Astrazeneca stoppt Test von Corona-Impfstoff
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Astrazeneca hat die klinische Studie für seinen Corona-Impfstoff gestoppt, nachdem bei einem der Teilnehmer eine Erkrankung aufgetreten ist.

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Good or bad news? Astrazeneca unterbricht Corona-Impfstudie

Good or bad news? Astrazeneca unterbricht Corona-Impfstudie

Britische Forscher des Pharmakonzerns Astrazeneca sind mit einem sogenannten Vektor-Impfstoff im internationalen Wettrennen am Start, der bislang Anlass zu Hoffnungen im Kampf gegen das Coronavirus bot. Doch jetzt gab es einen herben Rückschlag.

Über dieses Thema berichtet: IQ - Wissenschaft und Forschung am .

Der Impfstoff war nach Angaben der Forscher in ersten Tests gut verträglich und es bildeten sich Antikörper, die zu einer Immunisierung gegen Covid-19 führen könnten. Er befindet sich jetzt in der klinischen Studie der Phase III und wird in Großbritannien, Brasilien und in Südafrika getestet. Insgesamt sollen bereits 17.000 Probanden geimpft worden sein. Eine weitere Studie wurde Ende August in den USA gestartet.

Nach einer ungeklärten Erkrankung bei einer Probandin in Großbritannien am 8. September wurden die Impfstoffstudien unterbrochen. In den USA bleibt die Studie offenbar noch einige Tage ausgesetzt. Erst zur Wochenmitte oder möglicherweise noch später möchte Astrazeneca die Tests wieder aufnehmen. In Großbritannien hat Astrazeneca seine Studie bereits fortgesetzt. (Stand: 15. September 2020)

Britische Studie aus Oxford

Der Vektor-Impfstoff mit dem Namen AZD1222 schleust die genetischen Informationen des Coronavirus über ein modifiziertes Erkältungsvirus in den menschlichen Körper. Insgesamt wurden in Großbritannien 1.077 gesunde Erwachsenen im Alter von 18 bis 55 Jahren getestet – davon bekam die eine Hälfte den Impfstoff gegen das Coronavirus, die andere Hälfte eine Impfung gegen Meningokokken, also Bakterien. So konnten die Wissenschaftler überprüfen, ob die Corona-Impfung eine erkennbar bessere Reaktion hervorruft.

Corona-Impfung: bislang keine schweren Nebenwirkungen

Die Impfung verursachte bei circa 60 Prozent der Probanden leichtere bis mäßige Nebenwirkungen wie Fieber, Kopfschmerzen, Müdigkeit und Schmerzen an der Injektionsstelle. Diese waren jedoch meist tolerierbar. Mithilfe des Schmerzmittels Paracetamol konnten mögliche Schmerzen gelindert werden. Schwerwiegende Nebenwirkungen traten nicht auf, so die Forscher.

Der Impfstoff wirkt zweifach

Der Impfstoff rief bei allen Probanden eine gute Immunreaktion hervor, so Adrian Hill, Direktor des Jenner-Instituts an der Universität Oxford. Das Besondere: Das Mittel wirkt gleich zweifach. Es fördert sowohl die Bildung von spezifischen Antikörpern als auch von Abwehrzellen (T-Zellen). Beide sind für die Immunabwehr wichtig. Dabei traten bis dato keine ernsthaften Nebenwirkungen auf.

Proband nach Corona-Impfung schwer erkrankt

Doch am Dienstag, 8. September 2020 musste Astrazeneca seine Impfstoffstudie aussetzen, nachdem bei einer Studienteilnehmerin in Großbritannien der Verdacht auf eine schwerwiegende Erkrankung aufkam. Die New York Times recherchierte die mögliche Diagnose "Transverse Myelitis", eine Erkrankung des Rückenmarks, als Grund für die Unterbrechung; das Unternehmen bestätigte dies zunächst nicht.

Erstes Presse-Briefing nach Teststopp der Impfung

Am Mittwoch, 9. September, gab es ein Presse-Priefing in Großbritannien des Wellcome Trust, einer gemeinnützigen Stiftung mit Sitz in London, die es sich zum Ziel gesetzt hat, "Forschung zu fördern, um die Gesundheit von Mensch und Tier zu verbessern". Die Stiftung ist nach der Bill and Melinda Gates Foundation die weltweit zweitreichste Stiftung, die medizinische Forschung fördert.

Jeremy Farrar, Direktor des Wellcome Trusts, unterstrich während des Pressetermins, dass man an der Entwicklung der vergangenen 48 Stunden sehen könne, dass diese Impfstoffe gründlich geprüft würden, ohne politische Einmischung von außen. Jeder könne diesen Impfstoffen vertrauen.

Forscher sehen Transparenz der Untersuchung als gutes Zeichen

Eine Einschätzung, die auch Prof. Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg, teilt: "Für mich ist das Vorgehen im Falle der Impfstoffstudien von AstraZeneca ein gutes Zeichen, weil es zeigt, dass die Sicherheitsregeln greifen."

"Es ist bedauerlich, dass ein Proband der Studie erkrankt ist, aber es fehlen noch wichtige Informationen, um den Fall bewerten zu können. Wir brauchen nun Erkenntnisse darüber, ob der Proband der Impfstoff- oder Kontrollgruppe der Studie angehört, ob Vorerkrankungen oder Begleiterkrankungen vorliegen – vor allem sind andere Virusinfektionen abzuklären. Wenn das alles geklärt ist und die Erklärung zurückbleibt, dass die Erkrankung eine Nebenwirkung des Impfstoffs ist, muss eine Risikobewertung vorgenommen werden. Abgewogen werden müssen dann die Risiken des Impfstoffs mit den Risiken einer COVID-19-Erkrankung. Aber das steht erst am Ende des nun anlaufenden Prozesses, wenn herausgefunden werden konnte, worin die Ursache der Erkrankung tatsächlich liegt." Stephan Becker, Direktor des Instituts für Virologie an der Philipps-Universität Marburg

Astrazeneca an der Börse abgestraft

Tatsächlich wurde die Studie nicht abgebrochen, sondern es wurden zunächst neue Impfungen ausgesetzt, bis die Ursache der Erkrankung des Patienten feststeht. Möglicherweise hatte der Proband eine parallele Virusinfektion, die nicht entdeckt wurde und das Krankheitsbild verursachte. Würde sich die Diagnose der traversen Myelitis – eine neurologische Erkrankung des Rückenmarks – aber aufgrund der Impfung bestätigen, wäre das ein herber Rückschlag für den Pharmakonzern Astrazeneca, dessen Wert an der Börse auch sogleich fiel.

Am Mittwoch, 9. September, hatte der Pharmahersteller Astrazeneca eine Videokonferenz mit seinen Investoren anberaumt und Informationen über den beschriebenen Fall weitergegeben. Daraus wurde ersichtlich, dass die Impfstoffstudien unterbrochen wurden, weil eine Frau in Großbritannien, die sicher den Impfstoff und kein Plazebo verabreicht bekommen hat, Symptome der Transversen Myelitis gezeigt hatte. Sie erholt sich derzeit davon und konnte noch am gleichen Tag entlassen werden, so der Pharmakonzern. (Stand: 9. September 2020)

Schon häufiger Rückschläge bei Impfstofftests

Bei der Entwicklung von Impfstoffen kommt es immer wieder zu Rückschlägen. Sei es, dass Menschen, die eine Grippeimpfung erhalten, über grippeähnliche Symptome klagen, was aber nicht in einem ursächlichen Zusammenhang stehen muss. Auch bei der Entwicklung des HPV-Impfstoffs kam es zu Zwischenfällen, nachdem eine junge Frau im Jahr 2009 kurz nach Erhalt der HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs starb. Wie sich später herausstellte, war die Todesursache ein sehr seltener großer bösartiger Tumor in ihrer Brust.

Auch Stephan Becker von der Philipps-Universität Marburg weiß über ein Beispiel in seinem Forschungsbereich zu berichten: "Die klinische Überprüfung des Ebola-Impfstoffs förderte ebenfalls Gelenksentzündungen als mögliche Nebenwirkungen zutage. Bei näherer Untersuchung waren diese tatsächlich auf den Impfstoff zurückzuführen, aber hauptsächlich in einer Studienkohorte in Genf. In diesem Fall wurde die klinische Studie ebenfalls pausiert, aber nach einem Review des Boards fortgesetzt. Heute ist der Impfstoff zugelassen."

Phase III-Studie wichtig für die Sicherheit eines Impfstoffs

Bei der dritten und letzten Testphase halten Experten nach jeglichen Anzeichen von Nebenwirkungen Ausschau, die bei den vorangegangenen Forschungen unentdeckt geblieben sein könnten. Aufgrund des Umfangs gelten diese Spätstudien als wichtigster Teil des Prozesses, in dem die Sicherheit des Präparats gewährleistet werden soll.

Erst Anfang September hatten Astrazeneca und acht weitere Pharmakonzerne in einem ungewöhnlichen Schritt gemeinsam versprochen, sich bei der Entwicklung von Impfstoffen gegen das Coronavirus an die höchsten ethischen und wissenschaftlichen Standards zu halten. Hintergrund sind wohl Sorgen, dass US-Präsident Donald Trump die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA zur Zulassung eines Mittels zwingen könnte, ehe dessen Sicherheit und Wirksamkeit belegt ist.

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