Es wurde schon viel darüber berichtet, warum sich die Fallzahlen des Robert Koch-Instituts (RKI) verzögern, sowie von denen der WHO und der Johns-Hopkins-Universität unterscheiden und warum Experten der Coronavirus-Pandemie von einer hohen Dunkelziffer ausgehen. Nun hat sich das RKI von den bloßen Fallzahlen wegbewegt und versucht die Infektionsrate mit neuen Schätzungen sichtbar zu machen - und damit die aktuelle Entwicklung der Coronavirus-Epidemie in Deutschland. Wie das RKI bietet auch das Institut für Statistik der LMU München einen - selbst berechneten - "Nowcast" mit herausgerechneten Verzugszeiten für die Reproduktionsrate in Bayern an und für die Schätzung der Neuinfektionszahlen in Bayern. Beide sind hier zu finden ...
Geschätzte Coronavirus-Infektionsrate
Grob zusammengefasst hat das RKI den Beginn von Erkrankungen erfasst und auch nachträglich mit einem statistischen Verfahren namens "multiple Imputation" aufgrund der statistischen Zusammenhänge der bekannten Daten geschätzt, wenn diese nicht bekannt waren. Zur Berechnung der Infektionsrate wurde zudem eine mittlere Zeitspanne von vier Tagen bestimmt, die zwischen der Infektion einer Person bis zur Infektion der von ihr angesteckten Folgefälle vergeht. Das RKI legt diese Zeitspanne an, weil die Infektiosität zu Beginn der Infektion besonders hoch sei und sich die infizierte Person vor Symptombeginn nicht darüber bewusst sei, dass sie bereits andere anstecken kann, heißt es im Epidemiologischen Bulletin 17/2020.
Verzögerung in der Meldekette bei aktuellen Coronavirus-Fällen rechnet das RKI mit dem Verfahren "Nowcasting" ein. Dabei wird die Anzahl von bereits erfolgten SARS-CoV-2-Erkrankungsfällen in Deutschland mit einem Verzug bei der Diagnose, Meldung und Übermittlung der Daten verrechnet. Liegt die geschätzte Infektionsrate, die Reproduktionszahl, bei einem Wert von 1, ist der Verlauf der Fallzahlen linear. Über einem Wert von 1 erhöhen sich die Fallzahlen, darunter reduzieren sie sich.
Kette der Schutzmaßnahmen war erfolgreich
In der Grafik sieht man unter 'Datum' auch, dass am 9., 16. und 23. März 2020 (grün, blau und orange) eine Reihe von Schutzmaßnahmen eingeführt wurde und die Bevölkerung ihr Verhalten angepasst hat. Das hat neben Grenzschließungen dazu beigetragen, dass die geschätzte Infektionsrate gefallen ist. Helmut Küchenhoff, Professor für Statistik an der LMU München, weist darauf hin, dass "viele Maßnahmen passiert sind. Die Leute haben freiwillig ihr Verhalten geändert. Deshalb kann man nicht sagen, dass etwas nur an einer Maßnahme liegt." Momentan verzeichnet das RKI wieder einen leichten Anstieg der errechneten Infektionsrate, da sich das neue Coronavirus in der Altersgruppe der über 80-Jährigen stark verbreitet.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde aufgrund neuer Recherche-Erkenntnisse aktualisiert. Bitte beachten, dass man Schutzmaßnahmen nicht einzeln bewerten kann und sollte.