Falerii Novi war eine Stadt im Römischen Reich, fast halb so groß wie Pompeji, 50 Kilometer nördlich von Rom. Sie wurde von 241 vor Christus bis ins Mittelalter um 700 nach Christus bewohnt. Die Stadtmauern sind noch heute von weitem sichtbar. Alles, was sich innerhalb der Mauern befand, liegt allerdings tief unter der Erde begraben. Zwar konnte grob abgeschätzt werden, welche Ausmaße die Stadt hatte, aber erst jetzt ist es mittels modernster Technik gelungen, erstmals die komplette Stadt offenzulegen - und zwar ganz ohne Graben.
Ausgraben ohne zu graben
Denn nicht überall kann man graben. Die Gefahr besteht - je nach Tiefe - mehr zu zerstören als freizulegen. Teils müsste in riesigen Ausmaßen gegraben werden. Außerdem befinden sich alte Städte teilweise unter neuen Gebäuden, Straßen oder Städten. Zum ersten Mal konnte jetzt eine gesamte antike römische Stadt mit Hilfe von hochentwickelten Bodenradaren erfasst werden. Die moderne Technik kann nicht nur viel größere Gebiete erkunden, sondern liefert die Bilder in einer extrem hohen Auflösung. Das könnte das Verständnis von antikem Städtebau revolutionieren.
Wie funktioniert ein Bodenradar?
Im Prinzip funktionieren Bodenradare wie normale Radare: Radiowellen prallen von Objekten ab, mit deren Echo dann ein Bild entsteht. Sie basieren auf der Reflektion von Radiowellen auf verschiedene Objekte im Boden. Unterschiedliche Materialien werfen unterschiedliche Wellen zurück. So kann man eine Struktur unterhalb der Oberfläche skizzieren. Die Technik existiert bereits seit Beginn des 20. Jahrhunderts, doch gerade in den letzten Jahren hat sie einen Aufschwung erlebt. Der technische Fortschritt hat das Prinzip schneller und die Bilder hochauflösender gemacht.
Stadtentwicklung über Jahrhunderte
Die Archäologen der Universitäten Cambridge und Gent, die ihre Ergebnisse am 8. Juni 2020 im Fachblatt “Antiquity” veröffentlichten, haben dafür Messungen in verschiedenen Tiefen vorgenommen. Davon versprechen sie sich vor allem, die Entwicklung der Stadt durch die Jahrhunderte hinweg nachvollziehen zu können. Die Bodenradar-Instrumente haben sie an einem Quad befestigt, das alle 30,5 Hektar (das ist ein bisschen kleiner als die Fläche des Oktoberfests) innerhalb der Stadtmauern von Falerii Novi abgefahren ist und alle 12,5 Zentimeter eine Messung vorgenommen hat.
Was haben sie entdeckt?
Anhand der Aufnahmen konnten die Forscher feststellen, dass die typische römische Stadtgestaltung nicht auf Falerii Novi zutrifft: Die Anordnung ist weniger genormt als in anderen erforschten Städten wie beispielsweise Pompeji. Sie fanden einen Badekomplex, einen Markt, einen Tempel, ein öffentliches Denkmal und das Netzwerk der Wasserleitungen. Untypisch für so eine kleine Stadt sind die architektonisch besser ausgearbeitet.
Wasserleitungen und Schwimmbecken
Die Wasserleitungen beispielsweise konnten durch einen großen Teil von Falerii Novi nachvollzogen werden, die auch unterhalb der Insulae (der Häuserblocks) verlaufen und nicht nur entlang der Straße. Im Süden der Stadt entdeckten die Archäologen ein großes rechteckiges Gebäude, in dem viele Wasserleitungen zusammenlaufen, die wiederum zum Aquädukt, einem brückenähnlichen Bauwerk für den Transport von Wasser, führen. Sie glauben, dass sie Teil eines großen Badekomplexes waren wie einem Natatio - ein im Freien gelegenes größeres Schwimmbecken.
Außergewöhnliche Architektur
Überraschend war ebenfalls die Entdeckung zweier sich zugewandter Konstruktionen nahe dem Nordtor, die sich innerhalb eines von Säulen gerahmten und überdachten Weges befinden. Etwas Vergleichbares haben die Forscher noch nicht entdeckt, glauben aber, dass sie Teil eines großen Denkmals waren und zur verblüffend heiligen Architektur der Stadt beitrugen.
“Der erstaunliche Detaillierungsgrad unserer Messungen in Falerii Novi und die überraschenden Merkmale, die der Bodenradar hervorgebracht hat, zeigen, dass diese Art der Forschung die Art und Weise, wie Archäologen alte Stadtausdehnungen untersuchen, in der Gesamtheit verändern kann.” Mitverfasser Martin Millett, Cambridge Universität, Klassische Fakultät
Für größere Städte nutzbar
Die moderne Bodenradar-Technik wurde schon in anderen antiken, aber kleineren Städten eingesetzt. Jetzt hoffen die Forscher, die neue Technik auch anderswo einsetzen zu können - vor allem bei größeren antiken Städten wie Milet in der Türkei, Nikopolis in Griechenland oder Kyrene in Libyen.
Technische Hürden
Allerdings gilt es noch einige technische Hürden zu meistern: Die produzierte Datenmenge ist nun sehr viel größer aufgrund der hohen Auflösungsrate der Kartographien. Händische Datenanalyse ist sehr aufwändig und dauert - etwa 20 Stunden pro Hektar. Hier sollen automatisierte Methoden in Zukunft helfen. Weiterhin gilt es zu bedenken, dass Falerii Novi eine Musterstadt für Archäologen ist: Sie ist historisch gut dokumentiert, frei zugänglich, nicht von modernen Bauwerken “bebaut” und wurde jahrzehntelang bereits für andere Forschungen durch z.B. Magnetometermessung genutzt.
Optimistisch sind die Forscher dennoch, denn die neue Methode lässt nicht nur bessere und schnellere Messungen zu, sondern kann ihr Verständnis vom antiken römischen Städtebau auf einen neuen Level heben.
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