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Alzheimer: Mehr Lebensqualität durch Frühdiagnose

Alzheimer: Mehr Lebensqualität durch Frühdiagnose

Rund 1,6 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz, in Bayern sind es mehr als 244.000. Häufigste Ursache ist Alzheimer. Mittlerweile kann die Krankheit sehr früh diagnostiziert werden. Was bringt das frühe Wissen?

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Irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Das merkte er selbst, aber auch seine Frau Adelheid. Ständig verlegte Walter Reitz Schlüssel, vergaß Worte, fand sich im Alltag nicht mehr so zurecht. Dann kam die Diagnose: Alzheimer, im frühen Stadium.

Das war vor drei Jahren. Nachdem viele Ärzte dem Münchner nicht helfen konnten, landete er schließlich in der LMU-Gedächtnis-Ambulanz in Großhadern. Hier machten sie umfangreiche Tests mit dem heute 72-Jährigen, bis die Frühdiagnose dann feststand.

Leben mit der Diagnose Alzheimer

Seitdem hat sich das Leben von Walter und Adelheid Reitz geändert. Seit 46 Jahren sind die beiden verheiratet. Die 72-Jährige leidet mit ihrem Mann, erlebt jeden Tag, dass er nicht mehr so kann, wie er eigentlich will. "Er kann nicht mehr Rad fahren, nicht mehr Auto fahren, er kann kein Geld mehr abheben, neulich hat er den Fön nicht mehr gefunden und vergessen, das Wasser zuzudrehen", erzählt die Münchnerin aus dem Stadtteil Moosach. Jeden Tag gebe es eine Überraschung, was plötzlich nicht mehr ginge.

Alle leiden: der Erkrankte, der Partner, die ganze Familie

Adelheid Reitz muss alles regeln, alles organisieren. Das ist eine neue Rolle für sie. Ihr Mann ist ihr unendlich dankbar. Das ist bei jedem Blick zu spüren, bei jeder Geste zu sehen. "Mein Schatz!", sagt er oft. "Ich bin ja froh, dass ich meine Frau habe, weil… wenn ich ganz alleine wäre, das wäre nichts mehr. Mei… es ist einfach bescheiden", sagt Walter Reitz und schüttelt den Kopf. Er und seine Frau wissen: Besser wird es nicht mehr. Im Gegenteil. Davor haben beide am meisten Angst. Was kommt noch auf sie zu? "Es ist wirklich sehr schwierig und frustrierend. Wir versuchen zwar, das Beste daraus zu machen. Aber es sind Tage dabei, da es uns beiden sehr, sehr schlecht geht."

Frühdiagnose in Gedächtnis-Ambulanz in Großhadern

Das Ehepaar Reitz bekommt Hilfe in der LMU-Gedächtnis-Ambulanz in München-Großhadern am Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung (ISD). Hier erhielt es auch die Frühdiagnose Alzheimer. "Das war ein Schock und eine Erleichterung zugleich", erzählt Adelheid Reitz.

Dr. Katharina Bürger, Leiterin der Gedächtnis-Ambulanz, kennt die Krankenakte von Walter Reitz. Vergleicht sie die Ergebnisse des sogenannten Gedächtnis-Hirnleistungs-Tests von vor drei Jahren mit aktuellen Werten erkennt die Psychiaterin, wie sich der Zustand von Walter Reitz schon jetzt verschlechtert hat. So haben die kognitiven Defizite zugenommen.

Je früher Alzheimer erkannt wird, umso effektiver sind Therapien

Alzheimer ist zwar nicht heilbar, aber eine frühe Diagnose kann helfen, die Krankheit zu verzögern. "Je früher Alzheimer erkannt werde, umso wirksamer seien die Therapien", sagt Katharina Bürger. Dazu gehört Gedächtnistraining, aber auch eine medikamentöse Behandlung. "Man hat natürlich mit der Diagnose eine längere Zeit, die man in der Krankheit lebt. Man kann aber diese Zeit auch besser nutzen. Also man sollte keine Zeit damit verbringen, sich vor der Krankheit zu verstecken, sondern im Rahmen seiner Möglichkeiten am Leben teilnehmen."

Vererbbare Form der Alzheimer-Erkrankung ist sehr selten

Eine Frühdiagnose werde nur bei Symptomen vorgenommen, nicht vorsorglich, betont Katharina Bürger. Außerdem stellt die Expertin klar: Alzheimer ist sehr selten vererbbar. "Hauptrisikofaktor ist das Alter. Die vererbbare Form der Erkrankung macht nur ein Prozent aller Fälle aus und beginnt im Alter unter 60 Jahre." Vergesslichkeit müsse aber nicht immer gleich Demenz bedeuten, so die Leiterin der Gedächtnis-Ambulanz. Andere Faktoren wie Bluthochdruck, Parkinson oder Depression müssten ausgeschlossen werden. "Für die Demenz muss schon einiges zusammenkommen. Wenn im Vergleich zu früher die Gedächtnisleistung abgenommen hat, so dass das zum Beispiel der Partner bemerkt, dann sollte man sich untersuchen lassen." Ganz wichtig dabei sei auch der Zeitfaktor, sagt Bürger. Meistens ist es ein schleichender Prozess, der über mindestens ein halbes Jahr anhält.

Alzheimer-Gesellschaft unterstützt Erkrankte und Angehörige

Große Hilfe und Unterstützung bietet neben der Gedächtnisambulanz die Alzheimer-Gesellschaft. Der Landesverband Bayern hat 26 Beratungsstellen in der Region verteilt.

Peter Sprenger engagiert sich ehrenamtlich bei der Alzheimer Gesellschaft München. Seine Frau ist früh an Demenz erkrankt. Seine Erfahrung: Eine Frühdiagnose ist wichtig und hilfreich, da dann auf verschiedenen Ebenen gehandelt werden kann. "Der Betroffene bekommt Medikamente, die die Erkrankung verlangsamen. Es gibt auch andere Arzneien, die aufhellen oder gegen Ängste oder Halluzinationen helfen. Aber das muss wirklich ein Fachmann in die Hand nehmen und somit die Lebensqualität verbessern." Denn darum geht es: dem Erkrankten und den Angehörigen ein besseres Leben ermöglichen trotz der Diagnose Alzheimer.

Ein weiterer Vorteil der Frühdiagnose: Der Erkrankte kann noch selbst aktiv mithelfen, sein Leben anders zu gestalten, so Peter Sprenger von der Alzheimer-Gesellschaft München. So entdeckten Erkrankte auch neue Fähigkeiten und Interessen wie Malen.

Das Leben mehr genießen trotz und gerade wegen Alzheimer

So traurig und verzweifelt Walter und Adelheid Reitz auch immer wieder sind: sie sind froh und dankbar, schon früh die Diagnose Alzheimer bekommen zu haben. Es hat geholfen, sich auf die Krankheit vorzubereiten. "Wir sind seitdem enger beieinander", sagt Walter Reitz. "Genau, wir sind mehr zusammengeschweißt durch diese Krankheit", ergänzt seine Frau. Sie schauen sich an, lächeln und er streichelt ihr liebevoll über die Hand.

Am 21.09. jeden Jahres ist Welt-Alzheimer-Tag und seit 2019 gibt es auch die Bayerische Demenzwoche, heuer vom 7. – 26.09.2021.

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