Die "Bestia Negra" beschreibt in Spanien einen Kontrahenten, dessen Name alleine schon reicht, damit die Knie anfangen zu schlottern. Der Angstgegner, der ultimative Widersacher. Über Jahrzehnte hinweg war der FC Bayern genau dieser Klub, dem das stolze Real Madrid auf Gedeih und Verderb vermeiden wollte. Denn immer wieder zerschellten die Träume der Spanier an der breiten Brust der Münchner.
Dieser Ruf hat im vergangenen Jahrzehnt gehörig gelitten. Aus den vergangenen drei Aufeinandertreffen gingen am Ende immer die Spanier als Sieger vom Platz: 2018 (Halbfinale), 2017 (Viertelfinale) und 2014 (Halbfinale) - mal gab es eine historische 4:0-Abreibung, mal Schiedsrichterleistungen, die sich den FC-Bayern-Fans wohl auf ewig ins Gedächtnis gebrannt haben. Seit 2012 ist die Hürde Real Madrid stets zu hoch für die Münchner. Und so hat sich das Angstgegner-Verhältnis einmal um 180 Grad gedreht. Die Aussicht, gegen die "Königlichen" zu spielen, dürfte den meisten FC-Bayern-Spieler nicht gerade in Verzückung versetzen.
Wer führt im historischen Vergleich? Bilanz lässt Spekulations-Spielraum
Ein Blick in die Historie des Duells zeichnet ein sehr ausgeglichenes Bild: 26-mal trafen die beiden Vereine in Champions League und Landesmeisterpokal aufeinander, weshalb in Spanien das Duell "Clásico de Europa" genannt wird.
Beide Teams schossen 42 Tore, holten drei Unentschieden - und die Anzahl der Siege lässt Interpretationsspielraum offen: Wie wertet man das Halbfinal-Spiel im Estadio Bernabéu im April 2012? Nach 120 Minuten stand es zwar 2:1 für Real Madrid, doch die Münchner holten anschließend den Sieg im Elfmeter-Schießen. Dieses Spiel ausgenommen, haben beide Mannschaften elf Siege auf dem Konto. Und so schreibt der FC Bayern auf seiner Homepage sich die bessere Bilanz zu, die Madrilenen sehen die bessere Bilanz für die "Blancos".
Real Madrid: Ungeschlagen in der Champions League
Wie man es auch wendet: Es ist ein Duell von zwei europäischen Giganten, in das der FC Bayern trotz des überzeugenden Weiterkommens gegen den FC Arsenal ein wenig hereinhumpelt. Real Madrid kommt mit gewohnt viel Selbstvertrauen: souveräner Tabellenführer der spanischen Liga, ungeschlagen in dieser Champions-League-Saison, Viertelfinal-Bezwinger von Manchester City (Hinspiel 3:3, Rückspiel 1:1 - Real-Sieg im Elfmeter-Schießen), dem Titelverteidiger und vormaligen Top-Favoriten.
Und doch trügt der Schein - zumindest ein wenig. Die große Führung in La Liga resultiert auch aus der Schwäche der Rivalen, insbesondere des FC Barcelona. RB Leipzig hatte Real Madrid im Achtelfinale in die Nähe eines Ausscheidens gebracht - und Manchester City scheiterte vor allen Dingen wieder an der eigenen Effizienz. 33:8 Schüsse, 18:1 Ecken, 67 Prozent Ballbesitz: Das Team von Pep Guardiola hatte das Rückspiel dominiert. Real Madrid wurde nach früher Führung erst im Elfmeterschießen wieder wirklich gefährlich vor dem Tor von City.
Carlo Ancelotti: Rekordtrainer mit hochgezogener Augenbraue
Doch das ist eben seit jeher die Stärke von Real Madrid: Die Mannschaft weiß, wie man wichtige Spiele gewinnt. Nicht umsonst stand sie in den vergangenen drei Jahren immer im Halbfinale der Königsklasse - und verlor dort entweder gegen den späteren Sieger oder setzte sich durch und gewann selbst den Henkelpott.
Trainer Carlo Ancelotti steht mit stoischer Ruhe und hochgezogener Augenbraue stellvertretend für das Selbstvertrauen von Real. 2022 gewann er mit den Blancos seinen vierten Champions-League-Titel als Trainer, kein anderer Coach war so erfolgreich.
Kroos, Rüdiger, Bellingham, Alaba - Wiedersehen mit alten Bekannten
Auch in dieser Saison setzt der Italiener, der als Trainer beim FC Bayern sein Glück nicht fand, auf eine stabile Defensive. Mit Antonio Rüdiger, Nacho Fernandez, Eder Militao, Dani Carvajal und Ferland Mendy sind dort jede Menge Routiniers für die Absicherung verantwortlich. David Alaba wird das Duell mit seinem Ex-Verein nach einem Kreuzbandriss nur von der Tribüne aus verfolgen. Auch das Mittelfeld, das Herzstück eines jeden Real-Angriffs, strotzt mit Toni Kroos und Luka Modric vor Erfahrung. Doch die beiden Oldies stehen nur noch selten gemeinsam auf dem Platz. Aurelien Tchouameni und vor allen Dingen Federico Valverde und Eduardo Camavinga werden derzeit zu würdigen Nachfolgern aufgebaut oder sind es bereits.
Rodrygo und Vinicius Junior wirbeln in der Offensive, deren Anker der Ex-Dortmunder Jude Bellingham ist. Der 20-Jährige hat in seiner ersten Saison bei den Königlichen mit 30 Torbeteiligungen in 35 Spielen nicht nur Trainer Ancelotti vollends überzeugt, sondern auch die Fans, die den Spieler ungewöhnlich euphorisch regelmäßig mit dem Beatles-Klassiker "Hey Jude" feiern. Bellingham ist eine der wenigen außergewöhnlichen taktischen Eigenheiten im Ancelotti-System: Ein Mittelstürmer-Spielmacher-Hybrid, der im immer wieder im Sechzehner zu finden ist, aber auch auf Abschlüsse im Rückraum wartet.
Wer löst das Ticket für das Finale in Wembley?
Die Bilanz von Bellingham gegen den FC Bayern ist übrigens überschaubar: vier Vorlagen, kein Tor, ein Unentschieden und sieben Niederlagen. Auf die Bilanz von Luka Modric sollten die Münchner hingegen lieber nicht schauen (5 Siege, 1 Unentschieden). All diese Statistiken werden spätestens an diesem Mittwoch in den Hintergrund treten, wenn die Münchner Real Madrid in ihrer Arena empfangen. Im Rückspiel acht Tage später (8. Mai, ab 21 Uhr in der BR24Sport-Radioreportage) wird dann die Frage beantwortet, wer die eigentliche Bestia Negra ist.
Doch deutlich wichtiger: Die Mannschaft von den beiden, die in das Finale von Wembley einzieht, wird dort als Favorit in den Kampf um den Henkelpott gehen.
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