Ein Paar streitet sich im Wohnzimmer
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Zu wenig Abstand, finanzielle Sorgen, Streit um den Haushalt - durch Corona sind viele Paare in die Krise geraten.

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Paare und Corona: Eine Feuerprobe für die Liebe?

Fehlender Abstand, finanzielle Sorgen, unsichere Kinderbetreuung – viele Paare fühlen sich durch die Einschränkungen erschöpft und geraten in eine Krise. Auf den zweiten Lockdown sind die meisten Paare jedoch besser vorbereitet als im Frühjahr.

Über dieses Thema berichtet: Notizbuch am .

Sport machen, rausgehen, mit Freunden telefonieren – und wenn der Streit zuhause eskaliert, auch kurzzeitig mal ein Ausweichquartier suchen, im Gartenhäuschen oder bei Freunden – das empfehlen Paartherapeuten, wenn es darum geht, wieder ein wenig Distanz zum Partner zu gewinnen. Viele Paare beherzigen das auch mittlerweile. Sie fühlen sich nicht mehr so hilflos wie in den ersten Wochen des Lockdowns im Frühjahr und haben Strategien entwickelt, wie sie mit Problemen in der Partnerschaft umgehen können. Manche Menschen schätzen ihre Beziehung jetzt auch mehr, erklärt Paartherapeut Jürgen Wolf vom Evangelischen Beratungszentrum München:

Viele sind froh, dass sie überhaupt eine Partnerschaft haben, weil ihnen auch bewusst geworden ist: „Wenn ich jetzt alleine wäre, wäre alles noch viel anstrengender und schwieriger für mich.“ Das hat zwei Seiten: Manche Paare schätzen das, was sie haben mehr. Aber auf der anderen Seite gibt es auch welche, die das Leid in der Beziehung damit auch akzeptieren, auch wenn es zu häuslicher Gewalt kommt. Oder sie drücken bei Dingen, die sie stören, zwei Augen zu.

Corona als Brandbeschleuniger – auch bei Beziehungsproblemen

„Corona wirkt wie ein Brandbeschleuniger“ – dieser vielzitierte Satz gilt auch für Probleme in der Beziehung, so Paartherapeut Christoph Schubert. Gründe für Streit gab es während des ersten Lockdowns viele: Durch geschlossene Kindergärten und Homeschooling fühlten sich viele Frauen zurückversetzt in die 1950er-Jahre, in denen der Mann das Geld verdiente und die Frauen sich um alles andere kümmerten. Nur, dass viele Frauen heute zusätzlich auch einen Beruf haben, dem sie gerecht werden müssen. Zur Mehrfachbelastung kam also noch mehr Arbeit für sie hinzu.

Bei vielen Paaren führte die Frage nach der gerechten Verteilung der Aufgaben im Haushalt - wer kocht, wer kauft ein, wer spült ab, wer bringt die Kinder ins Bett? - zu noch heftigeren Konflikten als sonst. Auslöser für den Streit ist dabei häufig eine Kleinigkeit, das ist auch in „normalen“ Zeiten so, erklärt Christoph Schubert:

„Ich nenne diesen Konflikt „Der Deckel der Zahnpasta-Tube“. Das Kleine wird größer. Es beginnt eine Gegenaufrechnung: Wer macht was im Haushalt?“

Umgang mit Corona birgt Konfliktpotenzial für Paare

Neben dem Streit über die Arbeitsverteilung im Alltag kommt noch eine weitere Frage hinzu, die großes Konfliktpotential in sich birgt: Wie schätzt der Partner oder die Partnerin die Gefahr durch Corona ein? Ist er oder sie empfänglich für Verschwörungstheorien? Oder gilt für beide ein sachlicher, auf Fakten basierter Umgang mit der Pandemie? Auch diese Fragen werden zurzeit häufig im Rahmen einer Paartherapie erörtert, so Christoph Schubert.

Hilfreich: zwischen Problem und Hindernis unterscheiden

Alkoholsucht, die Neigung zu Depressionen, eine nicht erkannte ADHS-Erkrankung – viele Paare sind durch die Einschränkungen gezwungen worden, auf tiefsitzende, langfristige Probleme zu schauen, die sie vorher mehr oder weniger erfolgreich ausgeblendet hatten. Entscheidend ist, wie ein Paar damit umgeht, erklärt Paartherapeut Jürgen Wolf. In manchen Fällen sei es hilfreich zwischen einem Problem und einem Hindernis zu unterscheiden:

Bei einem Problem kann ich einen aktiven Beitrag leisten, um die Situation zu verändern. Ein Hindernis ist etwas, womit ich leben lernen muss. Eine Depression, eine ADHS-Diagnose - das sind Hindernisse, keine Probleme. Wir tendieren dazu, erstmal alles als Problem zu sehen und alles lösen zu wollen. Und manche Dinge sind halt nicht lösbar. Die muss man akzeptieren, erstmal hinnehmen und dann das Beste daraus machen.

Wichtig in der Corona-Krise: Die eigenen Werte erkennen

Um aus der Krise zu kommen ist der Blick nach innen, auf die eigenen Werte und Bedürfnisse unabdingbar, so Jürgen Wolf. In den letzten Monaten haben sich viele Menschen, die zu ihm in die Praxis gekommen sind, diesen Fragen gestellt: Was ist mir wichtig im Leben? Was brauche ich, um ein erfülltes Leben zu führen? Kann ich das in Einklang bringen mit meiner Beziehung? Auf was muss ich meinem Partner zuliebe verzichten?

Und wenn die Leute das wissen und sagen: Das ist OK! Das nehme ich in Kauf, sind sie in ihrer Beschreibung und ihrem Erleben ihrer Beziehung auch ein ganzes Stück weiter. Jürgen Wolf, Paartherapeut beim Evangelischen Beratungszentrum München

Trotz Corona: Sich selbst nicht aus den Augen verlieren

Wann die Corona-Pandemie vorbeigeht, ist ungewiss. An den äußeren Zwängen - Arbeit im Homeoffice, Homeschooling, Haushalt, wenig Zeit für sich und den anderen - wird sich für Paare und Familien erstmal nichts ändern. Und doch gilt es – wenn irgendwie möglich – sich selbst nicht aus den Augen zu verlieren, die eigenen Freiräume aufrecht zu erhalten, erklärt Jürgen Wolf.

Dass man rausgehen kann und seine Interessen für sich vertreten kann, dass man innerlich das Gefühl hat: „Ja, ich bin in einer guten Beziehung zu mir.“ Das ist die Grundlage für eine erfüllte Beziehung.

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