Die Zeit, in der Vogelschützer generell gegen Windkraft waren, ist längst vorbei. Doch eine Sache macht es ihnen schwer: die 10H-Regel. Diese besagt, dass Windräder einen Mindestabstand vom 10-Fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden und bebauten Gebieten einhalten müssen. Dass der bayerische Ministerpräsident an "10H" festhalten will, ist für den Landesbund für Vogelschutz eine schlechte Nachricht.
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LBV: "10H blockiert die Windkraft, nicht der Artenschutz"
Ohne 10H habe der Landesbund für Vogelschutz (LBV) gar kein Problem mit neuen Windparks, sagt der Vorsitzende Norbert Schäffer. Der LBV könne sofort Karten auf den Tisch legen, wo Windparks bedenkenlos gebaut werden können. Doch wenn 10H nicht falle, werde es in Bayern eng für den Artenschutz.
Dann müsse man beim Bau neuer Windkraft-Anlagen zwangsläufig in sensible Gebiete gehen, in Wälder und zum Teil auch in Schutzgebiete, das sei schmerzhaft. "Da würde auch der LBV protestieren, und dann wird uns unterstellt, ihr seid die Windkraft-Blockierer. Das sind wir nicht, 10H blockiert die Windkraft, nicht der Artenschutz."
Gedeckter Tisch für den Rotmilan
Ehe ein neuer Windpark entstehen kann, ist es Vorschrift, dass in einem Gutachten geprüft wird, ob das Vorhaben an dem Standort auch mit dem Artenschutz vereinbar ist. Im oberbayerischen Fuchstal im Landkreis Landsberg, wo in der Nähe des bereits bestehenden Windparks bald neue Windräder hinkommen sollen, hat Diplom-Biologe Martin Königsdorfer das Artenschutz-Gutachten erstellt.
Über einen langen Zeitraum hat er dafür den Rotmilan beobachtet. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl der Brutpaare dort fast verdoppelt - trotz Windrädern. Das liegt seiner Ansicht nach vor allem an der Bewirtschaftung der Felder: "Die Landwirte mähen hier mittlerweile sechs- bis sieben Mal im Jahr, seitdem ist der Tisch reich gedeckt für den Rotmilan, und dadurch konnte sich der Bestand vermehren", sagt der Biologe.
Vogelschutz an Windrädern mit Hilfe Künstlicher Intelligenz
In Fuchstal läuft heuer ein bisher in Bayern einmaliges Forschungsprojekt an: Über den Gipfeln der Bäume sollen auf Masten Kameras positioniert werden, die verhindern, dass Vögel mit Windrädern kollidieren. Sobald ein Vogel sich annähert, erkennt das die Stereo-Kamera. Im Hintergrund gleicht ein Rechenapparat mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz ab, um welchen Vogel es sich handelt.
"Das System kann einen Raben oder Mäusebussard von einem Rot- oder Schwarzmilan unterscheiden und weiß sofort, ob das ein kollisionsrelevanter Vogel ist oder nicht, und wenn ja, wird das Windrad gestoppt", erklärt Robert Sing. Sein Ingenieurbüro hat die Technik, die bald im heimischen Wald umgesetzt wird, geplant.
Die Software für das neue System, das hier sehr bald schon an den Start gehen wird, kommt aus den USA. Dort ist das System "IdentiFlight" bereits Standard. Das Besondere an dem neuen Forschungsprojekt ist, dass dieses System nun erstmals weltweit über einem Waldgebiet getestet wird.
Artenschutz und erneuerbare Energien im Einklang?
"IdentiFlight" schaltet im Unterschied zu anderen Systemen gezielt nur dann ab, wenn es sich wirklich um einen kollisionsrelevanten Vogel handelt. Die Windpark-Betreiber erhoffen sich dadurch geringere Verluste im Jahresertrag.
So kann es auch an schwierigen Standorten gelingen, Artenschutz und erneuerbare Energieproduktion miteinander in Einklang zu bringen, hofft Robert Sing. Vielleicht ist das ein weiterer Lösungsansatz dafür, dass die Energiewende nicht zwangsläufig auf Kosten des Artenschutzes gehen muss.
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