Schüler melden sich im Unterricht (Archivbild)
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Wenn die Ganztagsklasse aufgelöst wird, weil ein Kind wegzieht

In München wird eine Ganztagsklasse kurzfristig aufgelöst, weil ein Kind die Schule verlässt. Die Eltern wollen sich das nicht gefallen lassen. Der Fall zeigt: Ganztagsbetreuung ist in Bayern immer noch nicht selbstverständlich.

Über dieses Thema berichtet: Campus Magazin am .

An der Münchner Grundschule an der Klenzestraße ist die Aufregung groß: Kurz vor den Sommerferien haben die Eltern der zweiten Klasse ein Schreiben bekommen. Darin wird ihnen mitgeteilt, dass die Ganztagsklasse ihrer Kinder zum neuen Schuljahr aufgelöst wird. Grund ist ein Kind, das umzieht. Damit sind die Schülerzahlen zu gering, sagt das Schulamt. Die Ganztagsklasse kann nicht bestehen bleiben.

Schock für die Eltern

Für die Eltern und Kinder ist das fatal. Hort, Mittagsbetreuung und andere Angebote sind längst voll, es gibt keine Chance für die 20 Kinder, nach den Sommerferien am Nachmittag irgendwo unterzukommen, erzählt ein Vater. Sie hätten alles probiert. Aber drei Wochen vor den Sommerferien sind alle Angebote ausgebucht. Hätte man die Eltern rechtzeitig informiert, wäre das anders gewesen. Jetzt müssen sie ihren beruflichen Alltag komplett umstrukturieren.

Schulamt entscheidet nach Zahlen

Die Klenzeschule gilt als Vorzeigeschule in Sachen Ganztag. Seit 2015 gibt es hier Ganztagsklassen. Doch in diesem Fall können die Direktorin und die Lehrkräfte nichts machen. Sie bekommen ihre Anweisungen vom städtischen Schulamt. Und das entscheidet nach Zahlen. Konkret heißt das: Für vier Klassen braucht man 85 Schüler. Sind es 84, weil etwa ein Kind wegzieht, dann werden die Klassen zusammengelegt.

Problematisch ist an diesem Fall, dass die Ganztageskinder auf die Halbtagesklassen verteilt werden. Die betroffenen Kinder müssen sich komplett umstellen. "Im Halbtag sind ganz andere Unterrichtseinheiten", sagt Mutter Liane. "Da sind wir gar nicht darauf vorbereitet, die Kleinen auch nicht."

Im Video: Fehlende Ganztagsklassen, verzweifelte Eltern

Eltern vor der Münchner Klenzeschule
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Kurz vor den Sommerferien wird den Eltern an der Münchner Klenzeschule mitgeteilt, dass eine Ganztagsklasse ab Herbst geschlossen wird.

Klenzeschule ist kein Einzelfall

Die Ganztagsbetreuung ist in Bayern nach wie vor eine Baustelle. Die Klenzeschule in München ist kein Einzelfall, sagt die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Simone Fleischmann. Dem Verband seien viele Fälle bekannt, wo gebundene Ganztagsklassen am Start waren und nicht mehr angeboten werden könnten. "Und zwar, weil zu wenig Kinder da sind, aber auch, weil zu wenig Lehrer und Lehrerinnen da sind", sagt Fleischmann. Manchmal fehlen also Kinder, um die Klassen zu bilden, manchmal die Lehrkräfte, um sie zu betreuen.

Bayern ist Schlusslicht bei der Ganztagsbetreuung

Ab 2026 sollen zunächst alle Grundschulkinder der ersten Klassenstufe einen Anspruch auf Ganztagesbetreuung haben, so die Pläne der Bundesregierung. Der Anspruch soll in den Folgejahren um je eine Klassenstufe ausgeweitet werden. Damit hätte ab 2029 jedes Grundschulkind der Klassenstufen eins bis vier einen Anspruch auf ganztägige Betreuung.

Ein ehrgeiziges Ziel, von dem Bayern noch meilenweit entfernt ist. Laut aktuellen Zahlen des Bundes-Familienministeriums werden in Bayern 36 Prozent der Schulkinder betreut. Der Bedarf liegt aber bei 59 Prozent. Das bayerische Sozialministerium dementiert diese Zahlen. Die Mittagsbetreuung sei nicht eingerechnet. Und deswegen seien derzeit 56 Prozent der Grundschulkinder betreut, so die Ulrike Scharf.

Dennoch: Bayern gehört zu den Schlusslichtern im deutschlandweiten Vergleich. Planungssicherheit gibt es keine für die Eltern. Hinzu kommt, dass die Zuständigkeiten komplex sind. Das Kultusministerium ist für die Grundschulen verantwortlich, das Sozialministerium für den Rechtsanspruch auf die Ganztagsbetreuung.

Kultusminister Piazolo versucht zu beruhigen

Ist der Fall an der Münchner Klenzeschule also ein fatales Signal für andere Eltern? Davon will der bayerische Kultusminister Piazolo nichts wissen. Im Gespräch mit dem Bayerischen Rundfunk kommentiert er die Berechnungsgrundlagen des Schulamts nicht – obwohl das Schulamt seinem Ministerium unterstellt sind. Er betont aber, dass das alles normale Vorgänge seien. Schülerzahlen würden nun einmal schwanken. Die Eltern hätten ja noch Zeit, Werbung zu machen, damit die nötige Anzahl wieder erreicht wird. "Das ist kein Einzelfall, sondern es ist jetzt genau die Phase, wo die Klassenbildung stattfindet, wo man schauen muss, was kommt zustande, was nicht", betont der Minister. Aber das Ziel sei natürlich, Angebote aufrecht zu erhalten, so wie an der Klenzeschule.

Eltern wollen nicht aufgeben

Die Eltern von der Klenzeschule in München geben sich kämpferisch: Sie wollen es sich nicht gefallen lassen, dass ihre Ganztagsklasse einfach aufgelöst wird. Sie haben verschiedene Petitionen eingereicht und Unterschriften gesammelt.

Für sie geht im neuen Schuljahr um alles, sagt Mutter Liane. Sie spricht von einer familienunfreundlichen Politik: Entweder man habe im Herbst 20 Schlüsselkinder, die durch das Viertel irren, oder die Eltern würden ihre Jobs verlieren. "Wahrscheinlich geht es wieder zu Lasten der Frauen", sagt die Mutter. "Seien wir doch mal ehrlich: Wir Frauen haben schon in der Pandemie zurückgesteckt und werden es wieder tun." Derzeit wird vom Schulamt geprüft, ob man noch irgendetwas tun kann. Die Entscheidung soll in den nächsten Wochen fallen.

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