Genau das wollten Samuel und Stanley eigentlich verhindern. Mitten in der Nacht klingelte die Polizei an ihren Türen. Man habe einen Bescheid vom Landratsamt, sagten die Beamten. Die beiden müssten sofort mitkommen. In Bernau wurden Stanley und Samuel zunächst in eine Zelle gesperrt, erzählen sie heute. Erst einige Stunden später brachte man sie an den Flughafen nach München. In den frühen Morgenstunden, am 10. Dezember 2020, hob der Flieger ab. Das Ziel: Lagos, Nigeria.
Abschiebung trotz geplanter freiwilliger Rückkehr
Samuel und Stanley sind Nigerianer. 2015 waren sie nach Deutschland gekommen, um hier Asyl zu beantragen. Dies wurde jedoch abgelehnt. Ihr Widerspruch wurde jeweils letztinstanzlich zurückgewiesen. Im Spätsommer 2020 haben sie sich deswegen dafür entschieden, freiwillig zurückzukehren.
Vorbereitete Rückkehr mit StartHope@Home
Beide nahmen am Programm "StartHope@Home" teil und belegten dort Kurse zur Produktentwicklung, zur Gründung eines Startups, zu Marketing und Finanzierung. Wann genau sie das Programm abgeschlossen hätten und nach Nigeria zurückgekehrt wären, ist unklar. Wegen der Corona-Pandemie wurde ihr Zeitplan immer wieder durcheinander gebracht und damit die Ausreise verzögert. Klar war aber, dass sie vorbereitet sein wollten. Samuel zum Beispiel hätte einen kleinen Laden für Telefonzubehör eröffnen wollen. Stattdessen ist er jetzt, zurück in Nigeria, noch immer auf der Suche nach einer dauerhaften Bleibe.
Bund fördert freiwillige Rückkehr
Die Bundesregierung fördert seit einigen Jahren die freiwillige Rückkehr von Geflüchteten. Auf der Seite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF, heißt es: "Die freiwillige Rückkehr hat stets Vorrang gegenüber einem staatlichen Vollzug." Sie soll Geflüchtete bei der Reintegration im Heimatland unterstützen. Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD darauf geeinigt, freiwillige Rückkehrprogramme auszubauen. In den Jahren 2018 bis 2020 hat der Bund insgesamt rund 83 Millionen Euro investiert.
Abschiebungen passieren dennoch immer wieder
Und trotzdem berichten Flüchtlingshelfer und Rückkehrberatungen dem Bayerischen Rundfunk, dass Fälle wie die der beiden Nigerianer immer wieder vorkommen. In einer Studie der Johannes Gutenberg-Universität Mainz zum Beispiel beschreibt ein Mitarbeiter eines Reintegrationsprogrammes, wie acht schwer bewaffnete Beamte sogar in den Beratungsräumen erschienen sind, um einen Geflüchteten abzuholen und abzuschieben.
Eine Flüchtlingshelferin aus dem Landkreis Rosenheim schreibt dem BR auf Anfrage, sie habe bereits selbst mitbekommen, wie Leute geholt worden seien. "Manchmal", meint sie, habe sie "den Eindruck, da steckt System dahinter. Denn wenn sich die Flüchtlinge in Sicherheit wähnen, sind sie leichter abzuschieben und tauchen nicht unter." Das Landratsamt weist solche Anschuldigungen "weit" zurück.
Vertrauen in Behörden geht verloren
Als Stanley und Samuel das Programm zur freiwilligen Rückkehr unterschrieben haben, glaubten sie, vor einer Abschiebung geschützt zu sein. Dass ein Programm zur freiwilligen Rückkehr lediglich ein Angebot für sie ist, sie aber trotzdem jederzeit abgeschoben werden können, das war ihnen nicht klar.
Jetzt fühlen sie sich verraten. "Ich habe das nicht geglaubt", sagt Samuel. "Ich dachte, deutsche Behörden seien nicht wie die Behörden in Nigeria." Von diesen habe er so etwas erwartet. Sein Vertrauen in deutsche Behörden sei enttäuscht worden. Und Stanley sagt: "Sie haben uns angelogen."
Flüchtlingshelfer: Garantie für freiwillige Rückkehr
Astrid Schreiber arbeitet schon seit Jahren in der Flüchtlingshilfe, vor allem zusammen mit Geflüchteten aus Westafrika. Mit dem Fall von Stanley und Samuel habe die Ausländerbehörde nun viel Vertrauen verspielt, meint sie. "Die zwei sind natürlich auch vernetzt", so Schreiber. Und entsprechend schnell habe sich der Vorfall herumgesprochen. "Da haben sich viele bei den Trainern gemeldet, um zu fragen, wie so etwas passiert ist", erzählt sie. Außerdem habe sie mitbekommen, dass Geflüchtete nicht mehr in ihrer Unterkunft schliefen, aus Angst, jetzt ebenfalls abgeschoben zu werden.
Vom Innenministerium fordert sie nun eine Garantie für Geflüchtete. Wer sich freiwillig zur Rückkehr melde, solle zumindest für einen festgelegten Zeitraum nicht abgeschoben werden können.
Bundesinnenministerium: Freiwillige Rückkehr vorzuziehen
Das Bundesinnenministerium schreibt auf Anfrage des BR: Grundsätzlich sei die freiwillige Rückkehr vorzuziehen. Ausreisepflichtige Personen würden deswegen über die Möglichkeiten beraten und an entsprechende Stellen vermittelt. Das BMI verweist auf zwei Möglichkeiten für Geflüchtete, freiwillig zurückzukehren. Einerseits hätten sie während des gesamten Asylverfahrens die Möglichkeit. Andererseits ermögliche man den Menschen nach einer negativen Aslyentscheidung die freiwillige Ausreise, indem man die Abschiebung mit einer Frist von sieben bis 30 Tagen aussetze.
Damit, so das Innenministerium, werde bereits ein signifikanter Zeitraum zur Verfügung gestellt. "Darüber hinaus können auf aktueller Gesetzeslage keine weiteren Garantien gegeben werden, auch wenn de facto freiwillige Rückkehr teilweise auch nach diesem Zeitraum stattfindet."
Landratsamt: Freiwillige Ausreise in der Vergangenheit verschoben
Das Landratsamt Rosenheim, in dem die Ausländerbehörde angesiedelt ist, betont, man versuche den Menschen im Rahmen der Möglichkeiten zu helfen, habe aber auch rechtliche Verpflichtungen. Im Fall von Stanley und Samuel hätte die Ausländerbehörde trotz mehrfachen Kontakts mit der Zentralen Rückkehrberatung keine Informationen dazu gehabt, wann beide mit ihrer Qualifizierungsmaßnahme beginnen würden. Und in der Vergangenheit, so teilt das Landratsamt es mit, seien freiwillige Ausreisen immer wieder verschoben worden, um ein weiteres Bleiberecht zu erwirken. Deswegen habe man parallel die Abschiebung beantragt. Das Landesamt für Asyl und Rückführung habe diese terminiert und vollzogen.
Das Landratsamt betont aber auch, jetzt im engen Kontakt mit der Zentralen Rückkehrberatung zu sein, um Absprachen und Abläufe künftig weiter zu verbessern.
Auch Samuel und Stanley sind noch in Kontakt mit den Beratungsstellen. Noch hoffen sie zumindest auf finanzielle Förderung. Ob sie die aber erhalten werden, ist unklar.
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