Seit Beginn der Corona-Pandemie hört man immer wieder von Empfehlungen für Vitamin-D-Ergänzungsmittel. Und in entsprechenden Dosen verabreicht, schaden diese Medikamente auch nicht. Die Vitamin-D-Speicher füllen wir in Mitteleuropa lebenden Menschen dem Robert Koch-Institut zufolge zwischen März und Oktober auf - da hat die Sonne die meiste Kraft. Dabei wird nicht nur der akute Bedarf gedeckt, sondern es werden auch Reserven angelegt, die uns über die Wintermonate tragen.
Fachliche Mängel bei Studien
Als Werbung für die Vitamin-D-Einnahme zum Schutz vor einer (schweren) Erkrankung mit dem Coronavirus werden immer wieder Studien aus Europa oder den USA herangezogen, die Experten kritisch sehen. In den Studien wurde beobachtet, dass die Zugabe von Vitamin-D-Präparaten eine positive Wirkung habe, dass Erkrankte auf den Intensivstationen häufig an einem Vitamin-D-Mangel leiden oder Menschen mit einem guten Vitamin-D-Spiegel gar nicht erst auf diese kommen. Kritisiert werden die fachlichen Mängel der Studien: Beispielsweise, weil der Vitamin-D-Status der Patienten vor Erkrankung gar nicht bekannt, die Kontroll- bzw. Vergleichsgruppe nicht passend war oder Vorerkrankungen wie Diabetes oder Adipositas, die sich negativ auf den Vitamin-D-Spiegel auswirken, vernachlässigt wurden.
Vorerkrankungen bei Kontrollgruppe vernachlässigt
Eine Studie, die gerne herangezogen wird, ist die aus dem Reina-Sofia-Krankenhaus in Madrid: Von 50 Covid-19-Patienten, die Vitamin D bekamen, landete nur einer auf der Intensivstation. In der Kontrollgruppe - ohne Vitamin D - waren es 50 Prozent. Klingt erstmal gut, Experten kritisieren aber, dass die Patientengruppen nicht gleich ausgewählt wurden. In der Kontrollgruppe befanden sich von Anfang an wesentlich mehr Menschen mit Vorerkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck. Erkrankungen, von denen man bereits weiß, dass sie einen schweren Verlauf von Corona nach sich ziehen können. Dass diese dann auf der Intensivstation landen, sei daher nicht verwunderlich, so die Fachleute. Im Umkehrschluss lässt sich aufgrund der Studie aber keine positive Wirkung auf die Gabe von Vitamin D ziehen.
“Wenn man die (relativ) Gesunden in die Vitamin-D-Gruppe packt und die (relativ) Kranken in die Kontrollgruppe, dann ist vorher klar, was herauskommt.” Martin Smollich, Pharmakologe und Professor am Institut für Ernährungsmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck
Keine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung
Nach Erkenntnissen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE), bei denen sich Experten mit dutzenden Studien auseinandergesetzt haben, gibt es keinen zuverlässigen Beleg für einen Corona-Schutz durch Vitamin-D-Präparate. Zwar kann ein Zusammenhang vermutet werden, die Ergebnisse reichen jedoch nicht aus, um eine eindeutige Ursache-Wirkungs-Beziehung nachzuweisen. Dass Vitamin D zu einem funktionierenden Immunsystem beiträgt, ist laut dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) wissenschaftlich unumstritten. Es ist sogar sehr wichtig. Aber das bedeutet nicht, vorbeugend übermäßig (und eventuell zu hoch dosierte) Ergänzungsmittel einnehmen zu müssen.
Kein erhöhtes Risiko durch niedrigen Vitamin-D-Spiegel
Das legt andersherum auch eine kürzlich im Fachmagazin Jama Open Network veröffentlichte Studie aus den USA nahe: Ein niedriger Vitamin-D-Status erhöht demnach nicht das Corona-Risiko bzw. jemand mit einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel hat kein höheres Risiko, sich mit SARS-CoV-2 anzustecken als jemand, der einen normalen Spiegel hat. Zunächst lassen die untersuchten Daten von 18.148 Menschen zwischen 37 und 56 Jahren den Anschein zu, schreiben die Forscher. Bezieht man allerdings Einflussfaktoren wie Alter, Geschlecht, Ethnizität, Body-Mass-Index, Blutdruck, Raucherstatus und Wohnort mit ein, lässt sich kein Zusammenhang feststellen. Denn diese Faktoren beeinflussen das Corona-Risiko erheblich und wurden in vielen Studien nicht berücksichtigt. Mit dem Einfluss auf die Schwere der Erkrankung hat sich die Auswertung allerdings nicht beschäftigt.
Hinweise, aber keine Belege
Das Robert-Koch-Institut weist auf seinen Seiten ebenfalls darauf hin, dass noch mehrere klinische Studien zum Zusammenhang zwischen Vitamin D und einem schweren Verlauf von Covid-19 ausstehen. Eine Kausalität sei bisher nicht erwiesen. Es gebe aber Hinweise auf ein erhöhtes Risiko eines schweren Verlaufs bei Vitamin-D-Mangel wie ebenso darauf, dass nach Vitamin-D-Zugabe weniger Menschen intensivmedizinisch behandelt werden müssten. Auch gibt es Hinweise, dass die Infektion bei Zugabe von Vitamin D schneller abklingt, wenn vorher ein Vitamin-D-Mangel festgestellt wurde. Es wird aber auch darauf hingewiesen, dass es keine Empfehlung zur vorbeugenden Einnahme von Vitamin D gibt. Besteht jedoch ein Mangel, kann und sollte der ausgeglichen werden. Vor allem, wenn man zur Risikogruppe zählt.
Covid-19 Folge von Vitamin-D-Mangel, nicht Ursache
Was auch Martin Smollich vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein kritisiert, ist, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel oft als Ursache einer Covid-19-Erkrankung herangezogen wird, nicht aber als Folge. Denn die Erkrankung schwächt das Immunsystem und lässt den Vitamin-D-Spiegel bei einer akuten, schweren Infektion kurzfristig drastisch absinken.
Vorerkrankungen führen zu schwerem Covid-19-Verlauf
Hier wird also oft eine Kausalität herangezogen, die nicht so einfach herzuleiten ist. Die Studien stellen nur fest, dass bei Patienten mit schweren Verläufen der Vitamin-D-Spiegel zeitgleich ziemlich niedrig war. Damit ist er aber nicht die Ursache. Ein direkter Zusammenhang liegt nicht zwangsläufig vor. Wenig Vitamin D kann einfach nur bedeuten, dass andere Vorerkrankungen vorliegen, durch die der Spiegel gesenkt wurde, die wiederum einen schweren Verlauf von Covid-19 begünstigen können. Oder aber, dass ein von vornherein niedriger Vitamin-D-Spiegel überhaupt erst zu den anderen Vorerkrankungen geführt hat. Denn für ein funktionierendes Immunsystem ist Vitamin D durchaus wichtig.
Vitamin-D-Mangel bei Älteren häufig
Ältere Menschen haben tendenziell einen überdurchschnittlich häufigen Mangel an Vitamin D, weil im hohen Lebensalter andere Erkrankungen dazu kommen, die dafür sorgen, dass der Spiegel sinkt und parallel die Vitamin-D-Produktion im Alter nachlässt. Im Corona-Podcast des NDR weist die Virologin Sandra Ciesek darauf hin, dass ein Vitamin-D-Mangel häufiger bei Menschen auftritt, die sich selten im Freien aufhalten. Das gilt besonders für mobilitätseingeschränkte, chronisch kranke und pflegebedürftige Menschen - oft sind das ältere Personen.
Nebenwirkungen bei zu viel Vitamin D
Dann können Präparate helfen, Nahrungsergänzungsmittel. Die Dosierung sollte aber unbedingt mit einem Arzt oder einer Ärztin abgesprochen werden. Denn zu viel Vitamin D kann auf Dauer zu unangenehmen Nebenwirkungen wie Nierensteinen, Nierenverkalkungen sowie Störungen des Herz-Kreislauf-Systems führen, wie die DGE-Experten warnen.
Spaziergang im Sommer ausreichend
Anders als bei den “richtigen” Vitaminen wird Vitamin D, das nur eine Vorstufe eines Hormons ist, nur zu zehn bis zwanzig Prozent über die Nahrung aufgenommen. Denn nur wenige Nahrungsmittel enthalten so viel Vitamin D, dass sie den Bedarf decken könnten. Daher wird der Vitamin-D-Speicher am besten über die Sonne aufgefüllt. Durch die UVB-Einstrahlung bilden Leber und Niere das lebenswichtige Vitamin. Grundsätzlich reicht im Sommer ein Spaziergang von fünf bis 25 Minuten an der frischen Luft, um genügend Vitamin D zu bilden. Dazu einfach täglich Gesicht, Arme, Beine und Hände der Sonne aussetzen. Dann schaffen wir es auch über die tristen Wintermonate.
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