Der 25-jährige Millionenerbe Richard Oetker ist 1976 frisch verheiratet. Er wohnt mit seiner Frau Marion in Freising. In Weihenstephan studiert er Brau- und Agrarwissenschaften. Am 14. Dezember verlässt er die Abendvorlesung im Hörsaalgebäude ein paar Minuten vor seinen Kommilitonen. Auf dem Universitäts-Parkplatz wird Oetker überfallen und entführt.
Garagentor löst Stromschläge aus
Der bewaffnete und maskierte Täter zwingt den fast zwei Meter großen Studenten in den Laderaum eines Kastenwagens und dort in eine enge, gerade einmal 1,45 Meter lange Holzkiste. Den Wagen stellt er in einem Gewerbehof in München-Pasing ab. Im Fall eines Fluchtversuchs sollen Oetker über die Handschellen Stromschläge versetzt werden.
Dann wird der Mechanismus versehentlich ausgelöst, als ein Garagentor das Dach des Wagens streift. Oetker bricht sich Brustwirbel und die Hüfte, er leidet unter unerträglichen Schmerzen.
Lösegeld-Übergabe am Stachus in München
Unterdessen bemüht sich seine Familie, das telefonisch geforderte Lösegeld von 21 Millionen D-Mark zu beschaffen. Zwei Tage nach der Tat übergibt Richard Oetkers Bruder August das Geld im Stachus-Untergeschoss in München an den Entführer, der danach entkommen kann.
Dieser schickt die Polizei per Telefon in ein Waldstück zwischen Germering und Unterpfaffenhofen. Dort wird Richard Oetker knapp 48 Stunden nach seiner Entführung aufgefunden – völlig erschöpft und kaum noch ansprechbar.
Augenzeugen denken nicht an Entführung
Die Ermittlungen der Polizei laufen auf Hochtouren. In Freising spricht sich bald herum, dass die Stadt nicht nur Wohnort Oetkers, sondern auch Tatort gewesen ist. Später werden auch Leute ermittelt, die "halbwegs was gesehen, aber nicht an eine Entführung gedacht haben". So erzählte es der inzwischen verstorbene Friedhold Metz, damals Chef der Lokalzeitung in Freising, vor Jahren in einem BR-Interview.
Im Herbst 1977 wird ein Postansagedienst freigeschaltet, so dass jeder die aufgezeichneten Anrufe des Entführers anhören kann. Die Aufnahmen werden öffentlich vorgespielt. Nachbarn erkennen schließlich die Stimme von Dieter Zlof. Dieser leugnet die Tat. Nach einem spektakulären Indizienprozess wird er 1980 aber zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Geld bleibt vorerst verschwunden.
Rückkehr zum Entführungsort
Das habe Oetker "stark umgetrieben“, erzählte Josef Geißdörfer vor Jahren dem BR. Der Freisinger war beim Bayerischen Landeskriminalamt und gehört ab 1984 einer Sonderkommission an, die weiter ermittelt. Über die Jahre habe sich ein enges freundschaftliches Verhältnis zu Oetker aufgebaut, so Geißdörfer.
Die beiden Männer treffen sich auch im Weihenstephaner Bräustüberl. Oetker hat nach den Worten des LKA-Mannes "kein Problem" damit, dort ein Bier zu trinken und an den Entführungsort zurückzukehren.
Lösegeld teilweise in Erde vermodert
Aber er habe nicht mit der Vorstellung leben wollen, "dass sich der Täter nach der Haftentlassung mit dem Geld aus dem Verbrechen ein schönes und ruhiges Leben macht". Später stellt sich heraus: Ein Teil des vergrabenen Lösegeldes ist in der Erde vermodert. Ein Teil taucht aber 1997 in London auf. Zlof will es dort umtauschen – und landet wieder im Gefängnis.
"Hass bindet unnötig Energie"
Oetker, der sich als Optimisten bezeichnet, engagiert sich heute beim "Weißen Ring“ und hilft anderen Opfern von Verbrechen. Körperlich leidet er bis heute an den Folgen der Entführung. Aber "ich konzentriere mich nicht darauf, was ich alles nicht mehr kann, sondern was ich kann – und dafür bin ich dankbar“, sagt er in einem seiner seltenen Interviews. Er empfinde auch keinen Hass oder Rachegefühle. Denn diese "binden unnötig Energie".
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