Wissenschaftler befürchteten schon lange den Ausbruch einer Pandemie und dass sich etwas Vergleichbares zu SARS, einer Infektionskrankheit, ausgelöst durch Viren aus dem Tierreich, wiederholen könnte. Doch das jetzige Ausmaß von Covid-19 und die schnelle weltweite Verbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 kam für viele Wissenschaftler trotzdem überraschend.
Vermutlich ist dies aber nur die Spitze des Eisbergs, denn es schlummern noch weitere Infektionskrankheiten im Tierreich. Der Vizepräsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lars Schande, betont: "Nur 40 zoonotische Viren mit Potenzial sind bereits bekannt." Viren sind aber sehr anpassungsfähig und trotz intensiver Forschung werden uns die Erreger noch weiter viele Rätsel aufgeben. Um so wichtiger ist es zu verstehen, woher Zoonosen stammen.
Zoonosen verbreiten sich schneller in einer vernetzten Welt
Die Zahl der Infektionskrankheiten ist in den letzten 30 Jahren gestiegen. Das liegt sicherlich an der besseren Diagnostik, aber auch generell an den globalen Übertragungswegen durch Warenverkehr und Tourismus. Doch wo und warum entstehen Infektionskrankheiten? Zahlreiche Studien bestätigen: Sie sind Folgen der Umweltzerstörung und des Klimawandels. Der Mensch versucht immer weiter in entlegene Regionen wie Urwälder zu gelangen, zerstört die Lebensräume von Tieren auf der Suche nach natürlichen Ressourcen und trifft auf Erreger, die für Menschen gefährlich sind, weil sie neu für sein Immunsystem sind und es nicht gegen sie ankommt.
Zoonosen stammen aus dem Tierreich
Das neuartige Coronavirus, Influenza, Pest, Ebola oder Aids stammen ursprünglich aus dem Tierreich. Fast 70 Prozent aller Infektionskrankheiten sind Zoonosen. Diese Infektionskrankheiten werden von Tieren auf den Menschen übertragen. Erreger können Bakterien, Viren oder Pilze sein. Die Übertragung findet auf natürlichem Wege statt. Es gibt allerdings auch Viren, an die sich das Immunsystem von Tiere und Menschen bereits angepasst haben. Veränderte Umweltbedingungen schaffen aber neue Übertragungsmöglichkeiten.
Viren brauchen Tiere als Wirt, um sich zu vermehren und um zu überleben. Verändern sich die Lebensräume, dann kommen Tiere miteinander in Kontakt, die sich normalerweise niemals begegnet wären. Wenn dann noch Tiere und Menschen auf engem Raum zusammen sind, schafft es ein Virus leichter, die Artengrenze zu überschreiten. Die Viren werden übertragen, wenn Menschen mit den Sekreten der Tiere, zum Beispiel dem Speichel einer befallenen Fledermaus, in Berührung kommen, oder wenn sie wilde Tiere essen.
Zerstörung der Artenvielfalt begünstigt die Entstehung neuer Krankheiten
Flughunde waren der Ursprung der Infektionskrankheit Ebola in Westafrika. Beim neuem Coronavirus lief der Übertragungsweg vermutlich von Fledermäusen über einen Zwischenwirt auf den Menschen. Damit Erreger die Artengrenze überschreiten, muss die Oberfläche des Virus genau auf die Wirtszelle passen. Dann kann das Virus in die Zelle eindringen und sie umprogrammieren.
Bei diesem Prozess kann das Virus auch mutieren und zu einer ganz anderen Wirtsart passen. So überschreiten die Erreger die Artenschranke und können auf den Menschen überspringen. Wenn Tiere aus ihrem natürlichen Lebensraum verdrängt werden, reduziert sich die Artenvielfalt und Wildtiere rücken den Menschen näher. Krankheitserreger, die bislang im Urwald verborgen waren, kommen zum Vorschein.
Widerstandsfähige Tierarten passen sich an und geben Viren weiter
Infektionskrankheiten werden uns in Zukunft noch stärker bedrohen. Die Forschung an Impfstoffen und Medikamenten können deren Auswirkungen nicht alleine bekämpfen. Es ist deshalb notwendig, auch die Entstehung von Zoonosen zu verstehen. Damit beschäftigt sich die Evolutionsökologin Professorin Simone Sommer von der Universität Ulm. Sie forscht seit vielen Jahren in Afrika, Brasilien und in Panama an den Zusammenhängen, wie die Zerstörung der Umwelt und die Abholzung von Wäldern sich auf die dort lebenden Tieren und ihr Immunsystem auswirken.
Einer ihrer Forschungsergebnisse ist: Nicht jede Art kommt mit den unterschiedlichen Krankheitserregern zurecht. Dann stirbt diese Art aus. Widerstandsfähige Tierarten hingegen, wie etwa Fledermäuse oder Nagetiere, passen sich an und können Erreger weitergeben.
Umweltzerstörung und der Ausbruch von Zoonosen
Bereits seit den Ebola-Ausbrüchen in Westafrika weisen Wissenschaftler auf einen Zusammenhang zwischen der Umweltzerstörung und dem Ausbruch von Zoonosen hin: Die Menschen mussten ins Landesinnere, tiefer in den Regenwälder fliehen, weil sie sich nicht mehr wie früher vom Fischen ernähren konnten. Die intensive Ausbeutung der Meere drängte die Einwohner dazu, nach anderer Nahrung zu suchen. Mit der Folge, dass sie mit dem Ebola-Erreiger in Kontakt kamen.
"Wenn Menschen in Wälder vordringen, dann stören sie erstmal die Ökosysteme. Das bedeutet: Tiere kommen miteinander in Kontakt, mit anderen Wildtieren, die vielleicht normalerweise nicht in Kontakt gekommen wären. Und auch mit den Menschen. Das können absichtliche Kontakte sein, wenn Menschen Wildtiere jagen oder unabsichtliche sein, wenn Essen vielleicht mit Kot von Tieren kontaminiert ist." Arnulf Köhncke, Leiter Artenschutz WWF
Klimawandel begünstigt Malaria-Erkrankungen
Eine brasilianischen Studie von 2010 kam bereits zu dem Ergebnis, dass eine Abholzung von vier Prozent Wald eine 50-prozentige Zunahme von Malaria-Erkrankungen zur Folge hat. Der Klimawandel sorgt noch dazu dafür, dass Tiere sich neue Lebensräume erobern müssen. Diese Erkenntnisse und Warnungen sind schon lange bekannt. Sie müssen nun verstärkt in eine globale Gesundheitsvorsorge aufgenommen werden, um die Zunahme von Zoonosen zu stoppen.
"Die Gesundheit von Menschen, Wildtieren und Umwelt muss konsequent zusammen gedacht werden. Wir müssen unsere Beziehung zur Natur überdenken und korrigieren. Die Zusammenhänge zwischen gesunden, vielfältigen Lebensräumen einerseits und der menschlichen Gesundheit andererseits müssen bei der globalen Gesundheitsvorsorge in den Fokus gestellt werden." Eberhard Brandes, Vorstand WWF Deutschland
Wildtierhandel muss konsequent verboten werden
Ein weiteres Risiko für die Entstehung von Zoonosen betrifft den Wildtierhandel. Covid-19 stammt sehr wahrscheinlich von einem Markt in Wuhan. Auf engsten Raum trafen dort verschiedene Nutz- und Wildtierarten aufeinander: ein Schmelztiegel für Erreger. Wildtiermärkte wie in Wuhan hat die chinesische Regierung nun verboten und auch den Verzehr von Wildtieren. Doch der illegale Handel muss konsequent verfolgt werden, damit sich ein ähnliches Szenario nicht mehr wiederholt.
Lehren aus der Coronakrise
Neben dem konsequentem Verbot des Wildtierhandels ist der Umwelt- und Artenschutz von entscheidender Bedeutung, um zukünftige Pandemien zu verhindern. Deshalb müssen Schutzgebiete ausgeweitet und Wälder wieder aufgeforstet werden. Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ist eng miteinander verknüpft und benötigt globale Lösungen. Dazu gehört auch die Unterstützung von Entwicklungsländern, um das Risiko neuer Zoonosen zu verringern.
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