Lena Bröcker ist Mieterin in der Isar-Residenz in der Thalkirchener Straße, in der sie seit Jahren lebt. Bislang zahlt Lena eine monatliche Miete von 1100 Euro kalt, doch bald könnte es mehr als das Doppelte sein, 2400 Euro. „Ich war geschockt als uns klar wurde, dass die Dinge ihren Lauf nehmen würden“, sagt sie.
2016 wurde Lenas Mietshaus von einem Investor gekauft und inzwischen bereits einmal weiterverkauft. „Palais Thalkirchen“ lautet heute der Name der Immobilie. Die vom neuen Eigentümer angekündigten Modernisierungen würden für Lena bedeuten, dass sie für ihre 110-Quadratmeter-Wohnung mit einer Mietsteigerung von 120 Prozent rechnen müsste.
Unbezahlbare Mieterhöhungen
Was Lena mit ihrer Familie erlebt, ist in München seit Jahren bittere Realität. Tausende Mieter haben bereits ihre Wohnungen verloren – auf ganz legalem Weg. Der Grund: die sogenannte Modernisierungsumlage, die erstmals 1974 bundesgesetzlich geregelt wurde. Sie erlaubt es heute dem Vermieter, 11 Prozent der Modernisierungskosten auf die Miete umzulegen - Jahr für Jahr. Für viele Mieter ist das kaum noch nachvollziehbar, auch für Lena Bröcker nicht.
"Es ist einfach unfassbar, dass das gesetzlich erlaubt ist, dass dieses Gesetz immer noch existiert, was es den Immobilienfirmen möglich macht, einen rauszuschmeißen: indem sie einfach diese Mietankündigung einem schicken und einem Angst machen damit." Lena Bröcker, Mieterin
Verkauf, Aufwertung und anschließende Mieterhöhung - die Welle der Sanierungen scheint nicht aufzuhalten zu sein. In ihrer ursprünglichen Form sollte die sogenannte Modernisierungsumlage einst Investoren schützen. Das war vor über vier Jahrzehnten: in einer Hochzinsphase. Heute führt sie dazu, dass Investoren in einer Phase extrem niedriger Bauzinsen ihre Sanierungskosten ungehemmt auf Altmieter umlegen können.
Münchner Mieterverein sieht Umlage als "Vertreibungsinstrument"
Der Münchner Mieterverein kämpft seit Jahren gegen die Umlage. In den Augen der Vorsitzenden Beatrix Zurek wird die bayerische Metropole regelrecht kaputtsaniert, mehr und mehr Mieter werden verdrängt. Tendenz steigend.
Allein im Zeitraum von Januar bis November 2017 registrierte der Mieterverein bei seinen Mitgliedern 600 neue Fälle. Zusammen mit älteren Fällen sind es tausende Mieter, die von der Vereinsvorsitzenden Beatrix Zurek und ihren Kollegen betreut werden.
"Die Modernisierungsumlage ist mittlerweile zu einem Vertreibungsinstrument geworden. Wenn sich die Miete verdreifacht, vervierfacht, verfünffacht, dann ziehen die Mieter aus. Und es ist zu befürchten und wir haben die Sorge, dass der soziale Friede in der Stadt darunter leidet." Beatrix Zurek, Vorsitzende Münchner Mieterverein
Der Unmut in der Bevölkerung wegen unbezahlbarer Mieten in München wächst. Auch in einem Haus in der Agnesstraße im Stadtteil Schwabing wurden die Mieter Opfer des Verdrängungsprozesses. Die ehemalige Eigentümerin, die die Mieten jahrzehntelang niedrig gehalten hatte, ist verstorben. Die Tochter verkaufte das Anwesen an eine Investorengruppe. Jetzt wird das in die Jahre gekommene Haus teuer saniert.
Neue Zentralheizung, neue Fenster und Elektroleitungen, Balkone und eine E-Bike-Ladestation im Hinterhof sind geplant. Verbunden mit satten Mieterhöhungen. Für Mieterin Betty Rupprecht war lange die Frage: zahlen oder gehen? Sie hat sich mit ihrer Tochter entschlossen, die Wohnung zu verlassen. Zu hoch die Mieterhöhung, zu groß die Angst vor jahrelangem Baulärm, Dreck und Ärger. Sie haben sich entschlossen, einen Mietaufhebungsvertrag zu unterzeichnen. Wie fast alle Mieter im Haus haben sie aufgegeben und ziehen aus. Was bleibt, ist Wehmut:
"Es ist sehr, sehr schwer, Dinge loszulassen, die man halt sein ganzes Leben lang gemacht hat. Zum Beispiel, auch meine künstlerische Tätigkeit hat sich hauptsächlich hier konzentriert. Ich hatte hier ne Galerie, die mich vertritt, hab hier bei diesen Kunstsachen teilgenommen, die Kinder haben ihre Freunde hier." Betty Rupprecht, Mieterin
Wer sich wehren will, braucht Hilfe und viel Zeit
Seit der Mietrechtsreform im Jahr 2013 gilt ein neu definierter Härtefalleinwand: Betroffene anstehender Modernisierungsmaßnahmen können gegen unverhältnismäßig hohe Mieterhöhungen vorgehen, ohne dass dabei die Modernisierung als solche verhindert werden muss. Ausschlaggebendes Kriterium ist das verfügbare Einkommen des Mieters, das mit der erhöhten Miete in einem angemessenen Verhältnis stehen muss. Doch eine Abwägung der Interessen zwischen Mieter und Vermieter durch die Gerichte ist oft langwierig und mühsam, weiß Beatrix Zurek vom Münchner Mieterverein:
"Der Mieter, der einen Härteeinwand erhebt, muss erst mal relativ schnell sein, deswegen sollte man sich immer beraten lassen. Am Schluss, wenn die Modernisierungen vorbei sind, die Erhöhung kommt, dann wird nachgeprüft, ob man sich das sozusagen leisten kann, und somit muss der Mieter großes Durchhaltevermögen haben und Vertrauen in die Entscheidungen." Beatrix Zurek, Vorsitzende Münchner Mieterverein
Ehepaar nach über 50 Jahren aus der Stadtwohnung vertrieben
In der Thalkirchener Straße haben fast alle Mieter des Vorderhauses aufgegeben. Im Hinterhaus dagegen haben sich Lena Bröcker und weitere Mieter zusammengetan: sie wollen bleiben, den Härtefall gerichtlich durchsetzen. Der Mieterverein unterstützt sie dabei.
Doch nicht alle wollen auf die Gerichte hoffen. In der Agnesstrasse in Schwabing verließ letzte Woche ein älteres Ehepaar seine Wohnung, musste aufs Münchner Umland ausweichen: nach über 50 Jahren.