Ein riesiges Plakat hängt am Eingang zum Rathaus auf dem Marktplatz: "Bad Windsheim zeigt Gesicht" steht da in großen roten Buchstaben. Eingerahmt sind diese von bunten Illustrationen, die menschliche Gesichter darstellen. Die Menschen auf dem Plakat haben grüne, blaue, braune Augen, sind jung und alt - eben eine bunte Mischung.
Viele Menschen demonstrieren zum ersten Mal
Genau diese bunte Mischung füllt an diesem grauen Sonntag den Marktplatz. Anlass ist eine Demonstration gegen Rechtsextremismus. In der Spitze werden Stadt und Polizei später annähernd 1.000 Menschen zählen. Seite an Seite stehen Jung und Alt, Männer, Frauen sowie Familien mit Kindern. Viele von ihnen halten Plakate in die Luft. "Nie wieder ist jetzt" steht dort zum Beispiel geschrieben oder "Menschenrechte statt rechte Menschen".
Viele der Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind zum ersten Mal auf einer Demo, so wie Familienvater Matthias Mandel. Er hat spontan das Mittagessen verschoben, um hier mit seinen Kindern dabei sein zu können: "Wir sind da, weil wir Flagge zeigen wollen als Kolpingfamilie, als Familie an sich, damit unsere Kinder auch eine Zukunft haben, damit die Demokratie auf dem Vormarsch ist", erklärt er.
Demos in kleineren Städten und auf dem Land
Für Vielfalt und Demokratie gingen am Wochenende zum Beispiel auch Menschen in Gunzenhausen, Eckental, Dinkelsbühl und Hilpoltstein auf die Straße.
Demos auf dem Land: "Hier werde ich gesehen!"
Flagge und Gesicht zeigen: In den Städten sind die Menschen auf den Demonstrationen eher anonym unterwegs - auf dem Land kennt man sich. Das ist auch in Eckental im Landkreis Erlangen-Höchstadt so. Vor dem Rathaus demonstrieren hier am Samstag mehrere hundert Menschen für Demokratie und Vielfalt. Ein toller Erfolg, findet Organisatorin und Historikerin Martina Switalski. Es sei ein Riesen-Moment gewesen, als es in den Großstädten mit den Demos losgegangen sei, erklärt sie. "Aber hier sind jetzt Menschen, die bewusst zu mir gesagt haben: 'Wunderbar, dass hier etwas stattfindet. Hier sieht man mich und ich sehe andere.' Das ist dieser Solidarisierungseffekt, für unser Land einzustehen, und das ist großartig."
Die "schweigende Mehrheit" geht nun auf die Straße
Mit dieser Meinung ist Martina Switalski nicht allein. Immer mehr Menschen gehen auf die Straße - egal ob in der Stadt oder auf dem Land. Warum? Weil sich die schweigende Mehrheit langsam mal zeigen müsse, sagt Fritz Müller, Teilnehmer der Demo in Eckental. "Der Rechtsruck ist ja deutlich spürbar in den Umfragen. Man sieht’s auf der Straße und im Parlament und das gefällt mir gar nicht." Auch Ann-Kathrin Loos zählt sich zu dieser bislang schweigenden Mehrheit. Sie begrüßt es, dass so viele Leute an den Demonstrationen teilnehmen. "Ich kenne leider auch ein paar aus dem Ort, die AfD wählen. Da frag ich mich einfach: Warum? Es geht mir nicht ein, ich finde das bedenklich."
Sorgen um die Zukunft im Land machen sich auch Heidi und Ralf Weber. Das Paar findet es gut, dass die Kundgebungen nicht nur in den großen Städten angeboten werden, sondern auch im ländlichen Raum. "Und vor allen Dingen freut es mich, dass auch in den östlichen Bundesländern die Leute auf die Straße gehen. Denn da ist ja das Problem noch weitaus größer als hier bei uns im Westen, glaube ich", sagt Heidi Weber. Hier in Bad Windsheim will sie mit vielen anderen ein Zeichen setzen. "Wir haben gesehen, dass es ganz schlimm wird", erzählt Ralf Weber im BR-Interview. "Wir kriegen Weimarer Verhältnisse, wir können alle demokratisch wählen. Damals ist auch eine Partei demokratisch gewählt an die Macht gekommen und hat Deutschland in den Abgrund gestürzt. Ich sehe gewisse Parallelen. So etwas darf nie wieder passieren."
"Das Motto 'Nie wieder ist jetzt' finde ich auch in Anbetracht der Geschichte ganz bedeutend", argumentiert ein paar Menschentrauben weiter Ulli Wesche. Sie war schon am Samstag auf der Kundgebung in Nürnberg dabei. An diesem Sonntag nun auch in Bad Windsheim, "weil ich’s für ganz wichtig halte, dass man gegen diese jetzigen Rechtsbestrebungen und gegen die AfD-Inhalte etwas tut, bevor es zu spät ist." Außerdem sei es für die Bevölkerung wichtig zu sehen, dass sich auch das Land wehrt und sich da etwas tut.
Breites Bündnis unterstützt Demonstration gegen Rechtsextremismus in Bad Windsheim
Und dass sich etwas tut, ist in Bad Windsheim einem breiten Bündnis zu verdanken. Unternehmer Armin Höhn zögerte nicht, als man ihn bat, die Organisation mitzuübernehmen: "Alles, was rechts ist, ist mir zuwider. Es geht um Empathie, es geht um Menschlichkeit, einfach um Gleichwertigkeit" erklärt er seine Motivation, sich für die Demokratie in Bad Windsheim starkzumachen.
Damit ist er nicht allein. Auf der Liste der Unterstützer stehen unter anderem verschiedene Parteien wie B90/Grüne, CSU, FWG, SPD, WiR und Liste Land, sowie der Bund Naturschutz, die Katholische Pfarrei St. Bonifaz und das Evangelisch-Lutherische Dekanat Bad Windsheim. In seiner Rede spricht Dekan Jörg Dittmar davon, dass das Parteiprogramm der AfD nicht mit dem christlichen Glauben vereinbar sei. Er erlebe eine erschreckende Verrohung der Politik im Land. Man müsse die parlamentarische Demokratie schützen, so Dittmar weiter, der für seine Worte viel Zustimmung mit immer wiederkehrendem Applaus bekommt. "Wir sind ein fröhliches, buntes und lebendiges Bad Windsheim. Das werden wir auch bleiben", so Dekan Dittmar.
Dies unterstreicht auch der Erste Bürgermeister Jürgen Heckel (WiR). Bad Windsheim sei eine Stadt der Toleranz, der Wertschätzung und der Menschlichkeit. Man wolle in Frieden miteinander leben, so das Stadtoberhaupt. Eine Botschaft, die Heckel auch ein persönliches Anliegen ist. Denn vor der Kundgebung wurde er wegen seiner Teilnahme an der Veranstaltung angefeindet, "weil es eben auch Menschen gibt in unserer Stadtgesellschaft, die sagen, ich vertrete nicht ihre Meinung", so Heckel gegenüber dem BR. Davon aber will sich der Bürgermeister nicht beirren lassen und weiter für seine Werte eintreten.
Kundgebungen können nur der Anfang sein
Diese Einstellung begrüßt Corinna Gräßel vom Bündnis gegen Rechts im Landkreis Neustadt/Aisch-Bad Windsheim. Aktuell beobachte man einen Mobilisierungseffekt in den Kommunen. Den müsse man nutzen: "Es ist immer wichtig, etwas zu machen, vor allem auch über eine Kundgebung hinaus." So fordert Gräßel ein, rechtem Gedankengut nicht nur auf Demonstrationen, sondern auch im Alltag entgegenzutreten. Bei der Friseurin beim Bäcker, im Sportverein, bei der Feuerwehr. Immer dann, wenn jemand mit rechten Argumenten oder auch mit Verschwörungserzählungen um die Ecke komme, solle man sich ein Herz fassen, für seine Überzeugung eintreten und sagen: "Nein, nicht mit mir, ich halte dagegen."
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