"Toxische Weiblichkeit" - dieser Begriff hat Sophia beim ersten Hören in den Bann geschlagen: Es habe einen ganz starken Widerwillen in ihr ausgelöst. "Gleichzeitig war da so eine Vorahnung, dass ich dachte: 'Ok, wir haben die letzten Jahre sehr viele Männer kritisiert, der Diskurs ist sehr einseitig geführt worden, und das wird umschwenken müssen irgendwann'", sagt sie.
Was ist toxische Weiblichkeit?
Das hat sie auf die Idee gebracht, sich den Begriff "toxische Weiblichkeit" anzueignen und feministisch vorzuprägen. Der Titel ihres gleichnamigen Buchs fordert geradezu zu einer Definition heraus, was versteht man darunter genau? Sophia Fritz umschreibt den Begriff, benennt Verhaltensmuster, die zu manipulativen Handlungen führen oder auch zu einer gewissen berechnenden Unterordnung, um eigene Vorstellungen und Wünsche beim Gegenüber durchzusetzen.
Kurz: Der Versuch von Frauen, auf indirektem Weg Macht und Kontrolle zu erringen. Eine präzise Definition existiert bislang nicht. Wer etwa im Internet danach sucht, wird zwar auf einen Wikipedia-Eintrag zu "toxischer Männlichkeit" stoßen, nicht aber auf das Pendant zu "toxischer Weiblichkeit".
Plädoyer für Eigenverantwortung
Um das Phänomen eingehender zu betrachten, benutzt Sophia Fritz bestimmte Stereotype. Die Kapitel tragen Überschriften wie "Das gute Mädchen", "Angry Bitches" und "Zicke". Warum verwendet sie ausgerechnet Bezeichnungen, die man auch im Fundus patriarchaler Fremdzuschreibungen findet? "Mein allergrößter Wunsch war Entspannung: Ich möchte die Begriffe anschauen und keine Irritation spüren, kein Ressentiment", sagt Fritz. Sie wolle einfach wissen, was davon wahr ist, was davon zutrifft, wo ihre Eigenverantwortung beginne und aufhöre. Es ging letztlich um eine Aneignung.
Damit beschreibt Sophia Fritz auch die generelle Ausrichtung ihres Buchs: Sie plädiert für Eigenverantwortlichkeit. Hier liegt der Unterschied zu vielen anderen feministischen Stimmen, die allen voran politische und systemische Veränderungen fordern, etwa gleiche Gehälter, flexible Arbeitszeiten für Eltern, bessere Entlohnung von Care-Arbeit, die noch immer zum Großteil von Frauen übernommen wird.
Mansplaining oder Freundschaften: Tipps für Kommunikation
Sophia Fritz setzt auf eine kritische Selbstbefragung. Mit schonungsloser Ehrlichkeit beobachtet sie Widersprüche zwischen ihren Werten – wie Loyalität oder Kommunikation auf Augenhöhe - und ihrem tatsächlichen Verhalten. Sie schreibt über Gespräche mit Freundinnen und kommt dabei auch zu ganz konkreten Lösungsvorschlägen, etwa: Wenn eine Frau einem so genannten Mansplainer gegenübersitzt - einem Mann, der belehrende Monologe hält - sollte sie sofort reagieren, das Gespräch lenken, die eigenen Anliegen auf den Tisch bringen, anstatt stundenlang Interesse vorzutäuschen.
Oft legt Sophia Fritz den Finger in die Wunde. Auch bei der Frage, warum Freundschaften unter Frauen scheitern. Die Antwort: an mangelnder Konfliktfähigkeit und der Schwierigkeit, Differenzen auszuhalten.
Sophia Fritz: "Debattenkultur unheimlich patriarchal"
Die Autorin beobachtet aber auch das öffentliche Gespräch in den Medien, etwa politische Diskussionen in Talkshows: "Mir kommt diese Debattenkultur unheimlich patriarchal vor, per se. Weil wir uns völlig auf Autopilot auf bereitgestellte Sessel setzen und dort dann auch sehr ordentlich sitzen bleiben müssen, auf Flugmodus. Der Körper wird nicht mehr thematisiert, der ist auch nicht vorhanden und der Kopf ist dann, wo das Wichtige darin passiert. Situationen, in denen so eine hohe Nervensystemstimulation stattfindet, dass man überhaupt keine anderen Meinungen integrieren kann. Es geht um ein Du oder Ich, um einen Kampf- oder Fluchtmodus, in dem nur einer gewinnen kann. Da ist immer Scham im Spiel, weil einer wird verlieren, und ich möchte nicht der sein, der verliert."
Das Ziel: offener, konstruktiver Austausch statt unversöhnlich gegenüberstehender Meinungen, Verständigung statt Beschämung. Überlegungen, die auch an Jürgen Habermas´ Ausführungen zum "herrschaftsfreien Diskurs" erinnern könnten.
Das Buch "Toxische Weiblichkeit" ist in seiner Subjektivität ebenso sensibel wie mutig. Sophia Fritz' Forderungen nach einer neuen, nicht hierarchischen Gesprächskultur erscheinen gerade jetzt absolut dringlich und auf der Höhe der Zeit. Denn sie reichen weit über den Dialog der Geschlechter und des privaten Gesprächs hinaus und damit mitten hinein in die Gesellschaft – auch in die Berufswelt. Denkt man diesen Ansatz weiter, könnte eine neue Gesprächskultur sogar ein elementarer Teil von künftiger Friedensarbeit sein.
Sophia Fritz: "Toxische Weiblichkeit" ist im Hanser Verlag erschienen.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. März auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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