Hitlergruß, Aufruf zum Dschihad, Anleitung zum Mord: Die sozialen Netzwerke sind voll von extremistischen Beiträgen, die anstacheln zu Hass und Gewalt. Weil soziale Medien wie Facebook oder Twitter die illegalen Inhalte in der Vergangenheit nicht ausreichend beseitigt haben, verabschiedete der Bundestag in der letzten Legislaturperiode das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, kurz NetzDG.
"Die Löschpraxis der Plattformbetreiber ist noch immer unzureichend. Unsere Erfahrungen haben ganz klar gezeigt: Ohne politischen Druck bewegen sich die sozialen Netzwerke leider nicht." Bundesjustizminister Heiko Maas
Seit 01.10.2017 ist das NetzDG in Kraft, seit Jahresbeginn drohen den sozialen Medien hohe Geldstrafen, wenn illegale Inhalte trotz Bürgerbeschwerden nicht entfernt werden.
Das NetzDG im Test
Wir testen das Netzwerkedurchsetzungsgesetz. Stichprobenartig melden wir Gewalt-Tweets und -Posts im neu eingerichteten Beschwerdeverfahren. Hinweise auf Fundstellen zu strafbaren Posts liefert uns die israelische NGO "They Can't – Fighting Antisemitism and Terrorism Online". Dort beobachtet man soziale Netzwerke aufmerksam, veranlasste bisher die Löschung von 60.300 Hasskommentaren. Doch bisher löschen die sozialen Medien oft nicht.
"Twitter entfernt nicht mehr als bestenfalls zehn Prozent der gemeldeten Beiträge, die zu Terror anstiften und null Prozent der Hass-Kommentare. Es sieht so aus, als wäre es ihnen egal." Sprecher der israelischen NGO They Can't
Wie reagiert Twitter in Deutschland, jetzt, wo das NetzDG gilt? Anfang Januar melden wir 15 gewaltverherrlichende und, noch schlimmer, zu Gewalt anstachelnde Tweets: Messer und Beile gegen Juden und Christen gerichtet, Opfer kurz vor oder nach einer Attacke, Blut, die Bilder real oder als Cartoon. Wir lassen uns von einem Strafrechtsexperten bestätigen: Alle Inhalte sind nach deutschem Recht eindeutig strafbar. Es geht insbesondere um die verbotene Verbreitung gewaltverherrlichender Schriften (§ 131 Strafgesetzbuch). Alle Tweets sind in Deutschland abrufbar, als wir unsere Beschwerden an den Kurznachrichtendienst abschicken.
Böse Überraschung
Und auch wir erleben eine böse Überraschung, denn das Ergebnis unserer Stichprobe lautet: Twitter löscht erst keinen einzigen Beitrag. Man schreibt uns:
"Wir konnten keine Verletzung der Twitter Regeln feststellen....." Twitter
Auch Facebook melden wir Beiträge, die eindeutig Aufrufe zu Gewalt darstellen, sechs insgesamt. Zum Beispiel einen Blumenstrauß, der ein Messer verbirgt oder ein Bild mit einem Auto, ein Maschinengewehr, ein Beil und ein Messer, in der Mitte ein Jude. Unschwer zu erkennen, dass die Abbildungen Tatwaffen zeigen, die dazu dienen sollen, Menschen umzubringen. Wir finden auf Facebook noch weitere Beiträge. Es sind immer wieder Messer, Opfer kurz vor oder nach einer Gewalttat, Blutlachen.
Facebooks Löschquote: 60 Prozent
Ob Facebook nicht will, dass Bürger sich beschweren? Diesen Eindruck bekommen wir, denn kaum auffindbar scheint der komplizierte der Melde-Weg: klick „Fragezeichen“ Leiste oben rechts, klick „Ein Problem melden“ rechts unten, klick „missbräuchlicher Inhalt, Mitte unten, klick „Richtlinien und Meldungen“ rechts oben, klick „NetzDG“. Dann sollen wir sogar entscheiden, welcher Straftatbestand in Betracht kommt, Verleumdung, Gewalt oder Volksverhetzung. Doch wir kämpfen uns durch die Web-Seite und immerhin akzeptiert Facebook 60 Prozent unserer Beanstandungen und nimmt sie vom Netz.
"Wir haben den Zugang zu dem Inhalt ... gesperrt. Gewaltdarstellung (§131 des deutschen Strafgesetzbuches)." Facebook
Aber 40 Prozent sind noch online. Dazu teilt man uns mit:
"Es ist für uns … nicht ersichtlich, dass der von Ihnen gemeldete Inhalt rechtswidrig ist." Facebook
Strafrechtsexperten sehen das anders. Der Würzburger IT-Rechtsanwalt Chan-jo Jun ist ohnehin der Meinung, ohne Überarbeitung tauge das neue Gesetz zur Löschung von Hass und Gewalt in sozialen Medien nicht.
"Da brauchen wir Nachbesserung. Es wäre falsch das Gesetz jetzt vollständig abzuschaffen, denn damit würden wir es wieder völlig den sozialen Netzwerken überlassen, darüber zu bestimmen, was wir sehen und was wir denken." IT-Rechtsanwalt Chan-jo Jun
Die Konzerne sind gefragt
Kritiker mahnen, soziale Medien seien keine Polizei, wären angewiesen auf eine private Armee von Bürgern, die strafrechtliche Verstöße vorsortiert. Yigal Carmon vom Middle East Media Research Institute MEMRI geht sogar noch weiter, er plädiert in seinem Bericht “An Internet Clean Of Jihadi Incitement – Not Mission Impossible” dafür, die sozialen Medien voll in die Verantwortung zu nehmen, und zwar nicht erst nachdem Bürger strafbare Inhalte melden.
Zeit lassen mit einer Überarbeitung des NetzDG kann sich weder die Interims- noch die neue Bundesregierung, denn Hass- und Gewaltbeiträge stacheln zu Angriffen auf die Zivilbevölkerung im ganz realen Leben an.
Julian King, EU-Sicherheitskommissar bringt es auf den Punkt: "Es gibt einen direkten Link zwischen den jüngsten Anschlägen in Europa und dem Online-Material, das Terrorgruppen wie der IS verwendet haben.“ Auch die EU-Kommission denkt jetzt über eine Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen nach.