Die Frage nach dem China-Dilemma zwischen Chancen, Risiken und Abhängigkeiten zeigte sich vor einigen Tagen sehr deutlich beim Besuch von Bundesumweltministerin Steffi Lemke in China. Viele Dinge, die ihr während ihrer drei Tage in Shanghai und der Nachbarprovinz Jiangsu begegneten, dürften sie überrascht haben: Am Vorabend des deutsch-chinesischen Umweltforums in Taicang gab die deutsche Botschafterin einen Empfang an einer Uferpromenade namens "Rothenburg Waterfront". Denn in Taicang sind rund 500 deutsche Firmen registriert, etliche davon aus Bayern.
- Zum Artikel "US-Experte: 'China ein Risiko für deutsche Firmen'"
Mit "De-Risking" Abhängigkeiten verringern
Später beim Forum selbst kamen bekräftigende Worte ihres Amtskollegen Huang Runqiu zur deutsch-chinesischen Zusammenarbeit in Klima- und Umweltfragen. Das gegenseitige Verständnis schien also da zu sein. Und dann folgten die Besichtigungen in den Fabriken deutscher Firmen, die in Taicang seit vielen Jahren produzieren. Doch gerade hier spürte man beim Gespräch der Ministerin mit den lokalen Managern, dass sie ins Nachdenken kam. Denn was sie hörte, demonstrierte eine mittlerweile entstandene Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von China, die das sogenannte "De-Risking" zur neuen Linie deutscher Politik gegenüber China werden ließ: Also den Versuch, strategisch wichtige Bereiche der deutschen Wirtschaft von China unabhängig zu machen, ohne sich völlig von dem wichtigen Handelspartner abzuwenden.
Der vielleicht deutlichste Hinweis darauf kam ausgerechnet von Franz Lehleuter, einem ausgesprochen schwäbisch sprechenden Manager von Trumpf, dem Hersteller für Lasertechnik aus Ditzingen bei Stuttgart. Trumpf entwickelt und wartet Laser-Systeme für die chinesische E-Auto-Industrie, speziell für die Batterien der Wagen. "Wir produzieren hier in Taicang die KI für uns selber", sagte Lehleuter der Ministerin beim Rundgang. "Wir haben hier teils Anwendungen, die Deutschland nicht kennt. Dann müssen wir die halt selber programmieren. Das ist der Ansatz von uns: So autark wie möglich zu arbeiten, und doch so eng mit dem Mutterhaus, dass man die besten Lösungen findet." Steffi Lemke hakte etwas erstaunt nach: "Aber welche Anwendungen haben sie in China, die wir in Europa nicht haben?" Antwort: "In Europa gibt es zur Zeit keine Batteriefertigung." Und Lehleuters Kollege Gang Yang, der perfekt und akzentfrei Deutsch spricht, setzte nach: "Eins der größten Anwendungsgebiete in China ist Photovoltaik. Der Maschinenbau findet in erster Linie in China statt. Also die Maschinen für die Erzeugung von Photovoltaik. Für diesen Maschinenbau liefern wir die industrielle Stromversorgung."
China vorn bei der Batterie-Produktion für E-Autos
In beiden Feldern – E-Autos und Photovoltaik – hat China Deutschland bis auf Weiteres den Rang abgelaufen. Das sieht auch Jörg Wuttke so, ehemals Präsident der EU-Handelskammer in China: "Aber zum Beispiel Batterietechnik wird immer weiterentwickelt. Es ist also nicht so, dass wir ewig hintendran bleiben müssen. Wichtig ist, dass Europa ein regulatorisches Umfeld bekommt, dass Innovation fördert. Und dass schon in unseren Grundschulen eine Begierde nach Wissenschaft gelehrt wird. Da sind uns die Chinesen nämlich voraus."
Beruhigendere Signale erhielt die Ministerin beim Besuch der Firma Huber Technology in Taicang. Im Foyer wurde sie von einer Weltkarte mit allen Standorten von Huber empfangen, die in der Mitte besonders groß das Mutterhaus in Berching in der Oberpfalz zeigte. Die Firma ist ein mit dem renommierten deutschen Umweltpreis ausgezeichneter Spezialist für Wasseraufbereitung und Kläranlagen. Taicang war 2010 das erste Auslandswerk, das Huber gründete. Es hat sich auch zu einer Export-Drehscheibe für die Firma entwickelt: Einige Huber-Anlagen würden in China fertig montiert und als Ganzes nach Angola oder Australien verschifft, erklärten die Manager der Ministerin.
Und auch, dass deutsche und chinesische Spezialisten im Dialog zwischen Berching, Taicang und diversen Forschungseinrichtungen in China an Lösungen für die Klärung des Abwassers von Mikroplastik-Abfällen arbeiteten. Nach dem Besuch bei Huber Technology zog die Ministerin dann doch ein positives Fazit: "Es zeigt sich hier ganz plastisch, was für ein Innovationsfaktor, was für ein Wirtschaftsfaktor Umwelttechnik ist. Das heißt, dass wir einen großen Markt für diese Technologie haben. Nicht nur in Europa, nicht nur in China, sondern auf der ganzen Welt."
Diskussionssendung BR/vbw
Am 8. November um 18.30 Uhr beleuchteten Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft die Frage, wie Bayern und Deutschland Abhängigkeiten reduzieren und gleichzeitig die Wirtschaftsbeziehungen zu China aufrechterhalten können. Auf der gemeinsamen Veranstaltung des Bayerischen Rundfunk und der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) diskutierten Wilfried Breuer, Geschäftsführer der Maschinenfabrik Reinhausen GmbH, Bertram Brossardt, der Hauptgeschäftsführer der vbw, Saskia Hieber, Dozentin für Internationale Politik mit Schwerpunkt Asien-Pazifik von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing und Prof. Dr. Xuewu Gu, Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen der Universität Bonn und Direktor des Center for Global Studies in Bonn. Die Diskussion, die bei BR24 live gestreamt wurde, moderierte Christine Bergmann vom Bayerischen Rundfunk.
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