Corona-Schnelltests: Ein Schaufenster ist mit der Aufschrift "Corona-Testungen" beklebt.
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"Falsche Sicherheit": Virologe Keppler kritisiert Schnelltests

"Falsche Sicherheit": Virologe Keppler kritisiert Schnelltests

Antigen-Schnelltests werden als wichtiger Baustein bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie propagiert. Doch wie aussagekräftig sind sie? Virologe Prof. Oliver T. Keppler äußert im BR-Interview mit Christian Nitsche erhebliche Zweifel.

Über dieses Thema berichtet: BR24extra am .

Corona-Schnelltests wurden zuletzt häufig als ein Schlüssel zur Bewältigung der Pandemie-Folgen genannt. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte beispielsweise zu deren flächendeckenden Einführung, dass Schnelltests einen wichtigen Beitrag leisten, um ein "Stück Normalität zurück zu gewinnen".

Doch es gibt auch kritische Stimmen. Professor Oliver T. Keppler ist Vorstand des Max von Pettenkofer-Instituts und Lehrstuhlinhaber für Virologie an der LMU München. Im Interview mit BR-Chefredakteur Christian Nitsche spricht er unter anderem von einer "klaren Fehlwahrnehmung", was die Zuverlässigkeit der Schnelltests angeht.

  • Zum Artikel "Schnelltests nur an fünf von acht ansteckenden Tagen sicher"

Christian Nitsche: Welche Bedeutung haben Antigen-Schnelltests bei der Pandemiebekämpfung?

Keppler: Das Ziel, die Pandemie zu bekämpfen eint uns alle, jedoch die Wege und die Einschätzung der Instrumente sind doch sehr unterschiedlich. Wir müssen neben den Menschen mit Covid-19-typischen Krankheitssymptomen insbesondere auch asymptomatisch Infizierte erkennen, um Übertragungsketten zu unterbrechen.

Die Massentestungen mit Antigen-basierten Schnell- und Heimtesten zum Direktnachweis des neuen Coronavirus werden seit Monaten mit dem Versprechen von "rascher Sicherheit", "einfacher Anwendung" und "vor Ort-Schutz" vermischt mit einer bemerkenswerten Hoffnungsrhetorik hin zur Öffnung propagiert. Nach einem Jahr Pandemie ist das Verlangen nach Sicherheit und ein Zurückgewinn von Normalität allgegenwärtig, aber entspricht das auch der Leistungsfähigkeit dieser Tests? Leider klafft hier ein tiefer Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Es besteht eine klare Fehlwahrnehmung der Zuverlässigkeit dieser Tests.

Was heißt das konkret? Wie hilfreich sind Antigen-Schnelltests?

Die bisher größte internationale Cochrane-Metastudie kommt zu dem Schluss, dass 58 Prozent, also nur knapp die Hälfte der Infizierten ohne Symptome überhaupt durch Antigen-Schnelltests erkannt werden. Das sehen wir leider auch täglich in der Praxis und diese Daten decken sich sehr gut mit unseren eigenen Untersuchungen in München. Im symptomlosen Frühstadium der Infektion sind Menschen aber mit am ansteckendsten. Günter Jauch war zuletzt ein prominentes Beispiel eines negativen Antigen-Schnelltests mit nachfolgend positiver PCR sogar trotz bereits bestehender Covid-19-typischer Symptome.

Ist es nicht schon ein Zugewinn, etwa die Hälfte der Infizierten zu erkennen?

So könnte man argumentieren. Aber eine wichtige Frage ist: Wiegen sich die negativ Getesteten eventuell in falscher Sicherheit? Die eindeutige Antwort ist: Ja. Das Robert Koch-Institut (RKI) führt in seinem aktuellen Epidemiologischen Bulletin aus, dass 67 Prozent der getesteten Personen annahmen, dass sie nach einem negativen Antigen-Schnelltest-Ergebnis am Testtag und auch am nächsten Tag sicher nicht für andere Personen ansteckend sein können. "Negativ-getestet" wird als "Freifahrtschein" für gelockertes Verhalten in Bezug auf Hygienemaßnahmen und als "Öffnungsschutz" wahrgenommen. Das ist nach einem Jahr Pandemie menschlich, aber nachweislich falsch und dazu noch gefährlich, wenn es eben mit einer Verhaltensänderung einhergeht – beruflich wie privat. Bei "ungeschützten" Kontakt zu vulnerablen Gruppen - wie beim Geburtstag der Oma im Familienkreis oder beim Besuch der 73-jährigen Tante - unverantwortlich.

Wie verlässlich ist ein positives Testergebnis?

Es gibt leider auch Probleme mit der Spezifität der Antigen-Schnelltests: Abhängig von der Inzidenz und dem verwendeten Test kommen nach RKI-Angaben auf einen "echt" Positiven etwa zehn "falsch" Positive. Auch das hat ernste Konsequenzen für den Betroffenen: Unmittelbare Meldung an das Gesundheitsamt und Quarantäne bis zum Erhalt einer negativen PCR, Kontaktlisten erstellen. Das verursacht einen großen Aufwand, mehrtägigen Arbeits- und Schulausfall und nicht zuletzt unberechtigte Ängste. Auch untergräbt es noch weiter das Vertrauen in die nationale Teststrategie.

Ist das CE-Zeichen auf Schnelltests eine Garantie dafür, dass der Test eine vergleichbar gute Qualität hat?

Wichtig zu wissen: Die Zulassung dieser Medizinprodukte erfolgt in Deutschland durch das BfArM alleine basierend auf den Herstellerangaben, das CE-Label hat keine Aussagekraft für die Leistungsparameter dieser Tests. Nachweisdaten für die aktuell dominanten Virus-Varianten, wie B.1.1.7, sind bisher bei der Zulassung nicht gefordert – haben wir hier also eventuell einen blinden Fleck oder eine noch schlechtere Sensitivität? Das ist bedenklich.

Sollten Tests vom Markt genommen werden, die kaum Aussagekraft haben?

Die minimal zu erbringende diagnostische Aussagekraft ist klar definiert. Wenn ein bestimmter Test diese Kriterien in unabhängigen Untersuchungen nicht erfüllt, muss er konsequenterweise vom Markt genommen werden. Das ist Verbraucherschutz in der Pandemie.

Wie sinnvoll ist es, dass Laien Tests durchführen?

Sowohl bei den Abstrichen als auch der Testdurchführung gibt es gewisse Risiken. Die Zuverlässigkeit der Aussagekraft der Tests kann in Laienhand weiter gemindert werden. An den Schulen treibt die Durchführung in Klassenverbänden zum Beispiel teilweise groteske Stilblüten. Da heißt es: "Alle erst mal feste die Nase schnäuzen, bevor Ihr Euch abstreicht." So könnte man leicht einen Superspreader-Event auslösen. Absurd wie kontraproduktiv. Ein Testprinzip, das nur die Spitze des Eisbergs erkennt, kann nur dann theoretisch bei der Pandemiebekämpfung helfen, wenn fast täglich unter professionellen Bedingungen getestet wird – logistisch und finanziell nicht umsetzbar.

"Viel testen hilft viel", stimmt das überhaupt?

Das mag erst mal gut klingen, aber es fehlen die wissenschaftlichen Belege in der Anwendung für den Nutzen dieser point-of-care Tests in der Massentestung. Wunsch und Wirklichkeit sind nicht das Gleiche!

Was gibt es für Erfahrungen aus anderen Ländern?

Betrachten wir zum Beispiel ein Land, das seit Monaten Antigen-Schnelltests durchführt. Österreich hat dieses Massentesten nicht wirklich weitergeholfen, die Inzidenz ist hoch, Kontaktbeschränkungen wurden zuletzt regional auch wieder verschärft. Ob trotz oder wegen dieses Testprinzips die Zahlen so rasch hochgegangen sind, ist letztlich nicht zu klären. An den Schulen wurden nun neu auch vielerorts PCR-Teststrategien eingeführt. Müssen wir den gleichen fragwürdigen Weg gehen?

Bevölkerungsweite Massentestungen mit professioneller Durchführung, wie in der Slowakei, haben wahrscheinlich einen kurzzeitigen, positiven Effekt auf die Infektionskontrolle. Die Laientestung - ob in Firmen, Schulen oder Kitas - hat hier wie gesagt sicher zusätzliche Unwägbarkeiten. Die Autoren einer wissenschaftlichen Studie zur Massentestung in der Slowakei haben eingeräumt, dass die Abgrenzung eines kurzzeitigen positiven Effekts auf die Inzidenz von den zusätzlichen und parallel implementierten Maßnahmen der Kontaktbeschränkung nicht möglich ist. Das Problem der falschen Sicherheit der vermeintlich negativ Getesteten und daraus resultierenden Neuinfektionen würden sich allerdings erst zwei bis drei Wochen später in wieder steigenden Zahlen widerspiegeln. Nun, einen solchen Rebound der Pandemie konnte man in der Slowakei zweimal beobachten.

Asiatische Länder, ob China, Taiwan, Südkorea oder Singapur, setzten fast ausnahmslos auf PCR-Testung in der Fläche – ohne Zweifel sind sie Pandemie-Weltmeister. Als Virologe, Infektionsepidemiologe und Arzt erachte ich eine gesetzlich verankerte Massentestung bei uns für fragwürdig, ja halte sie für potenziell sogar gefährlich, Öl in das Feuer der aufflammenden dritten Welle zu gießen.

Was empfehlen Sie?

Die PCR-Pooltestung beispielsweise könnte ein probates wie kostengünstiges Instrument sein, das ja bereits in einigen Schulen, Firmen und Sportvereinen eingesetzt wird. Hier werden fünf bis 30 Speichel- oder Abstrich-Proben asymptomatischer Personen zusammengeführt und dann in einer hochempfindlichen PCR untersucht. Die Nachweisempfindlichkeit der PCR ist 10.000 bis 100.000-mal höher als bei Antigen-Schnelltests. Da ist die Verdünnung im Rahmen des Poolings für die PCR eine akzeptable Einschränkung der Testempfindlichkeit. Ist ein Pool positiv, wird dieser aufgelöst und die positiven Einzelpersonen werden identifiziert. Mit verbesserter Logistik und wissenschaftlicher Begleitung könnte die PCR-Pooltestung insbesondere bei regelmäßiger Testung in Kitas, Schulen und Firmen noch am gleichen Tag ein weit zuverlässigeres Ergebnis liefern und somit eventuell ein wichtiges Instrument der Pandemie-Kontrolle werden. Auch alternative Laborverfahren wie die LAMP-Reaktion könnten in Kürze schon einen Beitrag hin zu einer empfindlichen und kostengünstigen Testung in der Fläche leisten.

Verbrennen wir mit Antigen-Schnelltests Milliarden?

Der Zweck, einige Covid-19-Erkrankte zusätzlich zu finden, rechtfertigt aus meiner Sicht nicht, den extremen Aufwand und die massiven Kosten, wohl bis zu sieben Milliarden Euro pro Monat. Bei der Pandemiebekämpfung geht es um Tempo, Praktikabilität, unaufgeregte Kommunikation und natürlich um Zuverlässigkeit. Hier besteht dringender Handlungsbedarf zu einer Aufklärung, basierend auf wissenschaftlicher Evidenz. Wir müssen aufwachen und nicht ein potenziell gefährliches Hoffnungsnarrativ zu Antigen-basierten Schnell- und Heimtests fortsetzen. Aktionismus zur Gewissensberuhigung wird uns nicht weiterbringen. Wir sind mitten in einer schwierigen Phase der Pandemie und müssen einen kühlen Kopf bewahren bis der Impffortschritt uns in einigen Monaten Entlastung ermöglichen wird.

BR extra: Was sagen die Virus-Experten? Von links: Prof. Oliver T. Keppler, Prof. Ulrike Protzer und BR Chefredakteur Christian Nitsche.
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BR extra: Was sagen die Virus-Experten? Von links: Prof. Oliver T. Keppler, Prof. Ulrike Protzer und BR Chefredakteur Christian Nitsche.

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