Drei Bände hat Astrid Lindgren über Pippi Langstrumpf geschrieben, sie sind in 77 Sprachen übersetzt und mehr als 66 Millionen Mal verkauft worden. Aber das sind nur Zahlen – die wahre Währung liegt in der Liebe der Leserinnen und Leser. Und die sind in allen Generationen zu finden. "Pippi Langstrumpf ist unglaublich stark, selbstbewusst – und ganz anders als alle anderen", sagt die Medienwissenschaftlerin Maya Götz, ein Kind der Siebziger.
Pippi Langstrumpf zu aufmüpfig für die DDR
Seit 75 Jahren prägen die Pippi-Geschichten von Astrid Lindgren Kinder in Deutschland – wobei, nicht ganz: Denn in der DDR durfte Pippi Langstrumpf erst Mitte der Siebziger erscheinen, und das auch nur in kleiner Auflage. War Pippi etwa zu aufmüpfig? Ein schlechtes Vorbild? Tatsächlich hieß es, dass das Kinderbuch nicht mit den Prinzipien der DDR-Pädagogik vereinbar sei.
Auch in Schweden hatte Pippi keinen leichten Start. Es waren die 1940er-Jahre, die Zeit der "schwarzen Pädagogik". Kinder hatten zu tun, was man ihnen sagte, sonst drohten Strafen. 1941 sitzt Astrid Lindgren am Bett ihrer kranken Tochter Karin. Die ist damals sieben, hat sich gern Namen ausgedacht und sagt zur Mama: "Erzähl mir was von Pippi Langstrumpf". Und Astrid Lindgren erfindet das Mädchen zum Namen, ein Mädchen, dessen Motto lautet: "Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt!"
Revolution der Kinderliteratur
Zum Beispiel folgert Pippi nach einer Stippvisite in der Schule: "Zu viel Gelehrsamkeit kann selbst den Gesündesten kaputt machen" – und kommt einfach nicht mehr. Medienwissenschaftlerin Götz hat viel zu Pippi Langstrumpf geforscht: "Das war erstmal ein Skandal, so ein Mädchen zu denken, das dann ja auch noch mit den Erziehungsinstitutionen sehr selbstbewusst umgeht." In diversen Artikeln hatte man nach der Erstveröffentlichung 1945 in Schweden den Untergang der Kinder und der Moral vorhergesagt. "Rein faktisch ist es eine Revolution der Kinderliteratur gewesen, so nah an Kindern dran, an ihren Fantasien", sagt Götz, "und wahrscheinlich konnte es auch nur von einer Autorin geschrieben werden, die ja auch ein ungewöhnliches Leben zu der Zeit hatte."
Dieses ungewöhnliche Leben hatte Astrid Lindgren, weil sie mit 18 bereits schwanger war – von einem verheirateten, viel älteren Mann. 1926 kam ihr Sohn Lasse auf die Welt, den sie zunächst in eine Pflegefamilie gegeben und dann alleine erzogen hat. Und weil sie auch später, mit zweitem Kind (der Tochter Karin) und dann selbst verheiratet, immer viel gearbeitet hat – gegen alle gesellschaftlichen Widerstände.
Pippi Langstrumpf – eine Heldin zum Bewundern: so stark, dass sie ihr Pferd hochheben und Einbrecher auf den Schrank setzen kann. So unabhängig, dass sie am Boden Plätzchen backt und ausbüxt, wenn ihr danach ist. Im Film "Mit Pippi Langstrumpf auf der Walze" steigt sie sogar in ein Fass und lässt sich einen Wasserfall hinunterstürzen.
Wir sind Annika, mit Pippi als Freundin
Maya Götz hat eine Studie mit 135 Viertklass-Kindern durchgeführt. Und die haben neben Aussehen, Stärke und Unabhängigkeit noch eine entscheidende Idee von Pippi mitgenommen: "Pippi bietet Kindern auf einer ganz tiefen Ebene etwas, was wir ihnen nicht so gerne zugestehen, nämlich Größenfantasien." Damit können sich die Kinder vorstellen, dass anders zu sein auch okay ist. Götz hört das auch oft von erwachsenen Frauen, die weit gekommen sind: "Wenn die zurückdenken, was ist ihre Lieblingsfigur gewesen, dann ist das ganz oft Pippi; diese Stärke, dieses: Du darfst anders sein! Und das ist etwas, das gerade für Mädchen ganz zentral ist."
Was die Studie von Götz auch ergeben hat: Kinder wollen nicht unbedingt wie Pippi sein, aber sie hätten sie gern als Freundin. "Wir sind mehr so Annika und Tommy, aber wir können uns zur Pippi hinbewegen – und das ist genau diese ganz große Faszination für Kinder: Sie können sich selber wiederfinden und sich aber auch Freiheiten zugestehen."
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