Eine der größten Sorgen während der Corona-Pandemie: Dass die Zahl der Intensivbetten für Patienten mit schweren Covid-19-Verläufen nicht ausreicht. Aktuell steigt die Auslastung der Intensivbetten in Bayern und Deutschland. Wie die Lage aktuell ist und wie die Entwicklung wohl sein wird - hier die wichtigsten Fragen und Antworten.
Wie viele Intensivbetten gibt es in Deutschland?
Die freien und belegten Intensivbetten werden in Deutschland seit dem 16. April 2020 täglich in dem DIVI-Intensivregister (Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin e.V.) erfasst. Danach stehen derzeit in Deutschland knapp 29.000 Intensivbetten zur Verfügung, in Bayern sind es rund 4.100.
Die Zahl der auf der Intensivstation behandelten Corona-Infizierten in Deutschland hat ein neues Allzeithoch erreicht. 3.075 Intensivbetten waren am 10. November 2020 nach Angaben der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) von Covid-Patienten belegt. Mehr als die Hälfte von ihnen (1.724) wurde invasiv beatmet, das heißt, hier war eine Intubation nötig. Während der ersten Pandemiewelle im Frühjahr hatte der Höchstwert bei bundesweit 2.933 Corona-Infizierten auf Intensivstationen gelegen. Es werden also erstmals mehr Menschen auf den Intensivstationen behandelt als im Frühjahr.
Auch wenn aktuelle Zahlen aus dem DIVI-Intensivregister zeigen, dass die Gesamtzahl der COVID-19-Patienten auf den Intensivstationen seit dem 2. November nicht mehr so schnell ansteigt, geben Mediziner noch keine Entwarnung. "Einen Effekt der neuen Kontaktbeschränkungen in den leicht rückläufigen Wachstumszahlen der Intensivbelegungen zu sehen, halte ich noch für zu früh, da wir bei COVID-19 mit Erkrankungsbeginn circa drei bis vier Wochen Latenzzeit bis zur intensivmedizinischen Betreuung einrechnen müssen," sagt Clemens Wendtner, Chefarzt des Münchner Klinikums Schwabing.
Was ist das DIVI-Intensivregister?
Seit April 2020 liefert das DIVI-Intensivregister der Daten zu den freien und belegten Intensivbetten der etwa 1.300 Akutkrankenhäuser in Deutschland – aufgeschlüsselt für jedes Bundesland. Für die Kliniken gilt eine Meldepflicht. Täglich müssen sie bis 12.00 Uhr ihre Bettenkapazitäten an das Intensivregister melden. Ansonsten drohen finanzielle Abschläge.
Umgekehrt wurden die Kliniken aber auch mit 50.000 Euro aus einem Fonds des Bundesgesundheitsministeriums "belohnt", wenn sie auf Betreiben der Bundesregierung ein Intensivbett im Frühjahr, während der ersten Corona-Welle, einrichteten.
Erfasst wird in dem Intensivregister unter anderem die Zahl der belegten Intensivbetten und der insgesamt belegbaren Betten - unabhängig von der Diagnose. Außerdem müssen die Kliniken melden, wie viele Corona-Infizierte aktuell intensivmedizinisch behandelt, beziehungsweise invasiv beatmet werden und wie viele freie Beatmungsplätze es gibt.
Das Intensivregister wird vom Robert Koch-Institut (RKI) gemeinsam mit der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) betrieben. Dabei obliegen Aufbau, Betrieb und methodische Entwicklung des Intensivregisters sowie Analysen und Reporting dem RKI und werden dort verantwortet. Die DIVI unterstützt und berät das RKI dabei mit intensivmedizinischer Fachkenntnis.
Wie ist die Entwicklung der Intensivbetten mit Covid-Patienten?
Neben der Zahl der Neuinfektionen ist die Zahl der belegten Intensivbetten wichtig, um die Situation in den Krankenhäusern zu beurteilen. Der Präsident der Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin, Uwe Janssens, sagte dazu bereits am 1. November: "Es ist in einigen Bundesländern nicht mehr viel Spielraum."
Diese Daten werden vom DIVI-Intensivregister bereitgestellt. Die folgende Grafik zeigt die Gesamtzahl der Corona-Intensivpatienten, die pro Tag in Bayern gemeldet wird. Die Grafik darunter zeigt die Vergleichszahlen für ganz Deutschland.
Grafik: Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen in Bayern
Grafik: Zahl der Corona-Patienten auf den Intensivstationen in Deutschland
Der bislang vergleichsweise milde Verlauf der Pandemie dürfe nicht dazu verleiten, die Gefahren zu unterschätzen, warnte Uwe Janssens, Präsident der DIVI. Die Belegung der Intensivbetten hänge im kommenden Winter von vielen Faktoren ab, die im vergangenen Frühjahr kaum eine Rolle spielten.
Dazu gehört die kommende Grippewelle - und wie stark sie sich angesichts der Corona-Maßnahmen entwickeln werde. Untersuchungen des Robert Koch-Instituts legen nahe, dass Hygienemaßnahmen, das Abstandhalten und das Tragen von Masken auch die Verbreitung der Grippe eindämmen.
Wie viele Intensivbetten können tatsächlich betrieben werden?
Im Intensivregister werden bei der Abfrage in der Eingabemaske explizit Betten abgefragt, die nicht nur mit entsprechenden vorhandenen Geräten, sondern auch nach dem Personalschlüssel (tagsüber 2,5 Betten pro Intensivpflegekraft) betreibbar sind. In einem Brief der DIVI, der zu Beginn des Monats November an alle meldenden Krankenhausstandorte versendet wurde, wurde nochmals eindringlich auf die Definition und die Notwendigkeit der tatsächlichen Betreibbarkeit nach eben diesen Kriterien hingewiesen.
Laut aktuellem DIVI-Tagesreport vom 10. November haben die Kliniken in Deutschland knapp 6.900 freie Intensivbetten gemeldet, bei denen sowohl ausreichend Technik als auch Personal zur Verfügung steht.
Die Kliniken geben laut DIVI zudem an, im Notfall innerhalb von sieben Tagen gut 12.400 weitere Intensivbetten in Betrieb nehmen zu können. (Stand 10. November)
Es gibt aber einen Faktor, der im DIVI-Intensivregister nicht direkt abzulesen ist. "Wir haben genug Material und Beatmungsgeräte bereitgestellt", sagt Gernot Marx, Sprecher des Arbeitskreises Intensivmedizin der "Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin" (DGAI). "Aber das größere Problem liegt beim Personal. Jeden Herbst und Winter steigt die Zahl der Erkrankten beim Klinikpersonal ohnehin. Jetzt kommen aber die Positiv-Infizierten und die strenge Corona-Quarantäne bei den Mitarbeitern hinzu.
Das Personal sei "der absolute Knackpunkt" bei der Versorgung der Corona-Patienten, meint auch der Vorstand Krankenversorgung der Berliner Charité, Ulrich Frei. Er kritisiert, dass dieser Personalmangel auf Intensivstationen aber schon vor Corona bestanden habe und sich nun verstärke.
Es fehle an ausreichend geschultem Pflegepersonal. Ein Teil der Intensivbetten stand bereits vor der Pandemie leer in Städten wie Berlin, München und Hamburg. Pflegepersonal werde gebeten, auf der Intensivstation zu arbeiten, Normalstationen werden geschlossen, Operationen verschoben, um genügend Personal auf den Intensivstationen zu haben. Das bestätigt auch der Hamburger Mediziner Stefan Kluge im Bayern 2-Interview.
Welche verschiedenen Arten von Intensivbetten gibt es?
Bei den Intensivbetten werden Low-Care-, High-Care- und ECMO-Behandlungsplätze unterschieden. Corona-Patienten, die noch genügend Luft bekommen, bekommen zusätzlich Sauerstoff über einen Schlauch oder eine Maske. Wenn das nicht ausreicht und der Patient in eine kritische Phase rutscht, wird er ins künstliche Koma versetzt und intubiert. Das heißt: Es kommt ein Beatmungsschlauch in die Luftröhre, der an ein Beatmungsgerät, das Sauerstoff zuführt, angeschlossen wird. Dies wäre bei einem High-Care-Behandlungsplatz möglich. Hier besteht auch die Möglichkeit, den Patienten in die Bauchlage zu verlagern, damit seine Lunge besser belüftet wird.
Ein ECMO-Behandlungsplatz gehört zur höchsten Versorgungsstufe. ECMO steht für extrakorporale Membranoxygenierung. Dabei handelt es sich um eine Maschine, die Blut aus der Vene des Patienten ansaugt - bis zu sechs Liter pro Minute. Das Blut wird mit Sauerstoff angereichert und von Kohlendioxid befreit. Dann gelangt es zurück in den Körper des Kranken. Mit dem ECMO-Verfahren lässt sich eine ausgefallene Lungenfunktion über Wochen hinweg überbrücken, bis die Lunge wieder ihre Funktion aufnehmen kann. In dem Fall braucht es eine entsprechende apparative und personelle Ausstattung.
Welche Kapazitäten es tagesaktuell bei der intensivmedizinischen Behandlung gibt, lässt sich im jeweiligen Tagesreport der DIVI unter https://www.divi.de/register/tagesreport ablesen.
Wie lange dauert es, bis ein Covid-Patient im Schnitt auf die Intensivstation muss?
Zu den Aufenthaltsdauern in den Kliniken macht die DIVI folgende Angaben:
- von der Infektion bis zum Beginn der Symptome dauert es im Schnitt 5 Tage
- vom Beginn der Symptome bis zu einer Verschärfung, die eine stationäre Aufnahme erfordert, dauert es im Schnitt nochmals 10 Tage
- vom Beginn der Symptome bis zu einer Verschärfung, die eine Aufnahme auf die Intensivstation erfordert, dauert es im Schnitt 10-12 Tage
- bei Aufnahme auf die Intensivstation kann, falls invasiv beatmet werden muss, der Verlauf sehr langwierig werden. Hier variiert die Dauer des Aufenthalts dann zwischen 18 und 24 Tagen, ggf. länger bei sehr schweren Verläufen
Die Maßnahmen des Lockdowns wirken sich also erst einen Monat später auf die Zahl der Intensivbetten aus.
Stefan Kluge, Intensivmediziner am UKE in Hamburg-Eppendorf, sagte am 3. November in der radioWelt in Bayern 2, von den neu Infizierten entwickelten am Tag 10 rund zwei Prozent eine schwere Lungenentzündung, sodass sie auf die Intensivstation müssten. Die Zahlen waren in den vergangenen Wochen hoch, diese Welle rollt nun auf die Krankenhäuser zu.
Anders als bei der Spitze der ersten Infektionswelle am 18. April werde diesmal kein Abflauen folgen, der Anstieg werde sich vielmehr vorerst fortsetzen, bekräftigte Uwe Janssens am 9. November. Der Grund sei, dass sich die jeweilige Zahl an Neuinfektionen erst verzögert in schweren Verläufen und schließlich in der Belegung der Intensiv-Stationen niederschlägt. "In vier Wochen werden wir die Folgen der Spitzenwerte jetzt sehen." Einige Zentren seien bereits am Anschlag, es müssten vereinzelt bereits Covid-19-Patienten in andere Kliniken gebracht werden.
Hinzu kommt, dass der Anteil älterer Infizierter nach Daten des Robert-Koch-Instituts seit Ende September wieder steigt. Sie haben ein höheres Risiko, schwer zu erkranken - und damit auch zu Intensivpatienten zu werden.
"Es bleibt abzuwarten, inwieweit sich dieser Trend der steigenden Infektionszahlen in Kalenderwoche 44 und Kalenderwoche 45 mit einer 10- bis 14-tägigen Verzögerung auch auf den Intensivstationen widerspiegelt. Wir beobachten zurzeit, dass das mediane Erkrankungsalter seit Anfang September wieder merklich ansteigt. (...) Somit muss befürchtet werden, dass auch der Anteil der stationären Behandlungsfälle zunehmen wird – und damit in Konsequenz auch die Zahl der intensivstationären Behandlungsfälle." Uwe Janssens, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI)
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