Temperaturscreenings bringen eher wenig, Quarantäne und Reisebeschränkungen tun es schon eher. Masken können wohl ganz erheblich dazu beitragen, die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus einzugrenzen.
So lautet die kurze Zusammenfassung mehrerer Übersichtsstudien. Diese Übersichtsstudien liefern die vorläufige Antwort der Wissenschaft auf die Frage: Was wirkt denn nun wie gegen Corona?
Übersichtsstudien für Corona
Drei dieser vier Übersichtsstudien wurden von der Cochrane Collaboration durchgeführt und im September veröffentlicht oder auf den neuesten Stand gebracht. Übersichtsstudie heißt: Die beteiligten Wissenschaftler haben nicht selbst die Studien durchgeführt. Stattdessen haben sie bereits vorhandene Studien zum Thema gesammelt und neu ausgewertet.
Indem eine Übersichtsstudie mehrere Einzelstudien zur gleichen Fragestellung bündelt, werden Ausreißer hoffentlich ausgeschlossen und es ergibt sich ein schlüssiges Gesamtbild – sollte es denn überhaupt eines geben.
Screenings übersehen zu viele Infizierte
Beim Thema "Screenings" gab es ein derartiges schlüssiges Gesamtbild wohl auch. Es lautet: Screenings alleine übersehen zu viele infizierte Menschen und sind deshalb kein gutes Instrument, um die Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus einzugrenzen. Zu diesem Schluss kommen Meera Viswanathan von der Stiftung RTI International und ihre Kollegen. Sie werteten dafür insgesamt 22 Studien aus.
Einerseits wollten Viswanathan und ihre Kollegen wissen, wie effektiv Screening-Verfahren sind. Andererseits interessierte sie die "Trefferquote", also wie zuverlässig derartige Verfahren bei der Identifikation von infizierten Personen sind.
Bei insgesamt über 17.000 Personen wurden von je hundert infizierten Personen zwanzig bis hundert Personen fälschlicherweise als "gesund" erachtet. Im Gegenzug wurden von je hundert gesunden Probanden zwischen 0 und 34 als "infiziert" eingestuft.
Diese Ergebnisse gelten kombiniert für alle in den Studien untersuchten Screening-Verfahren, seien es Temperaturmessungen oder die Befragung nach Symptomen. Sie gelten nicht für den richtigen Coronatest, auch als PCR-Test bekannt, da es sich bei diesem Test nicht um ein Screening-Verfahren handelt.
So kommen die Autoren zu dem Schluss, dass ein einfaches und einmaliges Screening-Verfahren alleine kein gutes Mittel darstellt, um infizierte Personen zu identifizieren.
Wirken Reisebeschränkungen?
Ein weiterer Übersichtsartikel der Cochrane Collaboration, verfasst von Jacob Burns von der Ludwig-Maximilian-Universität in München und Kollegen, beschäftigt sich mit Reisebeschränkungen.
Zwar gab es auch schon bei vorherigen Epidemien wie dem SARS- oder dem MERS-Virus Einschränkungen, was das Reisen angeht – allerdings keine so einschneidenden Maßnahmen wie Grenzschließungen oder Einreiseverbote für Reisende aus Risikogebieten, wie es bei COVID-19 der Fall war und teilweise noch ist.
"Für Entscheidungsträger ist es wichtig, zu wissen, ob diese Maßnahmen etwas gebracht haben", sagt Jacob Burns. Er und seine Kollegen werteten 36 Studien aus, die sich aber nicht nur mit Reisebeschränkungen der COVID-19 Pandemie beschäftigen, sondern auch mit dem SARS- und dem MERS-Virus. Grund dafür ist, dass besonders zu Anfang der Pandemie noch nicht genügend Studien zu COVID-19 vorlagen.
Hinweise auf einen Effekt
"Diese Viren sind nicht direkt vergleichbar, aber sie verbreiten sich auf ähnlichen Wegen", erklärt Burns das Vorgehen: "Die von uns untersuchten Studien waren alle sehr unterschiedlich, deshalb war ein direkter Vergleich schwierig. Aber insgesamt gab es Hinweise dafür, dass Reisebeschränkungen helfen können – insbesondere die extremeren Maßnahmen wie Grenzschließungen oder Einreisebeschränkungen."
Aber wie solche Maßnahmen wirken, hängt von vielen weiteren Faktoren ab, beispielsweise dem Zeitpunkt, zu dem ein Einreisestopp verhängt wird. Wirklich gesicherte Aussagen sind vor allem deshalb nicht möglich, weil Burns und seine Kollegen mit 36 sehr unterschiedlichen Studien konfrontiert waren, welche unterschiedliche Situationen, unterschiedliche Länder und unterschiedliche Zeiträume abdecken. "Wir haben auch sehr wenige Informationen gefunden, wie Lockerungen sich auswirken", sagt Burns.
Urlaub zuhause als Lösung?
Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief schon Anfang September dazu auf, den Herbst- oder Weihnachtsurlaub doch im Inland zu verbringen. Stützt Burns‘ Übersichtsstudie diesen Aufruf? "Diese Fragestellung haben wir nicht untersucht", sagt Burns. "Aber es ist angesichts der Evidenzlage bestimmt nicht unvernünftig, auf größere Reisen zu verzichten."
Quarantänemaßnahmen im Fokus
"Im Fokus unserer Übersichtsarbeit standen Quarantäne von Personen, die Kontakt mit Infizierten oder Verdachtsfällen hatten, sowie Quarantäne von Personen, die aus einem Gebiet mit deklariertem Coronavirus-Ausbruch einreisten", sagt Barbara Nußbaumer-Streit von Cochrane Österreich an der Donau-Universität Krems in Österreich. Insgesamt 51 Studien konnten sie und ihre Kollegen finden.
Unter diesen 51 Studien fanden sich vor allem Modellierungsstudien. Dabei handelt es sich letztendlich um Simulationen der Ausbreitung einer Krankheit. Forscher schätzen dabei die Ausgangssituation so gut wie möglich ein und können darauf basierend verschiedene Szenarien durchspielen – also beispielsweise, wie viele Menschen sich mit dem SARS-CoV-2 Virus anstecken würden, wenn es überhaupt keine Quarantänemaßnahmen gäbe.
Frühes Handeln nützt
"Die Modellierungen schätzen, dass durch Quarantäne 44 bis 96 Prozent der Fälle und 31 bis 76 Prozent der Todesfälle reduziert werden können, je nach verwendeten Modellparametern. Quarantäne war am wirksamsten und kostete am wenigsten, wenn sie bereits früh in der Epidemie, also wenn die Fallzahlen noch niedrig sind, umgesetzt wird", sagt Barbara Nußbaumer-Streit.
Wohlgemerkt, hier geht es nicht um den allgemeinen "Lockdown", den seit Beginn der Pandemie ziemlich viele Länder weltweit in unterschiedlich strengen Varianten erlebt haben, sondern die tatsächliche Quarantäne, während derer man eigentlich gar nicht mehr aus dem Haus oder der Wohnung darf.
"Wir kommen zu dem Schluss, dass Quarantäne von Personen, die Kontakt mit Infizierten oder Verdachtsfällen hatten, wichtig ist, um die Ausbreitung zu vermindern", sagt Barbara Nußbaumer-Streit.
Risikoreduktion durch Masken
Screenings, Reisebeschränkungen, Quarantäne – und was ist nun mit den Masken?
Dazu erschien bereits im Juni eine Übersichtsstudie im medizinischen Fachmagazin "The Lancet", verfasst von einem Team um Holger Schünemann von der McMaster University in Kanada. Wenige Tage später rückte die Weltgesundheitsorganisation WHO von ihrer bis dato eher ablehnenden Haltung gegenüber Mund-Nasen-Masken für nicht-medizinisches Fachpersonal ab. Denn was Schünemann und seine Kollegen aus insgesamt 29 verschiedenen Studien herausfilterten, war, dass das Tragen einer Maske das relative Risiko, sich mit dem Coronavirus anzustecken, um bis zu achtzig Prozent senken kann.
Relatives und absolutes Risiko
"Ich würde aber als erstes betonen wollen, dass es sich bei diesen achtzig Prozent um eine relative Risikoreduktion handelt", sagt Holger Schünemann. "Außerdem können andere Maßnahmen die relative Wirksamkeit beeinflussen."
Relativ heißt: Wenn das Risiko einer Einzelperson, sich mit dem Virus zu infizieren, aufgrund von anderen Maßnahmen – wie etwa dem Einhalten der Abstandsmaßnahmen, Selbstisolation oder geringen Fallzahlen in der Umgebung – gering ist, bewirkt auch die Maske einen absolut geringen Effekt. Wenn das Ansteckungsrisiko klein ist, müssen sehr viele Menschen eine Maske tragen, um eine einzelne Infektion zu verhindern.
Eine relative Risikoreduktion von achtzig Prozent bedeutet aber auch: Wenn das Risiko, sich zu infizieren, beispielsweise zehn Prozent beträgt, dann könne das Tragen einer Maske dieses zehnprozentige Risiko auf zwei Prozent senken.
Kurz gesagt: Die Maske bringt etwas.
Relative Risiken und wenige Nebenwirkungen
Zu Nebenwirkungen oder gar schädlichen Effekten von Masken gibt es übrigens bislang keine hochwertigen Studien oder gar Übersichtsstudien – hauptsächlich deshalb, weil kaum Nebeneffekte durch das Maskentragen bekannt ist.
"Sie müssen allerdings richtig eingesetzt werden,“ betont Schünemann. "Etwas Bedenken würde ich anmelden, ob die vielen selbstgemachten Augen/Nasen/Mundschutzmechanismen positive Effekte haben." Tatsächlich gibt es auch Studien über die unterschiedlichen Wirksamkeiten von Masken.
Viele Studien, ein Fazit?
Was alle Studien und Übersichtsstudien vereint, sind die gelinde gesagt erschwerten Bedingungen, unter denen sie erstellt wurden. Denn idealerweise führen Forscher gerne Studien mit randomisierten Kontrollgruppen durch und betrachten immer nur eine Maßnahme für sich.
Das allerdings ist in Beobachtungsstudien während einer weltweiten Pandemie kaum möglich. Hier gelten immer mehrere Maßnahmen gleichzeitig – also beispielsweise Grenzschließung, Maskenpflicht, Quarantäne und vielleicht noch ein Lockdown. Wie soll man da den einen vom anderen Effekt trennen? Und auch Studienteilnehmer wird man kaum kontrolliert von einer Maßnahme abhalten oder sie dazu anhalten können.
Schünemann bleibt beim Beispiel der randomisierten Studien mit Maske: "Wenn das Risiko einer Ansteckung gering ist, werden sich die Menschen eher nicht an die Empfehlungen, eine Maske zu tragen, halten. Ist das Risiko aber groß, wird es wenig Teilnehmer geben, die auf das Maskentragen verzichten wollen. Das kann zu systematischen Fehlern in diesen Studien führen."
Somit lautet sein Fazit: "Wir müssen diese Studien genau jetzt durchführen. Es ist schwierig, aber wir müssen es versuchen."
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