Wissenschaftlich gesehen gibt es wohl keinen Zweifel mehr, dass es weniger Insekten gibt. Die Folgen sind schnell auszumachen: 75 Prozent unserer wichtigsten Kulturpflanzen sind von der Bestäubungsleistung der Insekten abhängig. Beim Wegfall tierischer Bestäubung drohen einzelnen Obst- und Gemüsesorten wie Äpfeln, Kirschen, Pflaumen oder Gurken laut Insektenatlas Ernterückgänge von bis zu 90 Prozent.
Wie sähe die Welt ohne Insekten aus?
Erst sterben viele Pflanzen aus, weil sie nicht mehr von Insekten bestäubt werden und sich daher nicht mehr vermehren können. Dadurch müssten wir auf einen Großteil unserer Nahrung verzichten: auf viele Obst- und Gemüsesorten und auch auf Kaffee und Schokolade. Dann sterben Tiere, die Pflanzen fressen. Dadurch stehen weniger Fleisch und Milchprodukte zur Verfügung. Auch Kleidung aus Baumwolle und Seide gibt es nicht mehr. Dafür Berge von Kadavern, Kot und verrottender Biomasse.
Warum Wildbienen so wichtig sind
Zu den wichtigsten Bestäubern gehören die Wildbienen. Allein in Deutschland gelten mehr als die Hälfte der fast 600 Wildbienenarten als gefährdet. Das ist ein Ergebnis des Insektenatlas 2020, den die Heinrich-Böll-Stiftung und der BUND am 8. Januar in Berlin vorgestellt haben. Anders sieht es bei der Honigbiene aus, die der Mensch gezüchtet hat. Die Zahl der Völker nimmt seit Jahren wieder zu, weil mehr Menschen das Imkern als Hobby entdeckt haben. Nach Angaben des Weltrats für Biologische Vielfalt (IPBES) sorgen Bienen und andere Insekten mit ihrer Bestäubung jedes Jahr weltweit für Nahrungsmittel im Wert von bis zu rund 500 Milliarden Euro.
Krefelder-Studie: Wie das Insektensterben Thema wurde
2017 haben ehrenamtliche Insektenkundler aus Krefeld die Öffentlichkeit wachgerüttelt, indem sie mit ihren Forschungen darauf hingewiesen haben, dass die Gesamtmasse flugfähiger Insekten zwischen 1989 und 2016 an Standorten in Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Brandenburg in den vergangenen drei Jahrzehnten im Mittel um mehr als 75 Prozent abgenommen hat. Das Besondere daran: Zum ersten Mal wurde dieser enorme Rückgang für Naturschutzgebiete belegt.
2019 wurde das Insektensterben durch eine Studie der TU München bestätigt. Innerhalb eines Jahrzehnts zwischen 2008 und 2017 ging die Artenvielfalt und die Anzahl der Insektenarten stark zurück. Es wurde an 290 Standorten und drei Regionen in Deutschland Insekten gezählt. Sowohl auf Wiesen als auch in Wäldern ging die Artenzahl um etwa ein Drittel zurück. Aber auch die Gesamtmasse der Insekten nahm ab, besonders ausgeprägt in den Graslandschaften - um 67 Prozent. In den Wäldern schrumpfte sie um etwa 40 Prozent.
Welche wichtigen Aufgaben Insekten haben
Insekten haben - neben ihrer Tätigkeit als Bestäuber - auch andere wichtige Funktionen: Sie verbessern die Bodenqualität, indem beispielsweise Ameisen den Erdboden lockern und belüften, wodurch mehr Humus entsteht. Marienkäfer können den Befall mit Getreideblattläusen um 80 Prozent reduzieren. Auch dienen Insekten vielen anderen Tieren als Nahrungsquelle und sie entsorgen die Hinterlassenschaften vieler Tiere und der Natur. Für die Ernährung und die Landwirtschaft sind sie also unerlässlich.
Insekten und Landwirtschaft – ein schwieriges Verhältnis
Durch die Landwirtschaft sind Insekten aber auch gefährdet. Das belegt einmal mehr der Insektenatlas. Die intensive Landwirtschaft mit ihren Folgen zerstört die Lebensgrundlage der Insekten: Große, monotone Felder ohne Hecken oder Grüninseln, Kunstdünger und Pestizide vernichten Rückzugsgebiete von Nützlingen und fördern die Ausbreitung von Schädlingen. Doch die Landwirtschaft liefert das Tierfutter für den weltweiten Hunger nach Fleisch. Da hilft es wenig, wenn Insekten als Fleischersatz dienen sollen. Denn auch hier wäre eine industrielle Massenproduktion nötig, um den weltweiten Bedarf zu decken.
Von Hand bestäuben und Roboterbienen
Bis politische Lösungen gefunden werden, wird es dauern. Dafür wird an technischen Alternativen geforscht: Roboterbienen, die das Bestäuben und das Übertragen von Blütenpollen übernehmen könnten, oder Plantagen, in denen manuell bestäubt wird, sind eine denkbare Alternative, wenn die Insekten schwinden. Das wird teilweise auch schon gemacht. Allerdings enthalten Äpfel und Birnen, die ohne Insektenbestäubung Früchte bilden, keine Kerne und faulen schneller. Auch Erdbeeren fehlt es ohne Insektenbestäubung an Geschmack. Tomaten in Gewächshäusern und Plastiktunneln benötigen eine Vibrationsbestäubung, wie es der natürliche Wind bietet. Dies können in Deutschland beispielsweise Erdhummeln nachahmen. Auch an Roboterbienen wird geforscht. Doch für alle Pflanzenarten eine geeignete Roboterbiene zu bauen, davon ist die Technik weit entfernt. Daher scheint es auch in wirtschaftlicher Hinsicht sinnvoller, bestehende Ökosysteme zu schützen und die Artenvielfalt der Insekten zu erhalten.
Hätten Sie’s gewusst?
- Gut 90 Prozent aller Tierarten weltweit sind Insekten. Gemeint sind die mit den sechs Beinen, keine Spinnentiere.
- Insekten bestäuben drei Viertel der wichtigsten Kulturpflanzen.
- Insekten lockern Böden und beseitigen Laub und zersetzen dabei abgestorbene Pflanzen und Tiere.
- Durch ihre Bestäubungsleistung sind Insekten für die Landwirtschaft wichtig, aber auch gefährdet: Monokulturen und die Verwendung von Pestiziden zerstören die Lebensgrundlage von Insekten.
- Die weltweite Bestäubungsleistung von Insekten hat wirtschaftlich gesehen einen Wert von Hunderten Milliarden Euro.
- Insekten werden in über 130 Ländern gegessen. Ihre Nährstoffe helfen gegen Mangelernährung. Eine industrielle Massenproduktion von Insekten ist aber umstritten.
- Weniger Fleischkonsum schützt Insekten, da weniger Sojafutter für die Massentierhaltung weltweit angebaut werden muss. Das heißt weniger Monokulturen.
- Die globale Klimaerwärmung schädigt die Lebensräume von Insekten. Das Verhältnis von Nützlingen und Schädlingen wird sich ändern und Ernten bedrohen.
Quelle: Insektenatlas 2020 von BUND und Heinrich-Böll-Stiftung