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Schwierige Erinnerung: Trostenz

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Weißrussland erinnert sich ungern: Gedenkstätte in Trostenez

Weißrussland erinnert sich ungern: Gedenkstätte in Trostenez

Morgen wird Bundespräsident Steinmeier im Wald von Blagowetschina das letzte Teilstück einer Gedenkstätte eröffnen, an der seit Jahren gebaut wird. Erinnerung ist hier so unbeliebt wie schwierig. Von Mirko Schwanitz und Nastassia Reznikava.

Über dieses Thema berichtet: LÖSCHEN Kultur.

Noch bis vor kurzem säumten Plastiktüten, Sperrmüll und leere Wodkaflaschen die schmalen Trampelpfade durch den Wald von Blagowetschina unweit der belarussischen Hauptstadt Minsk. Hier befand sich während des Zweiten Weltkrieges das Lager Maly Trostenez.

Obwohl Historiker dieses Lager als Auschwitz von Weißrussland bezeichnen, als größtes deutsches Vernichtungslager auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion, ist der Ort bis heute im historischen Bewusstsein der Deutschen so gut wie nicht existent. Das soll sich nun ändern: Morgen wird Bundespräsident Steinmeier im Wald von Blagowetschina das letzte Teilstück einer Gedenkstätte eröffnen, an der seit Jahren gebaut wird.

"Friedliche sowjetische Bürger"?

Im Wald von Blagowetschina unweit von Minsk wird noch gehämmert, Gras an den Wegrändern gemäht - letzte Vorbereitungen für die Fertigstellung von Belarus‘ wichtigstem Erinnerungsort an die deutsche Besetzung im Zweiten Weltkrieg.

 "Während des Krieges wurden hier Tausende Menschen erschossen. Sehr viele von ihnen waren Juden." Bauarbeiter Siarhei Juchnevitch

Viele Jahre habe er das überhaupt nicht gewusst, so der Arbeiter, nichts darüber in der Schule erfahren. Dabei ist die Wahrheit schon lange bekannt, sagt der Historiker Aliaksandar Dalgouski:

"Bereits 1944 wurden an diesem Ort zahllose Beweise gefunden, dass es sich bei den verscharrten Opfern um deportierte Juden handelte. Für die antisemitische Geschichtsschreibung der Sowjetunion aber waren es immer nur 'friedliche sowjetische Bürger'." Historiker Aliaksandar Dalgouski

150.000 Meschen wurden hier ermordet

Im Wald von Blagowetschina befand sich die Erschießungsstätte des Lagers Maly Trostenez. Es war das größte Vernichtungslager, das die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkrieges in den besetzten Gebieten der Sowjetunion unterhielt. 150 000 Menschen fanden hier den Tod, die meisten von ihnen waren Juden. Mehr als 20 000 wurden aus Deutschland, Österreich und der Tschechoslowakei hierher deportiert. Aliaksandar Dalgouski stolpert über einen holprigen Pfad durch den Wald. Es ist „Der Weg des Todes“. Das landschaftsarchitektonische Kunstwerk geht auf einen Entwurf des belarussischen Künstlers Leonid Lewin zurück. Nach seinem Tod, 2014, übernahm Tochter Halina die Fertigstellung:

"Man kann den Weg zu einem Vernichtungsort nicht glatt gestalten. Das würde den Opfern nicht gerecht. Sie überschritten hier die Grenze zwischen Leben und Tod. Das wollen wir nachempfindbar machen. Deswegen haben wir auf dem Weg Fliesen gelegt, auf denen es schwierig ist zu gehen." Halina Lewin

Fünf Eisenbahn-Waggons weisen den Weg

Der Pfad zur ehemaligen Erschießungsstätte führt durch fünf Eisenbahnwaggons. Darin Dokumente und Exponate, anhand derer die Besucher den letzten Weg der Opfer nachempfinden können. Wenn Bundespräsident Steinmeier die Gedenkstätte morgen eröffnet, wird auch er feststellen, dass man sich in Belarus mit der historischen Wahrheit weiterhin schwertut. Noch immer sind die Opfer nach belarussischer Lesart „friedliche sowjetische und europäische Bürger“ gewesen. Einen Hinweis darauf, dass diese Bürger vor allem Juden waren, findet man in Blagowetschina nur auf einem einzigen Gedenkstein.

"Ich glaube nicht, dass es Zensur ist. Wir wollen Blagowetschina als internationale Gedenkstätte, an der es keine Konkurrenz zwischen Juden und Nichtjuden, zwischen unseren und internationalen Opfern, geben soll. Alle haben das Recht auf das gleiche Gedenken." Aliaksandar Dalgouski

"Probleme mit der Erinnerungskultur"

Es wird noch lange dauern, bis man sich auch in Belarus mit dem Antisemitismus auseinandersetzt, der dem Holocaust zugrunde lag. Bis man bereit ist anzuerkennen, dass im zweiten Weltkrieg allein 700 000 weißrussische Juden umgebracht wurden, an die nirgendwo erinnert wird. Auch nicht in Blagowetschina. Es braucht offenbar noch Zeit, sich von der sowjetischen Lesart der Geschichte zu befreien. Eine Auseinandersetzung mit der eigenen und bis heute in postsowjetischen Gesellschaften tief verwurzelten Judenfeindlichkeit ist nicht vorgesehen. Ein weiteres Thema mit dem man sich schwer tut, ist das Gedenken an die Opfer des NKWD. In Kurapaty etwa erlaubt die Regierung ein Schnellrestaurant. Und das in Sichtweise einer Gedenkstätte, die an die Ermordung hunderttausender Menschen durch Stalin erinnert, sagt Aliaksandar Dalgouski kopfschüttelnd:

"Wir haben Probleme mit der Erinnerungskultur. Aber es ist nicht so sehr der unterschiedliche Umgang mit den Gedenkstätten der mich beunruhigt. Was mir viel mir Sorgen macht, ist unser Geschichtsunterricht. Bis heute wird in belarussischen Schulen weder über den Holocaust und die Deportation der Juden noch über den Stalinismus gesprochen." Aliaksandar Dalgouski