Eine jetzt veröffentlichte Studie aus den USA stellt ein neues, lang wirkendes Arzneimittel vor, das Potenzial für die Behandlung von HIV-Infektionen vermuten lässt. Vorläufige klinische Studien zeigen eine Verringerung der Viruslast bei HIV-Patienten nach einer Einzeldosis des Wirkstoffs, die mehr als sechs Monate im Körper aktiv bleiben kann. Die Studie wurde am 1. Juli 2020 in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht.
Bewährte HIV-Behandlung kann Resistenzen verursachen
Wer sich mit HI-Viren infiziert hat, muss täglich Dosen sogenannter antiretroviraler (gegen Retroviren) Medikamente schlucken – meistens sogar eine Kombination aus verschiedenen Arzneistoffen. Bei einigen Personen tritt nach einer gewissen Zeit eine Arzneimittelresistenz auf, die die Wirksamkeit der Behandlung herabsetzt. Neue Medikamente, die länger wirken, könnten die Möglichkeiten für Patienten mit resistenten HIV-Stämmen verbessern und dazu führen, dass die Behandlung weitergeführt werden kann.
HIV-Kapsid-Hemmstoff verhindert Vermehrung des Virus
Stephen Yant und seine Kollegen vom Pharmaunternehmen Gilead Sciences in Kalifornien beschreiben in ihrer Studie die Entwicklung eines kleinen Moleküls namens GS-6207. Dieses Molekül zerstört das HIV-Kapsid, die Proteinhülle, die das virale Genom umschließt. GS-6207 bindet sich fest an Kapsidproteine und stört letztlich die Vermehrung des Virus. In Laborexperimenten wurde gezeigt, dass GS-6207 gegen mehrere HIV-Stämme wirksam ist und Kombinationsbehandlungen gut ergänzt.
Eine Dosis des Arzneistoffs wirkt bis zu sechs Monate lang
Eine klinische Studie an 40 gesunden Personen zeigt, dass GS-6207, das unter die Haut gespritzt wird, im Allgemeinen sicher und gut verträglich ist und nach Verabreichung mehr als sechs Monate im Körper aktiv bleiben kann. Eine anschließende Phase-1- Studie bei 32 Patienten mit unbehandelter HIV-1-Infektion führte neun Tage nach einer Einzeldosis GS-6207 zu einer Verringerung, aber nicht zur vollständigen Entfernung der Viruslast.
Neuer Ansatz wird an der TU München positiv bewertet
Christoph Spinner, Infektiologe am Münchner Klinikum rechts der Isar, äußert sich dem Bayerischen Rundfunk gegenüber positiv über den neuen HIV-Kapsid-Hemmstoff. Die Substanz sei deswegen interessant, "weil sie an theoretisch mehreren Ansatzpunkten die HIV-Vermehrung verhindern kann". Bislang gäbe es kein einziges Arzneimittel, das aus dieser Klasse zugelassen ist. Allerdings werde die Zulassung noch dauern, so Spinner. Derzeit befinde sich das Mittel erst in Phase-2 der klinischen Erprobung, eine Phase von der Zulassung entfernt.
Stephen Yant und seine Kollegen haben vorgeschlagen, dass die seltenen Dosierungsanforderungen dieses Wirkstoffs es auch zu einem Kandidaten für die Verhinderung einer HIV-Infektion in Risikogebieten machen könnten. Dies wurde in der vorliegenden Studie aber nicht getestet.