Die CSU-nahe Hanns-Seidl-Stiftung hat heute in München die Ergebnisse der Studie "Social Media im Wahlkampf" veröffentlicht. Dafür hat ein Team von Wissenschaftlern der TU München vor der Bundestagswahl ein halbes Jahr lang die politische Kommunikation in sozialen Medien untersucht. 350 Millionen Tweets und unzählige Facebook-Posts analysiert. Die Kernfrage: Sind soziale Medien eine Gefahr für die Demokratie?
Für Studienleiter Simon Hegelich, Professor für Political Data Science an der TU München steht fest:
"Wir erleben einen Strukturwandel der Öffentlichkeit. Das heißt, die Art und Weise wie politisch kommuniziert wird, die verändert sich." Prof. Simon Hegelich
Ein Grund für diesen Strukturwandel: Soziale Medien – und damit vor allem Facebook. Für Katzenvideos und Urlaubsfotos entworfen, hat sich Facebook in den vergangenen Jahren in den USA zur Hauptnachrichtenquelle für politische Inhalte entwickelt. Laut Hegelich ist diese Entwicklung aber auch in Deutschland absehbar.
Gefangen in einer Belohnungsschleife für Katzenvideos
Doch für politische Inhalte ist Facebook nicht gebaut: Die Plattform begünstigt kurzfristige Emotionen wie eben Entzückung über Katzen aber auch Wut und Empörung. Nicht lange, rationale Erklärungen, sondern einfache und deshalb zwangsläufig verkürzte Wahrheiten führen zu Likes und Shares. Und Likes und Shares wiederum bestimmen, wie viele Menschen die Inhalte zu Gesicht bekommen. Politische Parteien sind also gefangen in einer sich selbst verstärkenden Belohnungsschleife, die eigentlich für Katzenvideos gedacht war. Eine Gefahr, die auch Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel Stiftung, zu denken gibt. Sie wünscht sich von Parteien ein Umsteuern:
"Die Demokratie lebt davon, dass wir rational diskutieren, dass also nicht die Emotionen im Mittelpunkt stehen, dass Zuspitzung nicht im Mittelpunkt steht und dass man durch Diskurs auch Meinungsänderungen erreichen kann. Und die Form der Kommunikation, die in kurzen Beiträgen in Facebook und Twitter erfolgt, dass man deutlich macht, dass das demokratiefeindlich sein kann." Ursula Männle, Vorsitzende der Hanns-Seidel Stiftung
Die Parteien "lernen" von der AfD
Adressat dieser Worte war ursprünglich mal die AfD, die mit einfachen Wahrheiten und einer Inszenierung als Anti-Establishment-Bewegung die erfolgreichste Partei in den sogenannten "Sozialen Medien" geworden ist. Doch auch die anderen Parteien haben dazugelernt. Der neue bayerische Ministerpräsident Markus Söder gibt die Debattenhoheit im Netz sogar seinem neuen Generalsekretär als politisches Ziel mit.
"Das Netz wird eine seiner Hauptaufgaben sein, meiner Meinung nach, die Kampagnenfähigkeit herzustellen und auch eine, ein Stück weit Lufthoheit in den Debatten zu haben, das gilt insbesondere gegenüber AfD und anderen." Markus Söder, CSU
Wettkampf um Likes und Shares verändert die Debatte
Lufthoheit, die die CSU wohl ihrerseits mit verkürzten, zugespitzten Aussagen à la „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ herstellen will. Doch Professor Hegelich warnt ausdrücklich davor, dass Parteien sich im Wettkampf um Likes, Shares und Retweets gegenseitig überbieten. Er fordert deshalb eine umfassende gesellschaftliche Debatte, wie Facebook und andere soziale Medien stärker in die Verantwortung genommen werden können.
"Es kann nicht sein, dass eine Infrastruktur, die für die politische Kommunikation genutzt wird und zunehmend massenhaft genutzt wird, dass die jenseits jeder gesetzlichen Regulierung stattfindet." Politikwissenschaftler Simon Hegelich
Das viel kritisierte Netzwerkdurchsetzungsgesetz sei dafür möglicherweise ein erster Schritt. Um wirklich etwas bewirken, müsste Facebook allerdings vermutlich seinen Algorithmus verändern, also die Art und Weise, wie sich politische Inhalte verbreiten. Dass die deutsche Politik das allmächtige Unternehmen aus dem Silicon Valley dazu bringen kann, darf nach den Erfahrungen der letzten Jahre bezweifelt werden.