Für viele Viren ist in den Wintermonaten Hochsaison. Das gilt für die Influenza genauso wie für viele andere grippale Infekte. In den Sommermonaten treten sie weit seltener auf. Dadurch stellt sich die Frage: Wird auch die Ausbreitung des Coronavirus im Sommer gehemmt, welche Auswirkungen haben warme Temperaturen auf Covid-19?
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Untersuchung: Corona in kalten und trockenen Gebieten weiter verbreitet
Eine aktuelle Studie vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge (MIT) unter der Leitung des Neurowissenschaftlers Qasim Bukhari hat berechnet, dass sich 90 Prozent der Corona-Infektionen in Regionen mit Temperaturen zwischen drei und 17 Grad Celsius ereignet haben. Infizierte Menschen in Ländern mit Temperaturen über 18 Grad machen nur sechs Prozent der weltweiten Infektionen aus. Die Studie stellt eine Verbindung von Wetterdaten und Daten zur Verbreitung des Coronavirus her. Beobachtungszeitraum der Studie ist die Zeit von erstem Januar bis 22. März diesen Jahres.
Neben der Temperatur zeige sich auch bei der Luftfeuchte eine Auswirkung auf die Verbreitung des Coronavirus. So sei die absolute Mehrzahl an Corona-Fällen in Ländern mit einer niedrigen Luftfeuchte nachgewiesen worden. Grundsätzlich kann warme Luft mehr Feuchtigkeit aufnehmen als kalte.
Nord-Süd Gefälle bei Corona-Ausbreitung
Der Studie zufolge gebe es auch in den Vereinigten Staaten ein starkes Nord-Süd-Gefälle, das in weiten Teilen für die These spricht, dass ein Zusammenhang zwischen Temperatur und Ausbreitung des Virus spricht. Auch weltweit sieht Bukhari seine These bestätigt. Die Pandemie breite sich im Nahen Osten, Südamerika und weiten Teilen Südasiens deutlich langsamer aus als im globalen Norden.
Diese Berechnungen beruhen auf einer Datenanalyse, nicht auf einer biologischen Untersuchung des Virus. Die Frage wie sich die Temperatur beispielsweise auf die fetthaltige Struktur des SARS-Cov-2 auswirkt, ist in der Untersuchung nicht berücksichtigt. Nach dem Ausbruch des Sarsvirus von 2003 haben Untersuchungen gezeigt, dass dieser Coronavirus unter anderem wegen seiner fetthaltigen Struktur in kalter Umgebung länger überleben kann.
Die Erkenntnisse aus dieser Studie lassen sich jedoch nicht auf die aktuelle Situation übertragen, da die Datenlage in Bezug auf die aktuelle Corona-Pandemie zu dünn sei, wie Wissenschaftler betonen.
Corona und Sommereffekt: Virologen vorsichtig optimistisch
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité ist mittlerweile wieder vorsichtig optimistisch, was den Einfluss des Sommers auf die Ausbreitung des Virus angeht. Demnach würden endemische Viren bei höheren Temperaturen in ihrer Häufigkeit abnehmen, wie er am 20. März im NDR-Info-Podcast sagte. Neben Temperatur und Luftfeuchte sieht Drosten noch weitere Gründe dafür, dass sich die Ausbreitung in wärmeren Monaten verlangsamen könnte. Drosten nennt neben der wachsenden Bevölkerungsimmunität in den kommenden Monaten auch weitere Effekte des Sommers: Soziale Distanzierung draußen, UV-Licht, Wärme, Trockenheit, all diese Dinge würden Virusübertragungen verhindern. Bei Covid-19 könne es demzufolge zu einer leichten Verlangsamung der Ausbreitung in den Sommermonaten kommen.
Der Virologe Oliver Keppler vom Münchner Max von Pettenkofer-Institut erklärte im BR-Fernsehen, dass die früheren Coronaviren zwischen Herbst und etwa Mai aktiv waren. "19 von 20 anderen respiratorischen Viren haben diese Rhythmik. Die einzige Ausnahme der letzten Jahrzehnte ist die Schweinegrippe 2009 gewesen, die sich auch im Sommer sehr gut ausbreiten konnte", so Keppler. Gestützt würde diese These von den aktuellen Fallzahlen: Auf der Nordhalbkugel breite sich das Virus deutlich schneller aus als auf der Südhalbkugel, wo gerade noch Sommer ist. Durch die konsequente Umsetzung der derzeitigen Beschränkungen und durch den Sommer-Effekt hofft Keppler auf eine deutliche Verminderung der Infektionen ab Mitte Mai.
SARS-Cov-2: Geringe Datenlage
Da das Virus neu sei, schreibt der Epidemologe Marc Lipsitch von der Harvard-Universität in einer aktuellen Untersuchung, sei seine Ausbreitung nicht zwingend mit der Verbreitung anderer Viren vergleichbar. Laut Lipsitch können Jahreszeiten dabei helfen, die Verbreitung einzudämmen, es sei "jedoch unwahrscheinlich, dass dadurch eine Verbreitung aufgehalten werden kann".
Fazit:
In der Wissenschaft ist man mittlerweile vorsichtig optimistisch, dass erhöhte Temperaturen, sowie steigende Luftfeuchtigkeit die Ausbreitung des neuen Coronavirus verlangsamen könnten. Studien, die diesen Schluss nahelegen, beruhen jedoch nicht auf virologischen Untersuchungen des Sars-Cov-2 Virus, sondern auf einem Abgleich von Gesundheits- und Wetterdaten.
Bei Vergleichen zu anderen Coronaviren sind Wissenschaftler zurückhaltend: Die Datenlage sei zu gering, Gesetzmäßigkeiten daraus nicht abzuleiten.
Einig ist man sich zumindest in einem Punkt: Selbst wenn wärmere Temperaturen eine Auswirkung auf das neue Coronavirus haben, verschwinden wird es dadurch nicht.
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