Das Coronavirus mit dem medizinischen Namen SARS-CoV-2 ist in vielen Bereichen noch eine Unbekannte für Experten. Sie wissen nicht so genau, welche Organe neben der Lunge sonst noch befallen werden. Obduktionen leisten einen Beitrag, das Krankheitsbild besser zu verstehen und vielleicht sogar Therapien daraus abzuleiten.
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Das Robert Koch-Institut fürchtet Ansteckungen bei Obduktionen
Im März 2020 hatte das Robert Koch-Institut (RKI) noch empfohlen, Obduktionen zu vermeiden. Denn Pathologen könnten sich beim Öffnen der Leichen mit dem Coronavirus infizieren.
"Eine innere Leichenschau, Autopsien oder andere aerosolproduzierenden Maßnahmen sollten vermieden werden. Sind diese notwendig, sollten diese auf ein Minimum beschränkt bleiben." Robert Koch-Institut mit Empfehlungen zum Umgang mit Covid-19 Verstorbenen
Autopsien erlauben Einblicke in den Körper
Diese Einschätzung des RKI hat sich inzwischen gewandelt. Auch Pathologen sprechen sich dafür aus, eine neue Infektionskrankheit wie Covid-19 auch durch Obduktionen näher kennenzulernen.
"Inzwischen ist klar, dass man dadurch Erkenntnisse verliert, die man gewinnen könnte, um gegen das Virus anzukämpfen und inzwischen empfiehlt sogar das Robert Koch-Institut Obduktionen unter gewissen Schutzmaßnahmen durchzuführen." Martina Rudelius, Professorin für klinische Pathologie an der LMU München
Bei Obduktionen gelten strenge Schutzmaßnahmen
An der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) werden seit März 2020 einzelne Verstorbene obduziert, die an Covid-19 erkrankt waren. Dabei gelten strenge Schutzmaßnahmen, damit sich das medizinische Personal nicht anstecken kann.
"Es sind Schutzmaßnahmen, die wir auch zum Beispiel bei HIV-Patienten machen und bei anderen Infektionskrankheiten, wo wir bestätigt haben, dass eine Infektion vorliegt. Insofern kennen wir uns da gut aus und nehmen Schutzmaßnahmen, die etabliert und standardisiert sind." Martina Rudelius, Professorin für klinische Pathologie an der LMU München
Pathologen entdecken Entzündungen in Gefäßen
Die Lunge ist bei Covid-19 Patienten immer befallen. Das lässt sich auch posthum bei der Obduktion sehen. Die Frage, die sich Pathologen stellen, ist, welche Bereiche im Körper das Coronavirus sonst noch angreift. Das lässt sich oft erst erkennen, wenn ganze Organe entnommen und genau untersucht werden. An der LMU zeigte sich, dass das Virus beispielsweise auch zu Entzündungen führt.
"Man sieht tatsächlich oft Entzündungen in den Gefäßen. Da muss man aber direkt das Gewebe und die Gewebeveränderungen anschauen." Martina Rudelius, Professorin für klinische Pathologie an der LMU München
Pathologische Untersuchungen ermöglichen Therapieempfehlungen
Falls weitere Obduktionen ergeben, dass solche Entzündungen in den Gefäßen bei Covid-19 Patienten mit zur Sterblichkeit beitragen, müsste man beispielsweise stärker auf die Blutgerinnung achten und Blutverdünner geben, um Blutgerinnsel zu vermeiden. Auch Wissenschaftler aus Zürich zeigen im Fachmagazin The Lancet, dass neben Atemwegsproblemen, Herz-Kreislauf-Komplikationen auch Entzündungen eine große Rolle spielen.
"Die Ergebnisse legen nahe, dass eine SARS-CoV-2-Infektion die Entzündungsreaktion des Wirts erleichtert." Varga Zsuzsanna, Klinik für Pathologie am Universitätsspital Zürich
Covid-19 als Haupt- oder Nebenerkrankung erkennen
Eine Obduktion kann außerdem sämtliche Vorerkrankungen zutage fördern, weil sie einen detaillierten Einblick in den Körper gewährt.
"Die Frage: Ist eher die Covid-19-Infektion der ausschlaggebende Punkt oder sind es eher die Vorerkrankungen? Das kann natürlich eine Obduktion schon leisten, dazu eine Aussage zu machen." Martina Rudelius, Professorin für klinische Pathologie an der LMU München
Pathologen arbeiten enger zusammen
Die LMU München arbeitet derzeit eng mit dem Max-von-Pettenkofer-Institut zusammen. Außerdem befinden sich die Münchner Pathologen im Austausch mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten Würzburg und Regensburg. Wünschenswert wäre ein zentrales Register, das in Zukunft sämtliche Erkenntnisse der Pathologen zusammenführt. Die Technische Hochschule (RWTH) Aachen geht dafür erste Schritte:
"Das Ziel dieses Registers ist es, möglichst alle Obduktionsfälle von COVID-19 Erkrankten deutschlandweit und, falls möglich im deutschsprachigen Raum, zentral elektronisch zu erfassen und anschließend als zentrale Vermittlungsstelle für Datenanalyse und Anfragen zu dienen." Peter Boor, Institut für Pathologie an der Uniklinik RWTH Aachen
Allerdings ist das Register noch nicht offiziell zugelassen. Die Deutsche Gesellschaft für Pathologie (DGP) und der Bundesverband Deutscher Pathologen (BDP) begrüßt die Initiative aus Aachen und fordern nun alle Pathologien, die in der Lage sind, COVID-19 Fälle zu obduzieren, zur Unterstützung auf.