Leidend hängt er an seinem Felsen, der Adler zupft an seiner Leber, wie es der antike Mythos verlangt - aber dieser Prometheus hat noch mit ganz anderen Problemen zu kämpfen. 34 schwarze Schläuche durchbohren seinen Marmor-Körper, der an vielen Stellen schon rostig braun angelaufen ist und sich langsam aber sicher auflösen wird. Prometheus wird hier zur Nahrungsquelle für sogenannte chemolithoautotrophe Bakterien – sie fressen ihn von innen auf. Die Bakterien zählen zu den ältesten Lebewesen der Erde, sind sehr resistent, brauchen keinen Sauerstoff und haben die Fähigkeit, Gestein zu zersetzen. Aber das ist nur eine Station in dem Laboratorium, das Thomas Feuerstein in der Münchner Eres-Stiftung aufgebaut hat.
Thomas Feuerstein: „Mein Interesse als Künstler ist die Gegenwart, und die meisten Tätigkeiten in unserem Alltag sind technologisch organisiert – das ist die Bedingung unsere Existenz, und mich interessiert es, damit in meiner künstlerischen Arbeit umzugehen und, es in eine neue Form zu bringen und auch in einen politischen oder ökonomischen Kontext zu stellen.“
Von seinem modernen Prometheus aus mäandern die Schläuche mit der ätzenden Bakterien-Lösung durch die ganze Ausstellung. Ein Teil fließt in einen Filter, wo das abgespalten wird, was die Bakterien nicht weiter verarbeiten können – Gips. Daraus lässt Thomas Feuerstein Stifte pressen, mit denen er zeichnet. Ein anderer Teil läuft in seine „Ovid-Maschine“, ein Verwandlungsapparat, in dem rätselhafte Tropfstein-Skulpturen entstehen. Ein weiterer Teil der Bakterien-Soße gelangt in eine Art Bio-Reaktor: eine Versuchsanordnung, wie sie auch in einem modernen Labor stehen könnte, wo Zellkulturen erforscht werden. Natürlich werden in der Eres-Stiftung keine Körper-Zellen vermehrt oder extrahiert – aber in einem großen Glas wabert milchig-weiß ein echtes Organoid aus echten Leberzellen. Organoide sind Mini-Organe, die Wissenschaftler z.B. für Medikamenten-Tests züchten. Für Feuerstein, der Labore liebt und in engem Austausch mit Forschern steht, sind es
künstliche, aber eben auch künstlerisch gestaltete Organe – und deshalb auf mehreren Ebenen spannend. Etwa als düstere Utopie.
Thomas Feuerstein: „Wenn ich meine Zellen in so einen kleinen Reaktor gebe wie da drüben und hochzüchte, hab ich eine Speisekammer außerhalb meines eigenen Körpers, ein Teil meines Körpers wächst außerhalb meiner selbst weiter. Das kann ich abernten wie ein Gemüsebeet und dann meinem normalen Stoffwechsel zuführen.“
Das wäre eine moderne, ja sogar ressourcenschonende Variante des Kannibalismus.
Thomas Feuerstein: „Wenn sich jeder von sich selbst ernährt – dann ist das ein Zustand von einer Feedback-Schleife. Man vertraut nur noch sich selbst, isst nur noch sich selbst, wählt nur noch sich selbst usw. D.h. es entsteht eine Gesellschaft, wie es in er Zeichnung da hinten zu sehen ist. Die Schlange, die sich in den Schwanz beißt und verdaut, wird zum Symbol innerhalb dieser Geschichte.“
Werden die Schlange und Pometheus diese Prozedur der vielfachen Verwandlung überleben? Das bleibt offen. Feuerstein, der sich für Mythologie, Philosophie, Naturwissenschaften und Science Fiction gleichermaßen interessiert, hat jedenfalls seinen Prometheus bzw. die aus dem Marmor entstandene Leberzellen-Skulptur noch einer weiteren, nicht ganz so ernst gemeinten Transformation unterzogen. Im hintersten Raum der Eres-Stiftung steht eine Hobby-Destillationsanlage, wo – kein Witz - aus Leberzellen Schnaps gebrannt wird.
Thomas Feuerstein: „Das ist die ironische Ebene, wo man den Kannibalismus nachvollziehen kann, denn die Leber kann den Schnaps selbst trinken.“
Eine Ausstellung, die auf vielen Ebenen funktioniert. Man kann das Ganze wie eine große Skulptur betrachten, sich in die fantastischen Zeichnungen von Thomas Feuerstein versenken, sich in die Untiefen der Mythologie und der Biotechnologie begeben oder einfach nur dem Rauschen der Leberzellen lauschen. Absolut sehenswert! ERES-Stiftung München, bis 24. März 2018.