Alexej Nawalny wurde Opfer eines Angriffs mit einem chemischen Nervenkampfstoff der Nowitschok-Gruppe, so formulierte es Bundeskanzlerin Angela Merkel auf einer Pressekonferenz am 2. September 2020. Russland zweifelt das Ergebnis bis heute an. Aber auch zwei Speziallabore in Frankreich und Schweden bestätigten am 14. September als Ursache der Vergiftung Nawalnys einen Nervengift-Kampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe.
Was ist über das Nervengift Nowitschok bekannt?
Nowitschok kann man nicht auf dem Schwarzmarkt kaufen und im Labor zusammenmischen. Deshalb vermuten Experten, der Kreml müsse in dem Mordversuch Nawalnys verwickelt sein. Offiziell aber hat die russische Regierung 2017 seine chemischen Kampfstoffe zerstört: Sarin, Senfgas und VX wurden medienwirksam vor den Augen der Öffentlichkeit vernichtet.
Ein Speziallabor der Bundeswehr in München erbrachte nach der Einlieferung Nawalnys in die Berliner Charité den Nachweis auf Vergiftung. Auf der Intensivstation der Charité wurde der Kritiker zwei Wochen lang maschinell beatmet und im künstlichen Koma gehalten. Bei ihm sei das Enzym Cholinesterase derart gehemmt, dass es schwierig für ihn sei, seine normalen Körperfunktionen wahrzunehmen, so das ärztliche Bulletin.
Wie wirken Nervengifte wie Nowitschok auf den Körper?
Das Nervengift Nowitschok ist ein Cholinesterase-Hemmer. Es enthält – ähnlich wie das Nervengas Sarin – Phosphorverbindungen, wie sie in Insektiziden vorkommen. Das Gift kann über die Atemwege, Hautkontakt oder Nahrung aufgenommen werden. Im Fall Nawalny wurde zunächst behauptet er hätte sich über eine Tasse Tee im Flughafen Tomsk vergiftet. Inzwischen gibt es aber auch Meldungen, die Nowitschok an einer Wasserflasche in seinem Hotelzimmer in Tomsk nachgewiesen haben wollen.
Das Gift greift in den Nervenzellen an. Nachdem ein Signal zwischen zwei Synapsen mittels eines Neurotransmitters übertragen wurde, muss dieser Botenstoff schnell wieder abgebaut werden. Das übernimmt das Enzym Cholinesterase. Ein Cholinesterase-Hemmer wie Nowitschok blockiert das Enzym und verhindert so den Abbau. Dann verbleiben die Transmitter im synaptischen Spalt und es kommt zu einer Überreizung der Nerven. Die Folge sind Lähmungen zum Beispiel der Atemmuskulatur oder unkontrollierte Muskelkrämpfe, die zum Herztod führen können. Ein Gift wie Nowitschok ist potentiell immer tödlich.
Auch Doppelagent Skripal 2018 mit Nowitschok vergiftet
Eine Dosierung des Kampfstoffes ist extrem schwierig. Auch in dem Fall Skripal vor zwei Jahren wurde bei dem russischen Spion und seiner Tochter Nowitschok eingesetzt. Als Kontaktgift ist Nowitschok relativ beständig, deshalb mussten damals alle Flächen am Haus und auf dem Weg, den die beiden an dem Tag zurückgelegt hatten, dekontaminiert werden. Auch bei Nawalny steht nicht nur der Teebecher, sondern alles, was er an dem Tag mit seinen Händen berührt hat, unter Verdacht, kontaminiert zu sein.
Gibt es ein Gegenmittel gegen Nervengifte wie Nowitschok?
Ein Gegenmittel gibt es, es heißt Atropin und kommt in dem Nachschattengewächs Belladonna vor. In der Augenheilkunde dient es zur Pupillenerweiterung. Auch bei Herzrhythmusstörungen mit verlangsamtem Herzschlag wird es eingesetzt. Allerdings muss es bei Vergiftungen schnell eingesetzt werden, was im Fall von Nawalny nicht möglich war, da er zunächst in ein russisches Krankenhaus eingeliefert wurde. Experten vermuten, um abzuwarten, bis das Gift in seinem Körper abgebaut und nicht mehr nachweisbar war.
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