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#Faktenfuchs: Warum Covid-19 gefährlicher ist als Grippe

"Nur eine Grippe": Das verharmlost Covid-19 - und die Gefahren einer Influenza-Erkrankung. Zwischen Grippe und Corona gibt es Parallelen, aber auch erhebliche Unterschiede. Inzwischen scheint klar: Covid-19 ist gefährlicher.

Während zum zweiten Mal in Deutschland das öffentliche Leben stärker heruntergefahren wird, reißt eine Debatte nicht ab: Corona - der Grund für diese politischen Maßnahmen - sei nicht schlimmer als die Grippe. Diese oder ähnliche Behauptungen verbreiten sich seit Anfang der Pandemie - und sie sollen die Entscheidungen zur Eindämmung des neuartigen Coronavirus delegitimieren. Der #Faktenfuchs geht darauf ein - und erklärt, warum sie falsch sind.

1. Impfung

Einer Covid-19 Infektion sind wir viel schutzloser ausgeliefert als Influenza-Viren, weil es im Gegensatz zur Influenza bisher keinen Impfstoff gibt – und weil in der Bevölkerung keine natürliche Immunität besteht. Das Grippevirus mutiert zwar sehr stark, dennoch besteht eine Grundimmunität in der Bevölkerung, das heißt einige Menschen sind immun. Das liegt vor allem daran, dass einige Grippe-Viren schon seit mehreren Jahren kursieren, wir sind also in gewisser Weise an das Virus angepasst. Zusätzlich schützt die Impfung, die für über 60-jährige, Risikopersonen und Gesundheitspersonal empfohlen wird. Laut Robert Koch-Institut (RKI) können ältere Menschen das Risiko, an Influenza zu erkranken, durch eine Impfung etwa halbieren. Das RKI schätzt, dass dadurch pro Jahr 400.000 Personen über 60 Jahren von einer Erkrankung verschont bleiben, auch wenn die Influenzaimpfung nicht immer optimal wirkt. Auch sei der Krankheitsverlauf bei Geimpften milder, also mit weniger Komplikationen als bei Ungeimpften.

Für Spekulationen, wonach Grippe-Impfungen die Ursache für den hohen Anstieg der Corona-Neuinfektionen seien, gibt es keine Belege. Laut Robert Koch-Institut liegen bislang keine Hinweise vor, dass Grippe-Impfungen das Risiko, an Covid-19 zu erkranken, erhöhen. Es sei "auch kein physiologischer Mechanismus bekannt, der einen solchen Einfluss plausibel erklären könnte". Die steigende Zahl der Corona-Neuinfektionen hat also nichts mit der Grippe-Impfung zu tun.

Wie gut eine Impfung gegen Covid-19 schützen kann, hängt vom Verlauf der Impfstoff-Forschung ab. Aktuell wird weltweit an fast 200 Impfstoffkandidaten gegen Covid-19 geforscht, einige davon werden bereits an Menschen getestet. Wann ein Impfstoff kommt, ist noch unklar.

2. Sterberisiko

Um herauszufinden, wie hoch das Risiko ist, an Covid-19 oder einer Grippe zu sterben, hilft ein Blick auf die Infektionssterblichkeit. Sie gibt an, wie viele Menschen, die sich mit dem Coronavirus infizieren, daran sterben. Die Schätzungen dazu lagen lange Zeit weit auseinander. Durch neue Meta- und Übersichtsstudien ist das Bild inzwischen etwas klarer. Eine Studie des Dartmouth College in New Hampshire zeigt, dass die Infektionssterblichkeit für Covid-19 in den USA bei 0,8 Prozent liegt und damit 16-mal höher ist als für die Influenza in den USA, erklärt der Virologe Christian Drosten: "Jetzt ist aber die amerikanische Bevölkerung jünger als die deutsche. Das heißt, wir müssten in Deutschland mit einer Infektionssterblichkeit rechnen, die nach dieser Auswertung so an die ein Prozent rangeht oder sogar knapp über ein Prozent geht."

Aufgrund der anderen Altersstruktur ist für Deutschland bei Covid-19 eine Infektionssterblichkeit von 1,0 Prozent oder etwas mehr anzunehmen. Dagegen wird in Deutschland bei der Influenza eine Sterberate von 0,1 bis 0,2 Prozent geschätzt.

Die amerikanische Studie zeigt aber noch etwas: Die Infektionssterblichkeit ist extrem altersabhängig und geht mit zunehmendem Alter rapide nach oben. Während bei unter 35-Jährigen das Risiko nach einer Ansteckung zu sterben bei 0,004 Prozent liegt – das hieße einer von 25.000, der sich ansteckt, stirbt. Ist es bei den 65- bis 74-Jährigen bei 2,5 Prozent, das heißt jeder Vierzigste, der sich infiziert, stirbt.

Verglichen mit der Influenza ist das 30mal mehr. Für diese Altersgruppe ist eine Corona-Infektion also 30mal tödlicher als eine Grippe. Zusammengefasst hieße das: je jünger eine Gesellschaft, umso geringer die Sterblichkeit.

Diverse alternative Nachrichtenseiten haben nach einer Sondersitzung der WHO am 5. Oktober berichtet, dass die WHO (versehentlich) bestätigt haben soll, dass Corona nicht gefährlicher als eine Grippe sei. Es ging dabei um eine beste Schätzung der Infiziertenzahlen weltweit und der daraus abgeleiteten Sterberate. Danach läge die Sterberate relativ niedrig, etwa im Bereich der Grippe. Dabei handelt es sich aber um eine bestmögliche Schätzung, also dem bestmöglichen Zustand, der sein könnte.

3. Krankheitsverlauf

Nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts erkranken im Verlauf einer Grippewelle fünf bis 20 Prozent der Bevölkerung. Mit dem Coronavirus könnten sich dagegen ohne Gegenmaßnahmen bis zu zwei Drittel der Bevölkerung infizieren, was in Deutschland weit mehr als 50 Millionen Menschen wären.

Der Grund: Das Coronavirus ist wesentlich ansteckender als das Grippevirus, erklärt der Neuroimmunologe Martin Korte vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung: "Bei einer Grippe geht man davon aus, dass ein Infizierter etwa 1,3 andere Personen infiziert, während beim Sars-CoV-2-Virus ist der Faktor etwa 2,2, was sich eben gerade bei einem exponentiellen Verlauf sehr negativ auswirkt."

Wenn man erkrankt ist, heilt eine Grippe nach zwei bis drei Wochen meist ohne Folgen aus. Bei schweren Verläufen kann es zu einer Lungenentzündung kommen, die vor allem für ältere Menschen lebensgefährlich sein kann. Auch Herz und Gehirn können betroffen sein, das ist aber eher selten.

Schwere Covid-19-Verläufe dauern dagegen deutlich länger. Außerdem kann nicht nur die Lunge, sondern der ganze Körper betroffen sein. Also auch Herz, Nieren, Blutgefäße, Nerven und das Immunsystem. Nach Schätzungen der WHO verlaufen rund 80 Prozent aller Sars-CoV-2-Infektionen milde. In Deutschland müssen rund 14 Prozent der gemeldeten Covid-19-Erkrankten in ein Krankenhaus eingewiesen werden, schreibt das RKI.

Laut Robert-Koch-Institut mussten von den Grippekranken in den letzten fünf Grippewellen nur rund 14 Prozent künstlich beatmet werden, während es bei Covid-19 im Frühjahr 22 Prozent waren. Zusätzlich hingen die Coronakranken viel länger an den Beatmungsmaschinen.

Sowohl für die Grippe als auch für Covid-19 gilt, je älter jemand ist und je mehr Vorerkrankungen bestehen, desto häufiger ist ein schwerer Verlauf.

4. Sterbezahlen

Immer wieder gibt es Jahre, in denen sehr viele Menschen an Influenza sterben. Etwa die ungewöhnlich starken Saison 2017/18, für die das Robert Koch Institut rund 25.000 Grippetote geschätzt hat. Dagegen nimmt sich die Zahl der Corona-Toten in Deutschland vergleichsweise niedrig aus: 10 349 (Stand 30.10.). Diese Zahlen lassen sich aber nicht vergleichen, denn die Zahl der Corona-Toten ist bestätigt, während die Grippe-Toten nur geschätzt werden. Bei der Grippe wird die sogenannte Übersterblichkeit berechnet, also wie viele Menschen in der Grippesaison mehr gestorben sind als sonst im vergleichbaren Zeitraum. Tatsächlich im Labor nachgewiesen sind für die Grippesaison 2017/2018 nur 1674 Grippetote. Die vermutete Zahl an Grippetoten übersteigt diesen Wert um das 15-Fache. Nach RKI-Angaben ist eine solch hohe Zahl aber "sehr selten", in anderen Jahren gab es demnach nur einige hundert Fälle. Bei Covid-19 zählen dagegen die gemeldeten Fälle. Diese Zahlen können also nicht direkt verglichen werden.

Der Vergleich hinkt auch, weil Deutschland noch in keiner Grippewelle entsprechende Maßnahmen erlassen hatte wie jetzt in der Corona-Pandemie. Im Vergleich zu Sars-CoV-2 konnten sich die Influenza-Viren bisher also immer relativ stark ausbreiten. Könnte sich das Coronavirus so gut verbreiten wie es Grippeviren in den vergangenen Wintern konnten, würde die Zahl der Toten vermutlich dramatisch steigen. Wie hoch die Zahl der Corona-Toten ohne Schutzmaßnahmen wäre, lässt sich nicht sagen.

Das zeigt: Allein an den Verstorbenen-Zahlen kann man die Gefährlichkeit des Coronavirus nicht festmachen.

5. Langzeitschäden

Noch lässt sich nicht abschließend sagen, welche Folgeschäden eine Covid-19-Erkrankung haben kann, weil es noch nicht genug Forschung dazu gibt. "Aber es deutet sich an, dass die Folgeschäden deutlich größer sind als bei einer Grippe", sagt der Neuroimmunologe Martin Korte.

Viele Menschen klagen nach einer Infektion mit dem Coronavirus über schwere Folgeschäden wie Erschöpfungssymptome, Geruchsverlust oder Herz- und Nierenprobleme. Im Gegensatz zum Influenza-Virus kann das Coronavirus auch direkt ins Gehirn gelangen. Schwere Schäden scheinen jedoch selten zu sein. Dennoch sollten gerade junge Covid-Patienten, die einen leichten Verlauf zeigen, die Erkrankung nicht auf die leichte Schulter nehmen, warnt Korte. "Das mag sich erst so anfühlen tatsächlich wie leichte Symptome, kann aber langfristige Folgen haben, die eben zum einen auf das Risiko einen Einfluss haben, einen Schlaganfall zu erleiden, selbst bei einem 30- oder 40-jährigen Patienten. Die das Risiko erhöhen, eine Hirnhautentzündung zu bekommen, und die auch das Risiko erhöhen, für viele Monate auch hinsichtlich seiner kognitiven Leistungsfähigkeit noch stark eingeschränkt zu sein."

Auch bei der Influenza gibt es langfristige Folgeschäden, nicht nur bei älteren Patienten. Gerade bei den jüngeren Patienten kann das Gehirn betroffen sein und die Lernfähigkeit und die Konzentrationsfähigkeit einschränken. Martin Korte sagt:

"Allerdings bei jüngeren Probanden ist das so, dass sich das schon nach wenigen Wochen wieder normalisiert, sodass die Gehirne quasi zu ihrer vollen Funktionsfähigkeit zurückkommen. Das ist bei älteren Probanden anders und im Moment besteht auch die Befürchtung, dass bei Covid19 der Verlauf zumindest länger anhält und vielleicht auch bei jüngeren Patienten Nachfolgeschäden vom Gehirn, aber auch an der Niere und am Herzen nach sich ziehen kann, die eben auch bleibend sein können."

Faktor 10 für die Gefährlichkeit von Covid-19

Der Neuroimmunologe Martin Korte fasst noch einmal zusammen: "Es ist eindeutig Covid-19 gefährlicher als eine Grippe. Dabei muss man sich klarmachen, dass auch eine Grippe nicht harmlos ist. Viele Menschen sterben jedes Jahr daran. Viele Menschen haben auch langfristige Schäden durch eine Grippe. Aber man kann bei Covid-19 immer noch einmal den Faktor zehn drauflegen bei langfristigen Schäden, bei schweren Verläufen und auch bei Todesfällen, sodass eindeutig Covid-19, die bei weitem schwerere Erkrankung ist."

Fazit

Medizinisch betrachtet sind weder Grippe noch Covid-19 harmlos. Beide Krankheiten können tödlich enden, beide Krankheit können Langzeitfolgen haben. Um vollständig zu beschreiben, wie gefährlich das Corona-Virus tatsächlich ist, fehlen noch Daten. Aber schon jetzt zeigt sich: Selbst, wenn Betroffene nicht an Covid-19 versterben, zwingen die Spätfolgen sie oftmals zu einem Leben mit teilweise schweren Einschränkungen, und das auch in wohlhabenden Bevölkerungen.

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