Von Lichtverschmutzung ist die Rede, von Lichtsmog, von künstlichem Licht bei Nacht. Unsere Welt wird immer heller, Bayern ist mit drei bis vier Prozent Zuwachs bei der Intensität jährlich dabei. Im Durchschnitt wächst pro Jahr die Intensität des künstlichen Lichts und die Größe der beleuchteten Fläche um rund zwei Prozent, und das weltweit. Die Zahlen stammen aus dem Weltatlas der Lichtverschmutzung, im Jahr 2018 herausgegeben vom Geoforschungszentrum Potsdam.
Das Insektensterben soll zumindest teilweise mit künstlichem Licht bei Nacht zu tun haben. Man denke nur an die Motten, die sich um Straßenlampen scharen, weil sie sich eigentlich am Mond orientieren wollen. Aber sind diese Motten ein irrlichternder Einzelfall oder Teil eines großen, leider hell erleuchtenden Ganzen? Welchen Einfluss hat die Lichtverschmutzung insgesamt auf unsere Umwelt und auf andere Lebewesen?
Auswirkungen der Lichtverschmutzung auf Meeresschildkröten und Vögel
"Besonders in den letzten fünf Jahren hat das Interesse an den Auswirkungen des künstlichen Lichts bei Nacht stark zugenommen“, sagt Kevin Gaston von der University of Exeter in Großbritannien. "Deshalb wurden auch sehr viele wissenschaftliche Studien dazu durchgeführt.“ Als Beispiele nennt er Meeresschildkröten. Ein frisch geschlüpftes Meeresschildkrötenbaby macht sich nämlich sofort zum hellsten Punkt auf. Das war früher immer das Meer, da will das Meeresschildkrötenbaby hin. Stattdessen führen hell erleuchtete Strandpromenaden und Hotels immer öfter dazu, dass die Meeresschildkröten in die falsche Richtung laufen – und in den Tod. Ein anderes Beispiel sind Zugvögel. "Es gibt Hinweise, dass ihre Routen vom Licht großer Städte gestört werden“, sagt Kevin Gaston.
Eine Metastudie zur Lichtverschmutzung
Bislang allerdings konzentrierten sich diese Studien auf einzelne Arten oder auf einzelne Auswirkungen. Um ein besseres Bild davon zu bekommen, wie groß der Einfluss des künstlichen Nachtlichts ist, haben Kevin Gaston und seine Kollegen all diese Studien zusammengetragen und sie gesammelt in einer sogenannten Übersichts- oder Meta-Studie ausgewertet. Diese ist nun im Fachmagazin "Nature Ecology & Evolution" erschienen.
Korallen, Fledermäuse und Wirbellose künstlich erleuchtet
Dafür sammelten die Forscher insgesamt 126 bereits zuvor veröffentlichte Studien, die sich mit dem Einfluss des künstlichen Lichts bei Nacht auf verschiedene Organismen beschäftigten. Die Auswirkungen teilten sie in fünf Kategorien ein, unter anderem in physiologische Effekte, in tägliche Aktivitätsmuster sowie in Auswirkungen auf die Population oder die Gemeinschaft insgesamt. Diese Kategorien sind absichtlich so breit gefasst, schließlich ging es um eine ganze Spannbreite von Organismen, von Korallen über Fledermäuse bis hin zu Wirbellosen. Auch deckten die Studien unterschiedliche Bedingungen ab – von Feldstudien in freier Wildbahn bis hin zu Laborexperimenten war alles dabei.
Künstliches Licht beeinflusst den Tag-Nacht-Rhythmus und das Jagdverhalten
Insgesamt zeigte sich bei den physiologischen Effekten besonders der Einfluss des künstlichen Lichts auf Hormonlevel, zumeist Melatonin. Künstliches Licht bei Nacht hemmt die Melatoninproduktion, und Melatonin ist das Hormon, das auch bei uns Menschen den Tag-Nacht-Rhythmus steuert. "Das ist evolutionär gesehen ein sehr alter Mechanismus,“ sagt Gaston. "Wenn man damit herumpfuscht, kann alles Mögliche passieren.“
Darüber hinaus fanden die Forscher auch Auswirkungen auf das, was ein wenig holprig als "Lebensgeschichte“ zusammengefasst werden kann. Gemeint ist die Anzahl der Nachkommen, das Jagdverhalten, kognitive Effekte oder auch der erfolgreiche zurückgelegte Weg zum Meer der Meeresschildkrötenbabys. Hier waren die mentalen Kapazitäten sowie die Anzahl der Nachkommen eher negativ beeinflusst, während die Effekte beim Jagen eher positiv ausfielen – kein Wunder, weil ein Jäger seine Beute nachts leichter erkennen kann.
Unterschiedlicher Einfluss des künstlichen Lichts auf Tiere
Weitere starke Effekte zeigten sich bei den Aktivitäten von tagaktiven Tieren. Diese legen im Durchschnitt früher los und hören später auf. Ein Beispiel sind Vögel: Männchen starten früher am Tag mit dem Gesang. Eigentlich mag das nicht schlecht sein, schließlich steigt dadurch die Chance, eine geeignete Partnerin zu finden. Für nachtaktive Nager allerdings ist das künstliche Licht eher ein Hindernis, sie waren dadurch insgesamt weniger aktiv.
Effekte der Lichtverschmutzung auf Ökosysteme
Was in diesem Zusammenhang wichtig ist: Positive oder negative Effekte sind nicht als "gut“ oder "schlecht“ zu verstehen. Ein positiver Effekt beim Jagen mag zwar für den Jäger an sich "gut“ sein, schließlich fängt er mehr Beute. Auf die Beute allerdings hat das natürlich eine negative Auswirkung. Und für das Ökosystem als Ganzes lässt sich feststellen, dass die Lichtverschmutzung definitiv einen Einfluss darauf hat.
Die Balance von Ökosystemen kann beeinflusst werden
"Was unsere Analyse wirklich zeigt, ist, dass die Effekte des künstlichen Lichts bei Nacht so weitreichend sind,“ sagt Kevin Gaston. Gaston vergleicht diese Effekte mit denen des Klimawandels: Auch dieser beeinflusst unterschiedliche Spezies auf unterschiedliche Arten und Weisen. Diese können wiederum andere Spezies beeinflussen und somit eine Auswirkung auf ganze Ökosysteme haben.
"Menschen haben eine sehr merkwürdige Beziehung zu künstlichem Licht bei Nacht“, sagt Gaston. "Licht ist so günstig, und es ist so einfach. Und wenn man eine Liste der menschlichen Einflüsse auf die Umwelt erstellen würde, würde man es auf dieser Liste wahrscheinlich nicht finden. Aber jetzt wissen wir, dass Licht einen wirklich starken Einfluss auf Lebewesen hat.“
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