Er ist eine Arche Noah für Pflanzen: Der Saatgut-Bunker "Svalbard Global Seed Vault" auf der norwegischen Inselgruppe Spitzbergen. Als der Sämerei-Tresor vor 12 Jahren eingerichtet wurde, sorgte dies weltweit für Aufsehen. Denn hier, gut 1.300 Kilometer vom Nordpol entfernt, lagern tief unter der Erde des eisigen Platåberget knapp 1,2 Millionen Samenproben von Mais, Reis, Weizen und anderen Nutzpflanzen.
Pflanzenzucht für die Genbank
Zur Gewinnung der Samen werden seltene Weizen-, Hopfen-, Reis-, Maniok-, Bananen-, Kartoffeln-, Bohnen-, Linsen- und Kokosnussarten von Pflanzenzüchtern eigens für das Projekt kultiviert. Eine Probe bleibt in der Genbank des Heimatlandes, die zweite wird in einer Genbank gelagert, die internationalen Vorschriften genügt, und die dritte kommt nach Spitzbergen. Am stärksten vertreten sind Weizensorten gefolgt von Reis. Amaranth aus Ecuador, Wildbohnen aus Costa Rica und Kichererbsen aus Nigeria gehören ebenso dazu wie Tomatensorten aus Deutschland.
Pflanzenvielfalt für zukünftige Generationen bewahren
Die Aufgabe des Tresors: die Vielfalt an Saatgut zu bewahren, so Hannes Dempewolf. Er arbeitet als Biologe für den Global Crop Diversity Trust, den Welttreuhandfond für Kulturpflanzenvielfalt, der die Saatgutbank betreibt:
"Wir Wissenschaftler nennen das genetische Ressourcen unserer Nutzpflanzenvielfalt. Da geht es um alte Sorten, auf Englisch: land races. Material, das vom Bauern über Jahrtausende hinweg gezüchtet und entwickelt wurde. Das wird in Spitzbergen eingelagert. Es ist im Prinzip Teil eines großen globalen Projektes, um diese Nutzpflanzenvielfalt aufzubewahren und für zukünftige Generationen zur Verfügung zu stellen." Hannes Dempewolf, Global Crop Diversity Trust
Weltweites Saatgut-Gedächtnis
Saatgut aus 249 Ländern der Welt ist heute in dem früheren Braun- und Steinkohle-Stollen deponiert – in Plastikboxen verpackt, geschützt vor Erdbeben, saurem Regen und radioaktiver Strahlung. Der "Weltweite Saatgut Tresor Spitzbergen" in Longyearbyen bewahrt damit eine Art Gedächtnis des vielfältigen, globalen Pflanzenbestands, ein Backup für die etwa 1.700 Saatgutbanken weltweit.
Sicherungskopie für den Krisenfall
Sollte eine regionale Genbank für Saatgut durch Krieg, eine Katastrophe oder den Klimawandel vernichtet werden, steht der Saatgut-Tresor bereit. Ein Krisenfall, der bereits vier Jahre nach der Eröffnung erstmals eintrat, als im syrischen Aleppo das Internationale Zentrum für landwirtschaftliche Forschung in Trockengebieten (Icarda), das Saatgut von 40 Staaten des Nahen Ostens sammelte, schwer beschädigt wurde. Fast alle Proben, auch hitzeresistente Getreidesorten, konnten damals rechtzeitig nach Spitzbergen gebracht werden. Wissenschaftler der nach Beirut verlegten Icarda nutzten wenige Jahre später Saatkörner aus Spitzbergen für die Neuaussaat.
Gefahr für das Saatgut
Unerwartet trat 2017 dann ein Krisenfall auf Spitzbergen ein. Hohe Temperaturen im Herbst und Winter brachten den Permafrost zum Schmelzen und sorgten dafür, das Wasser in den Eingangsbereich des Saatgut-Tresors gelangte, dabei aber nicht die Lagerräume gefährdete. Keine der Saatgutproben sei durch das Wasser in Mitleidenschaft gezogen worden, sagt Stefan Schmitz, Direktor des Global Crop Diversity Trust:
"Wir haben intensiv darüber diskutiert, ob dieser Einbruch bereits ein Zeichen des Klimawandels war, das Auftauen des Permafrostbodens oder ob dies schlicht und einfach ein Konstruktionsfehler gewesen ist. Aber egal, wie dem auch sei, das Problem war da. Dies hat man zum Anlass genommen, erhebliche bauliche Verbesserungen durchzuführen." Stefan Schmitz, Direktor des Global Crop Diversity Trust
Saatgut-Tresor wieder eröffnet
Für 20 Millionen Euro wurden Eingangsbereich sowie der Verbindungstunnel zu den Lagerräumen inklusive Kühlsystem erneuert. Seit Ende Februar 2020 lagern internationale und regionale Samenbanken sowie 35 nicht-staatliche Organisationen wie die Cherokee Nation wieder Saatgut ein. Regelmäßig zweimal im Jahr sollen nun wieder Samenproben auf Spitzbergen gesichert werden.
Mehr Engagement für lebende Pflanzen gefordert
Gleichwohl gibt es grundsätzliche Einwände gegen den Saatgut-Tresor auf Spitzbergen: Wäre es nicht sinnvoller, finanzielle und politische Ressourcen dafür einzusetzen, lebende Nutzpflanzen zu sichern, indem bestimmte Ökosystem zu Schutzgebieten erklärt werden? Muss man nicht dafür sorgen, dass Nutzpflanzen gar nicht erst aussterben, bevor man ihre Samen im Permafrost Spitzbergens einlagert?
"Erstens sollte man sehen, dass die Kosten für die Konservierung gemessen an den Kosten, die aufgewendet werden müssen, für Entwicklung, für Anpassung an den Klimawandel so klein sind, dass ich immer dafür plädieren würde, diese Kosten für Konservierung zu tragen, die im Übrigen auch dann bestehen bleiben würden, wenn das Armutsproblem und das Klimaproblem auf der Welt gelöst wären." Stefan Schmitz, Direktor des Global Crop Diversity Trust
Kritik an Saatgut-Unternehmen
Die mit Abstand größten Geldgeber des Global Crop Diversity Trust sind Norwegen und Deutschland. Zu den Unterstützern gehören neben weiteren Einzelstaaten wie beispielsweise Ägypten, Australien, Brasilien, Kolumbien und die USA aber auch Stiftungen und Unternehmen, die in den Fonds eingezahlt haben – darunter Firmen wie DuPont Pioneer und Syngenta. Kritiker sagen: Genau diese Saatgutriesen seien ja für die schwindende Vielfalt bei Nutzpflanzen verantwortlich.
"Ich würde mich freuen, wenn die Privatwirtschaft sich künftig stärker engagieren würde. Geld stinkt nicht, wie das schöne Sprichwort heißt. Ich würde es an eine hundertprozentig glasklare Bedingung knüpfen, dass mit der Zahlung keinerlei Einfluss auf die Verwendung des Stiftungskapitals verbunden ist." Stefan Schmitz, Direktor des Global Crop Diversity Trust