, viele umgebracht, ja sogar ganze Gesellschaften ausgelöscht. Diese Verbrechen mussten erklärt werden. Und das geschah dadurch, dass man behauptete, man habe es hier gar nicht mit Menschen zu tun, zumindest nicht mit vollwertigen Menschen. Genau dafür wurde der Begriff der *Rasse konstruiert. Und viele Wörter, die sich daran anschließen und die Idee verkünden: 'Das sind keine vollwertigen Menschen, die sind eigentlich Teil der Natur. Wir aber, wir Weißen aus Europa, wir repräsentieren die Zivilisation, den Fortschritt.' Und wenn wir uns diese Genese rassistischer Begriffen anschauen, wird klar: Die wurden von Anfang an dazu benutzt, Gewalt zu rechtfertigen. Ich denke, das macht es leichter nachzuvollziehen, weshalb daraus eine so gewaltvolle Perspektive auf Schwarze, auf People of Colour spricht. Und dazu ein sehr problematisches weißes Selbstverständnis: Leute so zu benennen, wie es einem passt, um die eigenen Übergriffigkeiten und Gewaltaktionen zu legitimieren.

Ein Beispiel für einen Begriff, der gewaltsames Handeln legitimiert oder legitimiert hat, ist die Rede vom *Sklavenhandel. So zu sprechen suggeriert, man habe es hier mit einem rein wirtschaftlichen Zusammenhang zu tun und nicht mit einer Geschichte massiver Gewalt, von Menschenraub und Massentötung. Wenn man nach so etwas sucht wie einer allgemeinen Definition rassistischer Ausdrücke, könnte man dann sagen, das sind eigentlich immer euphemistische Ausdrücke, also solche, die einen Gewaltzusammenhang gleichzeitig verschleiern und rechtfertigen?

Das ist auf jeden Fall eine Kategorie rassistischer Begriffe. Sie verschleiern, dass eigentlich eine Gewalthandlung stattfindet – wie beim *Sklavenhandel. Es gibt aber auch noch andere Aspekte, die rassistische Wörter ausmachen. Eigentlich immer steckt die Idee von *Rasse in ihnen – also die Vorstellung, dass Menschen nach *Rassen sortiert werden können, wobei die weiße *Rasse allen anderen überlegen ist. Aus diesem Prinzip heraus werden Menschen abgewertet. Entweder, indem sie in die Frühzeit europäischer Entwicklung gesteckt werden – was sich etwa in der Rede von *Stämmen andeutet – oder aber, indem sie mit Natur gleichgesetzt werden (*Naturvölker, *Buschmänner). In diesem Spektrum bewegt sich das: Zuschreibung von Minderwertigkeit auf der einen Seite – Aufwertung des Weißseins auf der anderen.

Bei manchen Begriffen liegt das ja sehr klar auf der Hand. Ich denke wieder an das N-Wort. Aber auch beim sogenannten *Sklavenhandel ist es, denke ich, relativ offensichtlich. Sie zeigen aber auch, dass Ausdrücke wie zum Beispiel "*Lateinamerika" problematisch sind. Oder, was ich noch interessanter fand, die Rede davon, die Europäer hätten Amerika *entdeckt. Worin liegt das Problem?

In dem, was Sie schon angesprochen haben: Es ist ein Euphemismus für das, was passierte, als Kolumbus und seine Entourage 1492 an der amerikanischen Küste landeten. Er begegnete dort Menschen – trotzdem benutzte er das Wort "*entdecken" oder "*Neue Welt". Entdecken kann man ja eigentlich nur etwas, was Menschen vorher nicht bekannt ist. Aber wenn ich auf Menschen treffe, kann ich schlecht behaupten, dieses Territorium sei Menschen noch nicht bekannt gewesen. Es sei denn, ich schreibe ihnen eben das vollwertige Menschsein ab. Und genau das passierte: 'Ich *entdecke dieses Territorium und gründe dort eine *Neue Welt!' – Das ist die weiße, rassistische Perspektive.

Müsste man nicht eigentlich auch aufhören, den Ausdruck "Kolonialismus" selbst zu verwenden? Denn Sie zeigen ja, dass auch in diesem Wort eine krasse Verharmlosung drinsteckt – weil es vom lateinischen "colere" herkommt, was so viel bedeutet wie "bebauen", oder "pflegen"; weil das Wort also so tut, als hätten die Europäer einfach unberührte Natur erschlossen und nicht auf brutalste Weise anderen ihre Heimat weggenommen …

Ja, da würde ich auf jeden Fall zustimmen. Aber gleichzeitig machen Begriffe ja immer auch Bedeutungswandel durch. Und ich glaube, wenn wir heute den Begriff "Kolonialismus" hören, dann schwingt auf der Bedeutungsebene sehr stark mit, was real passiert ist, nämlich Landraub, Versklavung, Mord. Insofern können sich Begriffe auch weiterentwickeln, indem sie kritisch verwendet und kritisch reflektiert werden. Und ich glaube, das ist mit dem Begriff Kolonialismus ausreichend geschehen, so dass wir, wenn wir das Wort heute hören, nicht mehr an eine friedvolle Eheschließungen anderer Kontinente denken.

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Prof. Susan Arndt

Wir haben jetzt viel über Ausdrücke gesprochen, die historische Zusammenhänge oder Phänomene beschreiben. Aber Sie schauen sich natürlich auch heutige Begriffe an. Etwa die Rede von *Farbigen – ein Ausdruck, von dem ich mir gar nicht sicher bin, wie weit er noch verbreitet ist. Ich habe zumindest den Eindruck, dass er es bis vor kurzem noch sehr stark war. Wir haben sogar mal in der Redaktion darüber diskutiert. Damals kam der Einwand auf: 'Wieso soll das problematisch sein? Das ist doch eigentlich ein Pendant zum englischen Ausdruck People of Colour!' Ist es aber nicht, oder...

Nein, ist es nicht. Ganz im Gegenteil. Also die Rede von *Farbigen steht eher in der Tradition von *Coulored. Und daraus spricht die Normsetzung von Weißsein. Alle anderen *Rassen, die daraus ausgeschlossen wurden, galten als *Farbige. Auch im Deutschen. Der große Unterschied zu People of Color ist der Zusatz "People of". Damit wird betont: Das sind Menschen! Es wird also genau das markiert, was man versucht hat, *Farbigen abzusprechen – sie seien so anders, dass sie eigentlich gar keine Menschen mehr sind. Und dann kommt noch dazu, dass "People of Colour" ein Begriff ist, der sich aus der Bürger*innenrechts-Bewegung heraus etabliert hat, während das Wort "*Farbige" aus dem Kolonialismus heraus geprägt wurde. Deswegen kann man sie keinesfalls analog setzen.

"People of Color" ist ja ein Begriff, der längst auch im Deutschen geläufig ist. Ein Widerstandsbegriff – so nennen Sie ihn. Woran liegt es eigentlich, dass viele solcher Widerstandsbegriffe aus dem Englischen kommen? Ist dort die rassismuskritische Debatte lebhafter als hier?

Ja, ich denke schon. In den USA wurde im Zuge der Bürger*innenrechts-Bewegung schon in den 60er-Jahren versucht, aus diesen rassistischen Begriffen auszusteigen und Gegenbegriffe zu verwenden und zu profilieren. Gleichzeitig ist der Schwarze Widerstand oder allgemeiner der Widerstand von People of Colour ein globales Phänomen. Da wird international kommuniziert und Solidarität geübt. So wachsen dann Begriffe auch in andere Sprachen hinein. Das ist ja auch kein ungewöhnlicher Vorgang, wenn Sie daran denken, wie viele Anglizismen während der Coronakrise ins Deutsche übernommen wurden. Aber bei People of Colour heißt es dann häufig: 'Das klingt komisch, das ist doch ein englischer Begriff…'

… weil Sie es ansprechen: Woran glauben Sie liegt es, dass Anglizismen in diesem Kontext stärker abgelehnt werden als in anderen?

Also ich glaube, dass es insgesamt noch an der Bereitschaft magelt, über Kolonialismus, über Rassismus zu reflektieren – oder über die Bedeutungen zu sprechen, die Wörter, die in diesem Kontext entstanden sind, bis heute haben. Und diese Weigerung wird dann oft auf diese Scheindebatte projiziert. Nach dem Motto: 'Ich will einfach keine Anglizismen benutzen!' Aber eigentlich steht dahinter die Verweigerung demgegenüber, dass sich die deutsche Gesellschaft mehr und viel stärker als bisher mit der eigenen Verantwortung für den Kolonialismus und dessen Erblast bis in die Gegenwart hinein auseinandersetzt.

Jetzt erscheint Ihr Buch ja im Dudenverlag, also dem Verlag, der das maßgebliche deutsche Wörterbuch herausgibt. Wie weit ist man denn dort in Sachen Rassismuskritik?

Also, ich habe in den letzten 20 Jahren immer wieder in die neuen Editionen des Duden geschaut und habe festgestellt, dass Debatten dort durchaus aufgegriffen wurden. Viele Wörter, die vor 20 Jahren noch im Duden standen, ohne dass sie irgendwie als diskriminierend markiert wurden, werden jetzt gekennzeichnet. Teilweise noch nicht ausreichend. Da steht dann "veraltet" statt "rassistisch". Da sind wir wieder beim Euphemismus. Aber ich sehe auch, dass in dieser wirklich wichtigen Institution, in der die Macht der Worte natürlich allen präsent ist, sehr, sehr intensive Debatten stattfinden. Und das finde ich ganz großartig, denn ich habe es immer wieder erlebt, dass Leute zu mir sagen: 'Das kann gar nicht diskriminierend sein, denn im Duden steht nicht, dass es diskriminierend ist!'

Der Duden wird also so wahrgenommen wie ein neutraler Wortkanon, oder?

Genau. Aber auch hinter dem Duden stehen natürlich Perspektiven: Wer sind die Autor*innen, die Redakteur*innen? Aus solchen Wörterbüchern sprechen immer auch Meinungen, bestimmte Positionen – und häufig eine sehr stark weiß-zentrierte Position. Sich das bewusst zu machen, ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Schritt. Und das passiert auch. Wir sehen hier eigentlich sehr schön, wie dieser Kreislauf funktioniert: von Sprache und Denken zu gesellschaftlichen Strukturen und Institutionen, die sich durch diese Reflexionsprozesse auch hinterfragen und ändern müssen – und das auch tun.

Das Buch "Rassistisches Erbe. Wie wir mit der kolonialen Vergangenheit unserer Sprache umgehen" von Susan Arndt erscheint am 16. Mai im Dudenverlag und kostet 22 Euro.

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