Mehr als eine halbe Million Follower auf TikTok – von so viel Erfolg im Internet können manche nur träumen. Nicolas Klupak hat es geschafft. Dabei ist er nicht als hipper Musikmacher, Computerspieler oder Laberbacke in den Sozialen Medien unterwegs: Nicolas Klupak ist Mathelehrer.
"Ich bezeichne mich gerne als Hobbypädagogen", sagt der 38-Jährige, der mit seiner jungen Stimme und dem Undercut-Haarschnitt um einiges jünger wirkt. Mathe studiert, während des Studiums Nachhilfe gegeben, dann eine Nachhilfeschule in Regensburg gegründet, all das ganz ohne Lehramtsstudium – in Klupaks Leben dreht sich alles darum, anderen etwas beizubringen und junge Menschen für die vielgehasste Mathematik zu begeistern.
TikTok-Nachhilfe-Lehrer: "Ich nehme mich nicht zu ernst"
"Der Kerngedanke war, bei Social Media Mathe mal anders zu unterrichten", sagt Klupak, "losgelöst von trockener Mathematik hin zu lebhaft, auch mal lustig. Ich nehme mich selbst auch nicht zu ernst in den Videos."
Das kann so aussehen, dass "Nick", wie er sich im Netz nennt, in 90 Sekunden vorrechnet, wie viel Kilo Schnee er heute vor seinem Haus schaufeln muss. Mit der Schneeschippe stellt er sich auf die Waage, 103 Kilo zeigt die an: "Die Schaufel, das faule Stück, hat schon wieder zwei Kilo zugenommen", kommentiert er scherzhaft.
Mathe-Influencer wie Nick boomen. Seit der Corona-Pandemie scheinen sich viele Nachhilfe auf Youtube, Insta und TikTok zu holen. Kurz vor der Pandemie hatte Nick schon erste Videos ins Netz gestellt, während der Pandemie ging es bei ihm steil nach oben.
Nick sagt zwar, dass etwa 80 Prozent seiner Follower auf Instagram Erwachsene seien, aber das würde immer noch zehntausende jugendliche Fans bedeuten. Geht man davon aus, dass manche sich mit falschem Geburtsdatum anmelden, sind es noch mehr. Rechnet man dann noch die TikTok-Follower dazu, geht die Zahl vermutlich in die Hunderttausende.
TikTok-Nachhilfe-Videos: Wissen in Häppchen
Einen Grund dafür, dass das Konzept so gut funktioniert, vermutet die Bildungswissenschaftlerin Sieglinde Jornitz vom Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation in der Kürze der Videos: "Es ist auffällig, dass diese Onlinehilfen ganz klein segmentiert sind. Ein Mathematiklehrer würde doch immer sagen, das ist Teil eines Größeren."
Kleine Rezepte, die einen Schüler durch den Mathe-Alltag bringen, das ist auch Nicolas Klupaks Konzept. Da kommt auch mal die Mitternachtsformel vor, aber riesige Ableitungsorgien in der Analysis sind in dem Format nicht vorgesehen, das gesteht sich Klupak selber ein.
"Lehrerschmidt" probiert sich dagegen auch an komplexeren Themen. Der freundliche Mann mit dem runden Gesicht ist Leiter einer Oberschule in Niedersachsen, und er erklärt ebenfalls in seiner Freizeit Schülerinnen und Schülern Mathe in Netzvideos. Allerdings nutzt Kai Schmidt, so sein richtiger Name, längere Formate. Seine Videos können sogar mal eine knappe Viertelstunde lang sein, dafür erklären sie dann auch zum Beispiel, wie man Parabeln streckt und staucht.
Mathe lernen - mit einem "unglaublich guten Erklärer"
Das alles wirkt trockener und lehrerhafter als Mathe mit Nick, trotz Lehrerschmidts Bemühungen, seine Themen locker an die Jugendlichen zu bringen. Und dennoch: Der Youtube-Kanal von Lehrerschmidt zählt knapp 1,8 Millionen Abonnenten.
"Er erklärt unglaublich gut. Und das ist das, was am Ende zählt", sagt Nicolas Klupak über seinen Social-Media-Kollegen. Außerdem spürten die Jugendlichen, wenn ihnen jemand wirklich helfen will.
Auch seine eigenen Videos seien nicht immer bunt und überdreht, so Klupak, dann müsse man sich eben an den Regeln des Social-Media-Spiels orientieren: "Dass Du zum Beispiel in die Beschreibung im Video schreibst, nur 30 Prozent können diese Aufgabe lösen. Allein dieser Untertitel sorgt dafür, dass die Leute sagen, okay, jetzt will ich aber wissen, was Sache ist."
Manche Lehrer setzen seine Videos im Unterricht ein, sagt Klupek. Dass sie aber die Lösung der von einigen angenommenen Bildungsmisere sind, die zum schlechten Abschneiden Deutschlands in der Pisa-Studie geführt hat, glaubt Bildungsexpertin Jornitz nicht. Sie weist darauf hin, dass Lehrer, die in einer Klasse stehen, ganz andere Herausforderungen meistern müssen: Sie interagieren mit den Schülerinnen und Schülern, die mal überdreht, mal genervt, mal müde sind. Aber auch manchmal neugierig – und dann stellen sie Fragen.
Nachteil von TikTok - Keine direkte Interaktion
Für direkte Fragen an den Lehrer ist in der Welt den sozialen Medien wenig Platz. Wenn ein Schüler etwas im Video nicht versteht, sei er häufig auf sich allein gestellt, sagt Jornitz. Deshalb würden vor allem sowieso schon clevere Jugendliche von den Videos profitieren, jene, die bereits gelernt haben, sich Dinge selbst zu erarbeiten, die Aufgaben nachzuvollziehen, ein Video vielleicht auch mal zu pausieren, was in der bunten, schnellen Social-Media-Welt eigentlich nicht vorgesehen ist.
Mathe lernen mit dem "rappenden Fuchs"
Aber manchmal geht es eben nur darum, mit ein bisschen Spaß die einfachsten Dinge zu vermitteln. Wenn der Youtuber DorFuchs (Sächsisch für der Fuchs) über den Euklidischen Algorithmus, über größte gemeinsame Teiler und die Irrationalität von Pi rappt, dann wird wohl kaum jemand am Ende seiner Songs gleich irgendwelche Matheaufgaben lösen können. Aber es macht Spaß, und es brennt sich ein – zumindest die Terminologie, also die Fachwörter der Mathematik, die dann auch im Unterricht wichtig sind.
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