Der Immunologe Stefan Hockertz hat in einem Radiointerview mit einem Berliner Privatsender gesagt: "Die Reaktion der Politik ist unverhältnismäßig, sie ist autoritär, sie ist rechthaberisch, sie ist maßlos." Zudem trifft Hockertz zahlreiche Aussagen über die Gefährlichkeit der Influenza und des Coronavirus, die zumindest verfrüht und teilweise ungenau sind. Das Interview verbreitet sich derzeit als Sprachnachricht auf Whatsapp und auf anderen Wegen.
Die BR-Gesundheitsexpertin Jeanne Turczynski ordnete die Aussagen von Hockertz bereits im Podcast Bayern 3 Update ein. Hier noch einmal die wichtigsten Stellen daraus im #Faktenfuchs.
Corona ähnlich gefährlich wie die Grippe?
Hockertz behauptet, das neuartige Coronavirus zeige in etwa die gleiche Gefährlichkeit wie die Influenza. Es werde nur schärfer beobachtet. Ähnliche Behauptungen stellte auch der Arzt Wolfgang Wodarg auf - dessen Aussagen wir in einem früheren #Faktenfuchs analysierten. Hockertz behauptet außerdem, dass die Zahl der Todesfälle nicht angibt, wie viele Menschen tatsächlich am Virus selbst gestorben sind. Dadurch wirkt die Gefährlichkeit des Virus aus seiner Sicht größer. Die vielen Toten in Italien und Spanien führt er nicht auf das Virus selbst, sondern auf die schlechte Ausstattung und Hygiene in den Krankenhäusern zurück.
Die wichtigste Antwort auf Hockertz' aktuelle Aussagen ist laut BR-Gesundheitsexpertin Turczynski: "Wir wissen das alles nicht genau." Mit Vergleichen zwischen Influenzua und dem neuen Coronavirus sei Zurückhaltung geboten. Zwar hätten die beiden ähnliche Krankheitsbilder. Aber im Fall von Corona gebe es weder Medikamente noch Impfstoffe, anders als gegen die Influenza. Corona sei außerdem ansteckender und verbreite sich deutlich schneller als die Influenza, so BR-Gesundheitsexpertin Jeanne Turczynski. Auch das ist hier näher ausgeführt.
Eine abschließende Bewertung in Bezug auf die Todesfälle ist ebenfalls noch nicht möglich. Ein Vergleich ist irreführend, weil Corona- und Influenza-Sterberaten unterschiedlich gemessen werden. Auch hierzu gibt es bereits einen #Faktenfuchs.
An Corona gestorben - oder mit Corona?
Hockertz behauptet auch, dass die meisten Menschen, die jetzt als Corona-Todesfälle gezählt werden, “so oder so gestorben” wären. Sie seien mit Corona gestorben und nicht an Corona.
Richtig ist, dass jeder Mensch, der positiv auf das neue Coronavirus getestet wurde und stirbt, als Corona-Todesfall gilt (hierzu dieser #Faktenfuchs).
Der faktenfinder der Tagesschau weist auf einen weiteren Widerspruch in den Aussagen des Immunologen hin. So behauptet Hockertz, dass nur rund fünf Prozent der Bevölkerung mit einem schweren Verlauf einer Covid-19 Erkrankung zu rechnen hätten. Er sagte, dass zu den besonders von einer Ansteckung gefährdeten Gruppen "Alte, Kranke, vorgeschädigte Menschen und Raucher" gehören.
Doch alleine die Anzahl der Raucher liegt in Deutschland laut Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bei 23 Prozent der erwachsenen Bevölkerung. Hinzu käme, so der faktenfinder der Tagesschau: "Mehr als 20 Millionen Menschen sind älter als 60 Jahre alt. Und es gibt eine Reihe von Risikofaktoren bei Millionen Menschen durch Vorerkrankungen." Daraus ergebe sich eine Risikogruppe von deutlich über fünf Prozent. Experten rechneten damit, dass die Erkrankung "bei 20 Prozent der mit Covid-19 Infizierten schwer" verlaufe, so der faktenfinder.
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Sparen und mangelnde Hygiene als Risikofaktoren?
Der Immunologe Hockertz behauptet auch, dass gerade in Italien und Spanien derart viele Menschen sterben würden, da dort die Gesundheitssysteme "kaputtgespart" worden seien und die Krankenhaushygiene erbärmlich sei.
Zum Punkt Hygiene in den Krankenhäusern sagte Claus Wendt vom Institut Soziologe der Gesundheit und des Gesundheitssystems der Universität Siegen, gegenüber dem ZDF: Bei Krankenhauskeimen schneide Italien im europäischen Vergleich besonders schlecht ab. "Damit hätten wir also einen ersten Indikator, dass Italien bei wichtigen Hygienevorschriften im Gesundheitssystem vergleichsweise schlecht aufgestellt ist", so Wendt.
Weitere Faktoren könnten Rolle bei der Corona-Pandemie spielen
Allerdings könnten sogar noch weitere Faktoren eine Rolle bei der Ausprägung der Corona-Fälle spielen, etwa die Luftqualität.
Jeanne Turczynski warnte im Bayern3-Podcast dennoch davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. Keiner könne derzeit behaupten, in Bezug auf die Gefährlichkeit von Corona schon die Wahrheit zu kennen. Die Politik müsse Entscheidungen treffen. Derzeit finden manche die Maßnahmen zu spät oder zu milde, manche finden sie zu früh oder zu einschneidend. Zum jetzigen Zeitpunkt aber seien abschließende Urteile nicht möglich, so Turczynski.
Fazit
Für Bewertungen des Corona-Virus, die es auf eine mit Influenza vergleichbare Stufe stellen, ist es zu früh.
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* Seit der Veröffentlichung wurde der Absatz über die Aussage Hockertz', dass nur fünf Prozent der Bevölkerung mit einem schweren Verlauf der Erkrankung zu rechnen, konkretisiert. Zuvor war ggf. missverständlich formuliert, dass Hockertz' Rechnung in sich selbst unschlüssig ist.