Lebensmittelrettung in Würzburg.
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Unterwegs mit den Lebensmittel-Rettern

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Bald legal? "Containern" in Würzburg, um Lebensmittel zu retten

Millionen Tonnen Lebensmittel werden weggeworfen. Aktivisten sind dagegen, holen noch genießbare Nahrungsmittel aus Mülltonnen. Sie gehen "Containern", was strafbar ist. In Würzburg hoffen Lebensmittel-Retter und Supermärkte, dass sich das ändert.

Über dieses Thema berichtet: Frankenschau aktuell am .

Ben hängt kopfüber in einem großen Biomüll-Container im Hinterhof eines Supermarkts in Würzburg. Mit seinen Händen greift er nach Bananen, Kartoffeln, Birnen, die noch genießbar aussehen. Wolfram leuchtet mit dem Smartphone in die Tonne, Leon hält einen Korb für die Ausbeute bereit. Viel Obst und Gemüse in der Biotonne ist matschig oder schimmelig, also Abfall. Aber einige der weggeworfenen Lebensmittel sind noch völlig ok.

"Hier eine Mango, die ist komplett in Ordnung. Genauso wie die Banane. Wenn ich so eine zuhause liegen habe, esse ich die auch noch", sagt Wolfram. Dass "Containern" eigentlich strafbar ist, ist ihm bewusst. Trotzdem geht er seit Jahren regelmäßig nach Ladenschluss los, um die weggeworfenen Lebensmittel der Supermärkte zu retten.

  • Zum Artikel: Wann "Containern" nicht mehr bestraft werden soll

Motivation: Ressourcen, Geld und Energie sparen

Für den Berufstätigen geht es dabei weniger darum Geld zu sparen. "Wir kämpfen aktuell gegen die Erderwärmung. Wir versuchen weniger Energie zu verbrauchen. Und schmeißen gleichzeitig so viele Lebensmittel weg, die auch mit viel Energie produziert wurden."

Auch für Leon ist "Containern" gehen eine symbolische Aktion. Es sei viel aus Übersee dabei. "Das würde ich aus Gewissensgründen sonst nicht kaufen. Genauso tierische Produkte." Gleichzeitig landen viele dieser Lebensmittel im Müll, wären also eigentlich im Überfluss verfügbar.

Jährlich werden in Deutschland laut Statistischem Bundesamt elf Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen.

"Containern" ist als Diebstahl strafbar

Aktuell ist es so, dass die drei wegen Diebstahl und Hausfriedensbruch angezeigt werden könnten. Denn die Lebensmittel gehören bis zur Abholung immer noch dem Besitzer, also dem Supermarkt. Ärger gab es von denen bisher aber kaum. Angesprochen worden sei er eher mal von Anwohnern und Nachbarn. "Die haben sich nachvollziehbarerweise gefragt, wer da mit Stirnlampe um den Supermarkt herumläuft", sagt Wolfram. Wenn ihm Marktpersonal begegnet sei, habe es bislang gar keine Beschwerden gegeben. Und ansonsten seien die Reaktionen durchweg freundlich gewesen.

Özdemir will "Containern" straffrei machen

Bundesernährungsminister Cem Özdemir (Grüne) will Strafen für Menschen reduzieren, die Produkte aus Abfallbehältern von Supermärkten herausfischen. Zusammen mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wirbt Özedmir dafür, dass es nur noch in seltenen Fällen Strafen gibt für Menschen, die genießbare Lebensmittel aus Abfallcontainern holen.

Supermarktleiter in Würzburg ist für Straffreiheit

Einer, der dafür ist, dass Containern straffrei wird, ist etwa Stefan Popp, Edeka-Marktleiter in Würzburg. Täglich muss auch er einige Kilo Lebensmittel wegwerfen – das meiste allerdings versucht er schon zur Tafel und an Bauernhöfe zu geben. Der Rest - etwa fünf Prozent aller Lebensmittel - der nicht verkauft wird, landet im Müll. Stefan Popp in Würzburg ist mit seiner Haltung wohl nicht in der Mehrheit, denn er erklärt: "Wir werfen die Sachen in die Tonne und müssen die dann verschließen. Begründet wird es damit, dass ja etwas damit sein könnte. Die Haftung geht dann auf uns über."

Das heißt: Wenn Lebensmittel aus dem Container gegessen werden, die zurückgerufen wurden, weil sie zum Beispiel mit Plastik oder Metall verunreinigt sind, haftet der Marktleiter. Egal, ob er die rückgerufene Ware verkaufen oder verschenken würde. Einige Supermarktbetreiber befürchten, dass diese Haftung dann auch für weggeschmissene Lebensmittel gelten könnte, sollte das Containern straffrei werden. Wären Sie dann auch haftbar für Lebensmittelvergiftungen, wenn Leute verdorbene Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeit abgelaufen ist, aus dem Müllcontainer essen?

Handelsverband gegen Straffreiheit

Der Handelsverband hat sich schon gegen eine Straffreiheit beim Containern ausgesprochen. Containern sei "kein wirksamer Beitrag zur Reduktion von Lebensmittelverschwendung". Denn nur sieben Prozent der Lebensmittelabfälle fielen in den Supermärkten an. Bernd Ohlmann, der Geschäftsführer des Handelsverbands Bayern, verweist auf einen anderen Bereich: "65 Prozent fällt in privaten Haushalten an. Es kommt auch niemand auf die Idee, verständlicherweise, alle privaten Abfallbehälter auf einmal für die "Mülltaucher" zur Verfügung zu stellen."

Bilanz einer "Container"-Aktion

Zurück bei Wolfram, Leon und Ben. Die Ausbeute: Drei große Tüten voll mit Obst und Gemüse, und das ist noch wenig, sagen sie. "Normalerweise so viel, dass man verteilen kann an Freunde, Bekannte oder Leute, deren Rente nicht reicht." Sie stellen die Tonnen wieder ordentlich an die Mauer zurück. Für heute haben sie genug gesammelt. Das meiste muss jetzt zuhause noch gewaschen, vielleicht schon gekocht oder eingefroren werden – für die drei ein riskanter Aufwand, der sich lohnt.

Leon, Ben und Wolfram suchen nach Lebensmitteln im Biomüll eines Supermarktes.
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Leon, Ben und Wolfram suchen nach Lebensmitteln im Biomüll eines Supermarktes.

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