Er ist der Steinzeit-"Promi" schlechthin: Ötzi, der Mann, der vor über 5.000 Jahren die Berge der heutigen Südtiroler Alpen überqueren wollte und dort ein jähes Ende fand. Seine Mumie ist dank des ewigen Eises bis heute sehr gut erhalten. Anhand dieser gewinnen Forschende immer wieder neue und erstaunliche Erkenntnisse über den Mann aus dem Eis und seine Zeitgenossen.
Ein Team aus Deutschland, Italien und Österreich hat jetzt mit modernsten Gensequenzier-Methoden neue Erkenntnisse dazu erlangt, wie Ötzi aussah und wer seine Ahnen waren. Der Mann hatte offenbar deutlich dunklere Haut als bislang angenommen, könnte statt vollem eher schütteres Haupthaar gehabt haben – und sein Stammbaum bestand zum größten Teil aus Ackerbauern, die aus Anatolien nach Europa gezogen waren.
Ötzi hatte zu 91 Prozent bäuerliche, vor allem anatolische Wurzeln
Der Genmix heutiger Menschen in Europa geht vor allem auf drei große Ahnengruppen zurück: erstens die ursprünglichen Jäger und Sammler Westeuropas, zweitens frühe Landwirte, die vor etwa acht- bis neuntausend Jahren aus dem Nahen Osten einwanderten und bäuerliche Kultur und Ernährungsformen mitbrachten, sowie drittens Steppenhirten aus Osteuropa, die später nach Westen zogen.
Frühere Genomanalysen hatten bei Ötzi auch Spuren von allen drei Gruppen identifiziert. Nun aber stellte sich heraus: Die Proben müssen durch moderne menschliche Gene verunreinigt gewesen sein – ein Risiko der damaligen Analysemethoden. Mit neueren Sequenzier-Modellen konnten die Forscher jetzt ein viel genaueres Bild zeichnen. Dabei untersuchten die Forschenden dasselbe Probenmaterial, das bereits für frühere Analysen verwendet wurde, und zwar aus Ötzis Darmbeinknochen.
"Wir waren sehr überrascht, im neuen Ötzi-Genom keine Spuren der osteuropäischen Steppenhirten zu finden", erklärt Johannes Krause, Leiter der Abteilung Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und Mitautor der Studie, die im Fachblatt "Cell Genomics" erschien: "Auch der Anteil der Jäger- und Sammler-Gene beim Ötzi ist sehr gering. Genetisch sieht er so aus, als seien seine Vorfahren direkt aus Anatolien gekommen."
Besonders spannend: Unter all seinen heute bekannten Zeitgenossen hat Ötzi mit mehr als 91 Prozent den höchsten Anteil Erbgut anatolischer Zuwanderer. Einzig die Steinzeitmenschen an einer weiteren Fundstelle, in der Nähe von Vicenza in Norditalien, hatten einen ähnlichen Genmix. Die Forschenden schließen daraus, dass Ötzi aus einer relativ isolierten Bevölkerung in den Alpen stammt, die nur wenig Kontakt zu anderen europäischen Gruppen hatte.
Dunkelhäutig und dunkles, schütteres Haar
Doch nicht nur seine Vorfahren konnte das Forscherteam genauer rekonstruieren. Auch, wie Ötzi ausgesehen haben muss, lässt sich mit den neuen Erkenntnissen genauer bestimmen. Zum Beispiel seine Hautfarbe: "Es ist der dunkelste Hautton, den man in europäischen Funden aus derselben Zeit nachgewiesen hat", erklärt der Anthropologe und Mitautor der Studie, Albert Zink, Leiter des Instituts für Mumien-Forschung bei "Eurac Research" in Bozen. "Man dachte bisher, die Haut der Mumie sei während der Lagerung im Eis nachgedunkelt, aber vermutlich ist das, was wir jetzt sehen, tatsächlich weitgehend Ötzis originale Hautfarbe. Dies zu wissen, ist natürlich auch wichtig für die Konservierung."
Außerdem hatte Ötzi ein erhöhtes Risiko für Übergewicht und Diabetes Typ 2, was allerdings bei seinem gesunden Lebensstil keine Probleme verursacht haben dürfte. Auch, was seine Haare anbelangt, dürfte der Steinzeitmann anders ausgesehen haben als bislang gedacht. Seine Gene zeigen nämlich eine Veranlagung zur Glatzenbildung. "Das ist ein relativ eindeutiges Ergebnis und könnte auch erklären, warum bei der Mumie fast keine Haare gefunden wurden", sagt Zink.
Allerdings wurden in unmittelbarer Nähe der Mumie neun Zentimeter lange, dunkle Haupthaarlocken entdeckt. Elisabeth Vallazza, Direktorin des Südtiroler Archäologiemuseums, ist deshalb vorsichtig mit der Interpretation der Ergebnisse. Sie freue sich über neue Untersuchungen, die ein konkreteres Bild des Menschen ermöglichten. Die bekannte Figur in ihrem Museum – eine Rekonstruktion von Ötzi aus dem Jahr 2011 – soll aber erst mal nicht überarbeitet werden: "Es ging dabei vor allem darum, zu zeigen, dass Ötzi ein moderner Mensch war: mittleren Alters, tätowiert, drahtig, wettergegerbt, ein Mensch wie du und ich."
Im Video: Moderne Erbgut-Analyse bei Ötzi
Dieser Artikel ist erstmals am 16.08.2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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