Hausarzt Jürgen Arnhardt kann beruhigt in den Ruhestand gehen und weiß seine Praxis in guten Händen. Das ist keineswegs selbstverständlich. Viele Hausärzte in Bayern suchen Nachfolger, mehr als jeder Dritte ist über 60.
Viele arbeiten länger, teils noch mit über 70. Bis sie irgendwann aufgeben und ihre Praxis schließen - ohne jemanden gefunden zu haben, der sie übernimmt. Die Anzahl an Ärzten ist zu gering - zudem wollen die wenigsten aufs Land, um gleich in jungen Jahren eine Praxis zu übernehmen.
"Hausärzte fürs Land gewinnen wir nur, wenn wir selbst ausbilden"
Früher war ein Hausarzt in seiner Praxis auf dem Land meist allein. So ging es auch Arnhardt. Jahrelang war er als Einzelkämpfer unterwegs. Früh erkannte er das Problem und begann, sich als Delegierter im bayerischen Hausärzteverband politisch gegen den Hausärzte-Mangel zu engagieren. Das habe jedoch wenig gebracht, so Arnhardt. Schließlich erkannte er: "Hausärzte gewinnen wir nur, wenn wir selbst ausbilden."
Also hat Arnhardt in Zusammenarbeit mit dem Dillinger Lehrkrankenhaus Medizinstudenten der TU-München im Rahmen ihres Praxisjahres ausgebildet und Weiterbildungsassistenten in seiner Praxis aufgenommen. Fünf solcher Assistenten und Assistentinnen seien bei ihm gewesen, erzählt er, vier davon seien in Schwaben geblieben, eine im Landkreis Dillingen und zwei sogar in seiner Praxis.
Wie etwa Franciska Reiter. Sie arbeitet bis heute als angestellte Hausärztin bei Arnhardt in der Praxis. 2016 hat Arnhardt ihr ein Angebot gemacht: "'Wenn du bleibst, dann bau’ ich an! Sie hat zugesagt, und dann haben wir angebaut", erinnert sich Arnhardt, und hat damit beinahe einen Trend vorhergesehen.
Wie die Kassenärztliche Vereinigung Bayern (KVB) bestätigt, gibt es immer mehr Hausärztinnen und -ärzte, die in Anstellung und Teilzeit arbeiten. Das bedeutet auch, dass noch mehr Ärzte gebraucht werden, um die anfallende Arbeit zu bewältigen. Auch die KVB appelliere seit Jahren an die Politik, mehr Studienplätze für Humanmedizin zu schaffen, so ein Sprecher gegenüber dem BR.
Anbau und Vergrößerung statt Ruhestand
Statt wie geplant mit 60 in den Ruhestand zu gehen, trat Arnhardt schließlich in Verhandlungen mit der Stadt. Der Anbau wurde genehmigt. Inzwischen hat die Praxis vier Sprechzimmer sowie weitere Räume, die der heute 64-jährige Mediziner stolz präsentiert. Mit ihm arbeiten nun vier angestellte Ärztinnen hier - alle in Teilzeit.
Mit Judith Öfele, die seit Oktober dabei ist, ist das Team komplett. Bisher hat die 39-Jährige in der Augsburger Uniklinik gearbeitet. Das sei auch wichtig gewesen, sagt sie. Dort gebe es die Möglichkeit, sich weiterzubilden. Man habe andere diagnostische Optionen und Apparate: "Und wenn man denkt, man ist gefestigt, hat gutes Handwerkszeug, bringt man das Wissen einfach mit in den ambulanten Bereich."
Hausarzt ja - aber keine eigene Praxis
Den Plan, Hausärztin zu werden, hatte sie jedoch von Anfang an. Eine eigene Praxis hätte sie aber nicht gleich übernehmen wollen. Die betriebswirtschaftlichen Angelegenheiten, der Umgang mit Versicherungen, die vielen bürokratischen Hindernisse - darüber lerne man im Studium nichts, sagt sie. Deshalb sei es für sie das Beste, in der Praxis - im Team - Erfahrungen zu sammeln.
Ihr Arbeitsweg jetzt viel kürzer und sie kann in Teilzeit arbeiten, was sich besser mit der Familie vereinbaren lässt. An der Klinik sei das so nicht möglich gewesen, sagt die 39-Jährige und strahlt. Zudem könne sie Menschen in der Hausarztpraxis deren ganzes Leben lang begleiten und komme mit dem ganzen Spektrum der Medizin in Kontakt - das habe sie sich immer gewünscht.
Bürgermeister: Versorgung mit Hausärzten wichtige kommunale Aufgabe
Auch Gerrit Maneth (FW), der Bürgermeister von Höchstädt, ist froh über die weitere angestellte Ärztin in der Hausarztpraxis Arnhardt. Und er hat noch eine gute Nachricht: In der zweiten Praxis des Ortes mit gut 7.000 Einwohnern wird am 1. Januar ebenfalls eine Ärztin anfangen, die eine Praxis übernimmt. Endlich könne er wieder gut schlafen, so der Bürgermeister. Die Versorgung mit Hausärzten sei inzwischen eine ebenso wichtige kommunale Aufgabe, wie etwa die Wasserversorgung oder die Kinderbetreuung.
Man müsse immer ein offenes Ohr für die Anliegen der Ärzte haben, so der Bürgermeister. Etwa wenn es um Erweiterungsmöglichkeiten gehe, um Dienstleistungen der Stadt, Baugenehmigungen oder auch finanzielle Unterstützung. So habe man beispielsweise Studenten, die Praktika in den Praxen absolvierten, eine kostenlose Unterkunft geboten. Viel mehr könne die Kommune nicht tun.
Wie viele Ärzte es in einer Region gibt, regelt die KVB
Will sich ein Hausarzt niederlassen, braucht er dafür einen Kassensitz. Grundlage dafür, ob eine Region mit Ärzten gut oder schlecht versorgt ist, ist eine Berechnung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern (KVB). Die sogenannte Bedarfsplanung regelt gemäß politischer Vorgaben, wie viele Ärzte es in einer Region gibt und wie diese verteilt sind.
Dafür wird mit einbezogen, ob es größere Städte in der Nähe gibt, wo sich möglicherweise viele Ärzte niedergelassen haben. Außerdem wird geschaut, wie alt die Bevölkerung im Schnitt in der Region ist und wie häufig die Menschen krank sind. Daraus wird dann berechnet, wie viele Ärzte für die Einwohnerzahl gebraucht werden. Bedeutet in der Praxis, dass den Berechnungen zufolge in einer Region mit eher gesünderen und jüngeren Menschen weniger Ärzte nötig sind, als in einer Region mit älteren Personen, die häufig zum Arzt müssen.
Über- oder unterversorgt: Berechnung mit weitreichenden Folgen
Im Umkehrschluss heißt das, in manchen Regionen muss ein Arzt mehr Patienten behandeln, als in anderen. Erfahrene Hausärzte wie Jürgen Arnhardt kritisieren dieses System. Ein weiterer Kritikpunkt: Einige Ärzte, die bei der Kassenärztlichen Vereinigung als Hausärzte geführt würden und einen Hausarztsitz in Anspruch nehmen, würden kaum hausärztliche Tätigkeiten ausführen, weil sie in einer Facharztpraxis arbeiteten. Zudem würden Ärzte, die bereits über 70 Jahre alt sind, voll mitgezählt. Diese Berechnung sei realitätsfern und unbrauchbar, kritisieren Ärzte aus dem Raum Dillingen. Denn diese Zahlen hätten weitreichende Folgen.
Mit über 40 Ärzten gilt die Region Dillingen als überversorgt. Das heißt, Ärzte, die sich hier neu niederlassen, bekommen keinen Zuschuss. Würden sie in die benachbarte Region Donauwörth gehen, die als unterversorgt gilt, gäbe es Förderungen von über 100.000 Euro. So soll die Ansiedlung in Gegenden, wo es zu wenig Hausärzte gibt, attraktiver gemacht werden.
Für Höchstädt und die Region Dillingen bedeute das allerdings, dass es keinerlei finanzielle Unterstützung gebe, kritisieren Bürgermeister Maneth und Hausarzt Arnhardt. Dabei sei etwa jeder dritte Hausarzt in der Region über 60, die Praxen außerdem mehr als ausgelastet. Hier würden Nachfolger gebraucht, auch wenn es bei der Berechnung der KVB auf dem Papier anders aussehe.
Ärztliche Versorgung in Höchstädt vorerst gesichert
Erst einmal können die Höchstädter aber durchschnaufen. Die Zukunft beider Praxen in der Stadt ist gesichert. Arnhardt wird in Ruhe in Rente gehen können: Seine bisher angestellte Ärztin Franciska Reiter will zunächst zusammen mit ihm die Praxis führen. In etwa zwei Jahren, wenn sie alle Prozesse gut kenne, soll eine weitere Ärztin aus der Praxis Arnhardts Rolle einnehmen - und er kann mit 66 endlich in den Ruhestand gehen. So zumindest der Plan.
Dieser Artikel ist erstmals am 18. Oktober 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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