"Vielen Frauen und Mädchen widerfährt Gewalt dort, wo sie sich eigentlich am sichersten fühlen sollten – zuhause", sagt Alona Isheim. Sie ist die fachliche Leiterin der Fachberatungsstelle bei häuslicher und sexualisierter Gewalt Schweinfurt. Träger ist der Verein "Frauen helfen Frauen". Die Beratungsstelle ist zuständig für alle betroffenen Frauen und Mädchen aus der Region Main-Rhön. Am 14. Februar nimmt Alona Isheim in Schweinfurt am weltweiten Aktionstag "One Billion Rising" teil. Damit will sie, wie unzählige andere Beteiligte auch, auf Gewalt gegen Frauen und Mädchen aufmerksam machen.
Psychische und körperliche Gewalt gegen Frauen
"Gewalt hat viele Gesichter", betont Alona Isheim. Dazu zählt unter anderem Demütigung, Kontrolle durch den Partner, körperliche Übergriffe wie Schubsen und an den Haaren ziehen. Ein großes Problem sei dabei, dass sich diese Gewalt als schleichender Prozess entwickelt. Betroffenen sei deshalb oft nicht bewusst, dass ihnen Gewalt widerfährt, so Alona Isheim. Das komme vor allem bei psychischer Gewalt wie Beschimpfungen vor. Körperliche Gewalt kann grobes Festhalten, Würgen, Schläge und Tritte bedeuten. Im schlimmsten Fall kann es auch zum Femizid führen – also zum Töten einer Frau.
Trennungen vom (Ex-)Partner fallen oft schwer
"Jeden dritten Tag wird eine Frau in Deutschland durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet", ergänzt Alona Isheim. 2022 waren das 133 Frauen. Laut Isheim machen Männer ihre Frauen oft von sich emotional und finanziell abhängig. Darum fällt es den Frauen schwer, sich von den Gewalt ausübenden Partnern zu trennen. Statistisch gesehen brauche eine Frau sieben Anläufe, bis sie sich von ihrem Partner trennt, so Alona Isheim.
Aktionstag macht auf Gewalt gegen Frauen aufmerksam
Auf das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen macht jeden 14. Februar der weltweite Aktionstag "One Billion Rising" aufmerksam. "One Billion Rising" heißt übersetzt "Eine Milliarde erhebt sich". Auf der Homepage dieser Kampagne heißt es: "Jede dritte Frau weltweit war bereits Opfer von Gewalt, wurde geschlagen, zu sexuellem Kontakt gezwungen, vergewaltigt oder in anderer Form misshandelt." Das entspreche einer Milliarde Frauen (one billion), denen Gewalt angetan wurde. Die Kampagne setzt sich unter anderem für ein Ende der Gewalt gegen Frauen als auch für deren Gleichstellung, Sicherheit und Freiheit ein. In zahlreichen Ländern soll es zu Tanzaktionen kommen. Allein in Deutschland wird voraussichtlich in über 130 Städten getanzt. Zu diesen zählen Würzburg und Nürnberg.
Tanzaktion auf dem Schweinfurter Marktplatz
Auch Schweinfurt beteiligt sich. "Der Tanz soll die Stärke symbolisieren, mit der sich Frauen und Mädchen gegen Gewalt wehren können", erklärt Heide Wunder, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Schweinfurt. "One Billion Rising" lädt jeden dazu ein, sich an dem Tanz zu beteiligen – auch Männer. Die Aktion soll "ein Akt weltweiter Solidarität mit allen Frauen und Mädchen" werden, so Wunder. "Außerdem zeigt 'One Billion Rising' wie viele wir sind, die sich weigern, Gewalt gegen Mädchen und Frauen als unabänderliche Tatsche hinnehmen", ergänzt die Organisatorin. Um 17 Uhr werden sich schätzungsweise 100 Personen auf dem Marktplatz versammeln, um zu tanzen.
Bekanntgewordene Fälle nur die Spitze des Eisbergs
Die Polizeistatistik für 2022 listet bei häuslicher Gewalt für den Bereich Unterfranken insgesamt 1.389 Fälle auf. Dies teilte Denis Stegner, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfrankens, mit. 2021 waren es 1.295, die Zahlen sind also gestiegen. Häusliche Gewalt im Sinne der Partnerschaft umfasst alle Fälle von physischer und psychischer Gewalt innerhalb von ehelichen oder nicht-ehelichen (Ex-)Lebensgemeinschaften, so Denis Stegner. In den letzten Jahren waren rund 80 Prozent der Opfer Frauen. Circa 20 Prozent der Betroffenen waren Männer. "Häusliche Gewalt zieht sich durch alle sozialen Schichten", betont Denis Stegner.
Bei der bayerischen Polizei wurden von 2018 bis 2022 folgende Fälle häuslicher Gewalt erfasst:
- 2018: 20.213
- 2019: 20.045
- 2020: 20.234
- 2021: 19.249
- 2022: 21.275
"Die Anzahl der bekanntgewordenen Fälle ist nur die Spitze des Eisbergs", ergänzt die Gleichstellungsbeauftragte Heide Wunder. "Nach Informationen des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen erstatten nur 20 Prozent der Betroffenen eine Strafanzeige."
Hilfe in der Fachberatungsstelle bei häuslicher und sexualisierter Gewalt Schweinfurt
In der Fachberatungsstelle Schweinfurt versucht man der Gewalt entgegenzuwirken. Dort berät die fachliche Leiterin Alona Isheim mit ihrem Team Frauen und Mädchen, die von häuslicher und sexualisierter Gewalt betroffen sind oder waren. Laut Isheim ist die Anzahl der Beratungen in den letzten Jahren etwas angestiegen. Im vergangenen Jahr suchten rund 160 betroffene Frauen und Mädchen dort Hilfe.
Die Fachberatungsstelle ist von Montag bis Donnerstag von 10 bis 16 Uhr telefonisch erreichbar, freitags von 10 bis 13 Uhr. Die Telefonnummer lautet: 09721/185233. In den Nächten und am Wochenende können die Betroffenen das Hilfetelefon bundesweit unter 116016 anrufen. "Wir haben auch einen Telefondolmetscherservice, der uns Beratungen in anderen Sprachen ermöglicht", erklärt Alona Isheim. Auch auf dem neuen Flyer "Hinsehen, Zuhören, Hilfe holen" sind Telefonnummern für Hilfesuchende in acht verschiedenen Sprachen abgedruckt.
Wenn Frauen Schutz für sich und ihre Kinder nach häuslicher Gewalt suchen, können sie sich an das Frauenhaus Schweinfurt wenden. Dieses ist unter der Nummer 09721/786030 rund um die Uhr erreichbar.
Beratung der Polizei
Auch das Polizeipräsidium Unterfranken bietet eine Beratung an: Betroffene können die Fachberatung für Kriminalitätsopfer unter 0931/4571209 erreichen. Darüber hinaus hat jede Polizeidienststelle in Unterfranken einen Schwerpunkt-Sachbearbeiter für häusliche Gewalt. Zudem gibt es in jedem Regierungsbezirk mindestens eine Interventionsstelle, die eine Pro-Aktive Beratung für Frauen bei häuslicher Gewalt und (Ex-)Partnerstalking anbietet. Hierbei vermittelt die Polizei mit dem Einverständnis der Betroffenen. Die Interventionsstelle wird staatlich gefördert und überwiegend von freien Wohlfahrtsverbänden getragen.
Schweigen und Wegsehen hilft dem Täter.
Wichtig ist Alona Isheim: "Schweigen und Wegsehen unterstützt und hilft dem Täter. Wenn Angehörigen, wenn Nachbarn Gewalt mitbekommen, dann können sie der Frau Hilfe anbieten und sie dabei unterstützen, den Weg ins Hilfesystem zu finden."
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