Am Anfang der Coronavirus-Pandemie hieß es immer, es gibt zwei Möglichkeiten, diese langfristig zu überstehen: mit einem geeigneten Impfstoff oder mit einer Herdenimmunität. Derzeit arbeiten weltweit über 100 Forscherteams an der Entwicklung eines Impfstoffs. Bis der kommt, wird es aber noch eine Weile dauern. Für eine Herdenimmunität - hieß es am Anfang der Pandemie - müssten im Fall von Sars-CoV-2 etwa 60 bis 70 Prozent der Bevölkerung durchseucht sein. Das Virus könnte sich nicht dann nicht weiter ausbreiten, weil Infizierte meist auf andere Menschen treffen, die bereits immun sind. Das passiert bei Infektionskrankheiten beispielsweise durch Antikörper.
Herdenimmunität auf Kosten anderer?
Das Problem mit der Herdenimmunität besteht aber darin, dass man sie nicht einfach so erreichen kann ohne das Leben Tausender zu gefährden und die Überlastung des Gesundheitssystems zu riskieren. Keine gute Idee also. Aber gerade in Spanien, einem Land, das neben Italien und Großbritannien in Europa am härtesten von der Pandemie betroffen war, könnte man doch mittlerweile von einer Durchseuchung ausgehen. Bis zum 10. Juli sind dort 253.056 Menschen positiv getestet worden, 28.401 Menschen starben. Man geht davon aus, dass sich eigentlich viel mehr Menschen infiziert haben, die einen sehr milden Verlauf oder gar keine Symptome hatten, aber zu einer Durchseuchung beitragen könnten.
Große Antikörper-Studie
Spanien bietet sich also für eine Antikörper-Studie an, bei der herausgefunden werden soll, wie viele Menschen Antikörper auf Sars-CoV-2 gebildet haben. Das haben spanische Epidemiologen und Mikrobiologen des Nationalen Instituts für Epidemiologie des Madrider Gesundheitsinstitut Carlos III., des spanischen Gesundheitsministeriums und der Harvard-Universität in Boston analysiert und ihre Ergebnisse im Fachmagazin “The Lancet” veröffentlicht. Dabei haben sie zufällig 35.883 Haushalte ausgewählt, aus denen insgesamt 61.075 Menschen zwischen dem 27. April und dem 11. Mai einen Fragebogen ausgefüllt und zwei Antikörpertests durchgeführt haben: einen Schnelltest für daheim und einen, der im Labor ausgewertet wurde.
Geographische Unterschiede
Das Ergebnis: Nur bei fünf Prozent der Getesteten fanden sich Antikörper, beim Labortest waren es sogar nur 4,6 Prozent. Einen Unterschied zwischen den Geschlechtern gab es nicht, Kinder unter zehn Jahren wiesen noch seltener Antikörper auf. Das war nur bei 3,1 Prozent der Fall. Vor allem geographisch gab es Unterschiede: Während an den Küstenregionen sogar nur durchschnittlich drei Prozent Antikörper gebildet hatten, waren es im stark betroffenen Madrid im Schnitt zehn Prozent.
Ein Drittel ohne Symptome
Von den Menschen, bei denen 14 Tage oder mehr vor der Untersuchung ein positiver PCR-Test vorlag (das waren nur 195), wiesen etwa 90 Prozent Antikörper auf. 7.273 Personen gaben an, mehrere Symptome gehabt zu haben. Bei ihnen konnten bei etwa 17 Prozent Antikörper nachgewiesen werden. Etwa ein Drittel (zwischen 21,9 Prozent und 35,8 Prozent) der Personen mit Antikörpern waren komplett ohne Symptome. Umgerechnet auf das ganze Land wären das zwischen 375.000 und einer Million Menschen, die das Virus potentiell weitergegeben haben, ohne zu wissen, dass sie infiziert waren.
Keine Durchseuchung
In der Studie geht es also nicht darum, wie viele Antikörper nach einer durchgemachten Infektion zurückbleiben, sondern wie hoch die Durchseuchungsrate ist. Und die ist mit fünf Prozent wesentlich geringer, als viele dachten. Von einer Herdenimmunität sind die Spanier also weit entfernt. Was die Antikörper nach einer Infektion betrifft, häufen sich derzeit Studien, die belegen, dass diese wohl nicht so lange erhalten bleiben, wie man es sich wünschen würde.
Antikörper lassen nach
Alle drei bis vier Wochen kommen Webasto-Mitarbeiter für einen Bluttest ins Krankenhaus. Das sind jene Mitarbeiter, die Anfang des Jahres als eine der ersten in Deutschland an Covid-19 erkrankt waren. Mittlerweile weisen sie kaum noch Antikörper auf. Bei einer chinesischen Studie fiel auf, dass gerade bei asymptomatischen Verläufen die Anzahl der Antikörper nach acht Wochen um 80 Prozent gesunken war. Und auch eine Wiener Untersuchung, die noch nicht publiziert wurde, legt nahe, dass gerade mal die Hälfte der Infizierten schützende Antikörper entwickeln. Ähnliche Ergebnisse - gerade bei milden Verläufen - kommen auch aus Zürich und Lübeck.
Weitere Studien notwendig
All diese Studien eint jedoch, dass es sich stets um niedrige Fallzahlen handelt. Teilweise wurden sie noch nicht unabhängig geprüft, Folgeuntersuchungen stehen noch aus. Wie sich die Antikörper-Anzahl auf eine Immunität auswirkt, ist ebenfalls noch nicht abschließend geklärt. Dazu sind weitere Studien notwendig.
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